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Carsten Schneider (l-r, SPD), Staatsminister für die neuen Bundesländer, Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, und Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, sitzen in der Sondersitzung des Deutschen Bundesrats zu den Dezember-Soforthilfen und dem geplanten Bürgergeld.

© Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Nach der Blockade im Bundesrat: Scheitert das Bürgergeld jetzt?

Am 1. Januar soll der Nachfolger von Hartz-IV stehen – doch Regierung und Opposition stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die schwierige Suche nach einem Kompromiss beginnt.

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Es ist der Arbeitsminister selbst, der für das, was nun kommt, die Messlatte hoch hängt: Bis zum 1. Januar müsse das Bürgergeld unbedingt in Kraft treten, sagt Hubertus Heil (SPD) am Montag im Bundesrat, auch noch nach der entscheidenden Abstimmung, bei der sein Gesetzesvorhaben vorerst scheitert.

Es ist ein Kernprojekt der Ampelkoalition und eine Herzensangelegenheit gerade der Sozialdemokraten. Doch wird das Bürgergeld, das das Hartz-IV-System ablösen soll, noch kommen? In der Form, die sich Arbeitsminister Heil gewünscht hat, definitiv nicht. Und strategisch ist die Union derzeit in der komfortableren Position.

Blockademehrheit stabil

Ihre Blockademehrheit im Bundesrat stand am Montag stabil. Eine Reihe von Landesregierungen, an denen die CDU etwa mit SPD oder Grünen beteiligt ist, musste aufgrund des Vetos der Christdemokraten die Zustimmung verweigern, zum Leidwesen der jeweiligen Koalitionspartner.

Noch am Montag ruft die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss an. Dieser kann frühestens fünf Werktage später tagen, Heil nannte den kommenden Montag, Dienstag oder Mittwoch als mögliche Daten.

Die Ampelparteien hatten sich im Vorfeld sichtlich bemüht, die absehbare Extra-Runde im Vermittlungsausschuss als nicht weiter dramatisch darzustellen. Bei manchen Punkten sind sich die Parteien auch einig: Es herrscht Konsens, dass die Regelsätze erhöht werden sollen, und den stärkeren Fokus auf die berufliche Qualifizierung finden ebenfalls alle Seiten sinnvoll. Die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig (SPD), sagte, sie bedauere sehr, dass dieser Kern des Vorhabens in der öffentlichen Debatte aus dem Fokus gerückt sei.

Dennoch liegt nicht auf der Hand, wie sich Regierung und Opposition einigen können. Denn es geht bei den Streitpunkten nicht nur um ein bisschen Schonvermögen hier oder ein paar Sanktionen dort, sondern um grundsätzlichen Dissens und auch um die Frage, was Fakten sind und was Meinungen.

Manuela Schwesig sprach am Montag im Bundesrat.
Manuela Schwesig sprach am Montag im Bundesrat.

© AFP / Foto: AFP/John MacDougall

So berief sich Schwesig in ihrer Rede im Bundesrat darauf, es sei Tatsache, dass das Bürgergeld das Lohnabstandsgebot nicht verletze. Prompt widersprach Florian Herrmann (CSU), bayerischer Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten: „Das Lohnabstandsgebot wird ohne nachvollziehbaren Grund aufgegeben, das ist ungerecht.“

In der Frage der Sanktionsfreiheit sind die Herangehensweisen ebenfalls grundsätzlich unterschiedlich. „Es ist nicht so, dass Tausende Menschen einfach nur die Hand aufhalten“, sagte Schwesig. Sie berichtete, sie selbst habe als Jugendliche erlebt, wie ihr Vater nach der Wende arbeitslos wurde. „Das ist bedrückend für die Menschen, die es betrifft, und für ihre Kinder.“

Es ist nicht so, dass tausende Menschen einfach nur die Hand aufhalten.

Manuela Schwesig

Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sagte, Sanktionen würden die Menschen nicht motivieren. Für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Betroffenen und Jobcenter brauche es einen Vertrauensvorschuss.

Die Gegenposition vertrat Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Wirtschaftsministerin im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg. „Gerade Menschen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwertun, werden alleine gelassen, wenn man sie in die Unverbindlichkeit entlässt“, sagte sie. Es brauche Leitplanken und auch aus Gründen der Akzeptanz klare Grenzen.

Selbst wenn nur drei Prozent der Transferbeziehenden das System ausnutzten: „Es genügen Einzelfälle, um die Atmosphäre zu vergiften.“ Ihr Ziel als Ministerin sei nicht, die Reform zu verhindern. Sie wolle sie aber verbessern, weil das Bürgergeld in Deutschland eine „große, entscheidende Rolle“ für die kommenden Jahre spielen werde.

Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg, am Rednerpult im Bundesrat.
Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg, am Rednerpult im Bundesrat.

© dpa / Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Groß sind die Differenzen auch beim Thema Schonvermögen: „Völlig überhöht“, befand der bayerische Minister Herrmann. Wer immer davon spreche, die Menschen sollten privat fürs Alter vorsorgen, könne nicht sagen, das Schonvermögen müsse angegriffen werden, befand hingegen Benjamin-Immanuel Hoff (Linkspartei), Chef der Staatskanzlei und Minister für Bundesangelegenheiten in Thüringen.

Es genügen Einzelfälle, um die Atmosphäre zu vergiften.

Nicole Hoffmeister-Kraut

Er sprach davon, dass es in Ostdeutschland sehr viele Menschen gebe, die hart arbeiteten, aber dennoch mit Transferleistungen aufstocken müssten. Für diese Menschen sei das Bild, der ehrliche Arbeitnehmer müsse sich durch das Bürgergeld zurückgesetzt fühlen, nicht nachvollziehbar.

Hoff machte außerdem klar, dass die Ampel sich nicht nur mit der Union einigen muss, sondern dass auch am anderen Ende des politischen Spektrums Komplikationen drohen. Er sagte, auch die Linkspartei habe Forderungen, wenn nun im Vermittlungsausschuss das vorliegende Paket noch einmal aufgeschnürt werde.

Hoff nannte mehrere Punkte und stellte beispielsweise infrage, ob der geplante Regelsatz armutsfest sei. Auch kündigte er an, noch einmal diskutieren zu wollen, ob weiße Ware wie Kühlschränke und Waschmaschinen künftig einmalig vom Jobcenter finanziert werden sollten.

Die Ampel muss also auch die Länder im Blick behalten, in denen die Linkspartei an der Regierung beteiligt ist. Das sind neben Thüringen Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. Rechnerisch käme es auf die Stimmen aus diesen vier Ländern nicht an, wenn alle anderen sich einig wären. Franziska Giffey (SPD), Manuela Schwesig und der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) werden aber kaum dem Bürgergeld im Bundesrat ihre Zustimmung verweigern wollen, ebenso wenig wie die übrigen mitregierenden Ampelparteien in diesen vier Ländern.

Nur eine Minderheit: Die Ja-Stimmen für das Bürgergeld waren im Bundesrat am 14.11. zu wenige.
Nur eine Minderheit: Die Ja-Stimmen für das Bürgergeld waren im Bundesrat am 14.11. zu wenige.

© Reuters/Michele Tantussi

Der Druck ist hoch, und die Zeit ist knapp, auch weil Ende des Jahres einige pandemiebedingte Sonderregeln auslaufen, die durch das Bürgergeld-Gesetz zum neuen Normalfall werden sollen. „Meine Hand ist zur Lösung ausgestreckt“, sagte Minister Heil. Das Gesetz müsse bis Ende November beschlossen sein, damit die Jobcenter die Umsetzung zum Januar vorbereiten könnten.

Omid Nouripour, Parteichef der Grünen, warnte am Montag nach dem Nein des Bundesrats vor einem möglichen Scheitern der Pläne. „Es ist möglich, dass das Bürgergeld im Vermittlungsausschuss versandet“, sagte er. „Die Möglichkeit gibt es, wenn die Union komplett auf Blockade stellt und einfach drauf setzt, dass Hartz IV bleibt, wie es ist.“

Wir haben gar keinen Druck, diese Reform jetzt im Schweinsgalopp durch die Parlamente zu bringen.

Mario Czaja

Die CDU will sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen. „Wir haben gar keinen Druck, diese Reform jetzt im Schweinsgalopp durch die Parlamente zu bringen“, sagte Generalsekretär Mario Czaja im ZDF. Auf Twitter betonte er: „Unsere Hand bleibt ausgestreckt.“ Bayern zog am Dienstag klare rote Linien. Bayerns Sozial- und Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU) nannte nach einer Sitzung des Kabinetts in München drei Punkte, die das Bürgergeld „für uns nicht zustimmungsfähig machen“. „Dass es so gut wie keine Sanktionen gibt, ist nicht akzeptabel“, betonte Scharf etwa.

FDP ist bereit für einen Kompromiss

Die FDP sendet unterdessen Kompromisssignale an die Union. „Es bringt ja nichts, wenn alle auf dem Baum bleiben“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Dienstag. Aber die Union verbreite „Märchen, wenn sie die ersten sechs Monate als sanktionsfreie Zeit darstellt“. Es sollten nur bestimmte Sanktionsmöglichkeiten wegfallen, die am Anfang des Bezugs ohnehin keine Relevanz hätten. Ziel dabei sei, Bürokratie abzubauen. „Aber wenn die Union dieses Symbol braucht, bin ich dafür offen, Sanktionsmöglichkeiten beizubehalten.“

Dürr schloss aber aus, nur die Beträge der heutigen Hartz-IV-Sätze zu erhöhen, wie dies die Unionsspitzen gefordert hatten. „Wenn wir nur die Regelsätze erhöhen, wie die Union das will, verringern wir den Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen“, sagte der FDP-Politiker.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte im Frühstart von RTL/ntv: „Wenn die Union der Meinung ist, hier gibt es Wege, Sanktionen zu schärfen, dieses System des Bürgergeldes effizienter zu gestalten, dann sind wir sehr gerne dabei, mit der Union über diese Frage zu reden.“ Auch über Zuverdienstmöglichkeiten und weitere Qualifizierungsmaßnahmen könne man verhandeln. Mit der Union gebe es „große Schnittmengen“. Den ersten Entwurf des SPD-Arbeitsministers Hubertus Heil habe die FDP bereits nachgeschärft.

Am 25. November tagt der Bundesrat wieder, Heils Ziel ist es, dass sich alle Seiten bis dahin einigen. Er bitte um den guten Willen aller Beteiligten, sagte er in seiner Rede im Bundesrat.

Pragmatischer formulierte es nach der Sitzung Minister Hoff aus Thüringen. Er zitierte vor den Türen des Sitzungssaals ein Bonmot, seinen Worten nach einem Calvin-und-Hobbes-Comic entnommen: „Ein guter Kompromiss ist, wenn alle Seiten sauer sind.“ Das zumindest dürfte in Sachen Bürgergeld leicht zu erreichen sein. (mit dpa)

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