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Rückblende 2023. Der Deutsche Preis für politische Fotografie und Karikatur

© Getty Images

Bitteres Jahr 2023: Bilder von Krieg und Schock – aber auch von Mutigen

Ukraine, Israel, Gaza, Klima, Etat: Der Deutsche Preis für politische Fotografie und Karikatur wurde von vielen harten Themen geprägt.

Insgeheim hatten wohl alle gehofft, dass es nach dem Jahr mit dem blutigen Angriffskrieg von Wladimir Putin gegen die Ukraine wenigstens 2023 mehr Licht als Schatten in der politischen Landschaft geben möge. Doch am Ende wurden alle eines Schlechteren belehrt. Der Krieg im Osten kostet immer mehr Menschen das Leben, die Terrororganisation Hamas überfiel Israel am 7. Oktober so brutal, wie es sich kaum jemand in dem ohnehin anhaltenden Konflikt ausgemalt hätte. Die Diskussion und die Gewalt erreichten mit großer Wucht auch Deutschland. Diese Themen beschäftigten auch die Fotografen und die Karikaturistinnen der Rückblende 2023.

53
Foto-Serien, rund 700 weitere Fotos und 326 Karikaturen haben die Jurymitglieder für die Rückblende 2023 begutachtet.

Der Deutsche Preis für politische Fotografie und Karikatur ist in seinem 40. Jahr von besonders harten Ereignissen geprägt. Er wird von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz und dem Bundesverband der Zeitungsverleger und Digitalpublisher in Kooperation mit der Bundespressekonferenz veranstaltet.

Die Jury sah fast 700 Fotos, die von 188 Teilnehmenden eingereicht wurden. Außerdem begutachtete sie 53 Foto-Serien und 326 Karikaturen von 58 Einreichenden.

Das beste Foto: Markus C. Hurek fing sensibel das innige  Zwiegespräch der 102-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer mit dem Pianisten Igor Levit am Rande eines Solidaritätskonzerts für Jüdinnen und Juden ein.
Das beste Foto: Markus C. Hurek fing sensibel das innige Zwiegespräch der 102-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer mit dem Pianisten Igor Levit am Rande eines Solidaritätskonzerts für Jüdinnen und Juden ein.

© Markus C. Hurek

Innig und eindringlich

Nach intensiven Diskussionen stand für die Jury fest: Das alle mahnende wie sehr intime Foto, das die 102-jährige Holocaustüberlebende Margot Friedländer am 27. November 2023 im Zwiegespräch mit Pianist Igor Levit am Rande des Solidaritätskonzerts für die Jüdinnen und Juden zeigt, muss das Siegerfoto in diesem bitteren Jahr sein. Markus C. Hurek, der für „Focus“ arbeitet, gelang diese intensive Schwarz-Weiß-Aufnahme. Es wirkt fast, als hielten sie sich nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel aneinander fest. Und, als wolle Friedländer im übertragenen Sinne den Staffelstab an den jüngeren Levit übergeben, damit er ihr Werk fortsetze: nicht zu vergessen und sich für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland einzusetzen, wenn sie es einmal nicht mehr kann.

Scharfer Kontrast

Im direkten Kontrast dazu steht das Foto, das fürs scharfe Sehen ausgezeichnet wird: Jens Schlüter fotografierte den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der sich in Magdeburg für ein Interview schminken lässt. Der Politiker genießt die Situation offenbar – doch der Pinsel legt unaufgeregt offen, was sich hinter der Fassade verbirgt: Es könnte ein Hitlerbärtchen sein, es ist auf jeden Fall eine rechtsextreme Gesinnung.

Foto-Preis „Das scharfe Sehen“: Jens Schlüter fing diesen Blick hinter die Maske des rechtsextremen Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke ein, der sich offenbar wohlig für einen TV-Auftritt schminken lässt.
Foto-Preis „Das scharfe Sehen“: Jens Schlüter fing diesen Blick hinter die Maske des rechtsextremen Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke ein, der sich offenbar wohlig für einen TV-Auftritt schminken lässt.

© Jens Schlüter

Es gibt sie überall: engagierte junge Menschen

Trotz all der düsteren Entwicklungen: Viele junge Menschen engagieren sich in und für Deutschland. Dieses Thema fing Rainer Kwiotek in der besten Foto-Serie ein, die er „Wir sind Deutschland“ genannt hat. Die Fotos erschienen zu Reportagen über sechs junge Leute aus verschiedenen Teilen der Republik.

Sie erzählen, wie sie mit diesen schwierigen Zeiten zwischen Krieg und Klimakrise umgehen. Die Serie ist im Mut-Magazin erschienen, das 14 Zeitungen einmal im Jahr beiliegt, unter anderem der „Frankfurter Rundschau“. Darin geht es um Menschen, die Lösungen erarbeiten. Kwiotek wird für seine Serie mit der begehrten Leica-Kamera ausgezeichnet.

Jakob Kieling, 18, Auszubildender aus Kloster Lehnin.
Jakob Kieling, 18, Auszubildender aus Kloster Lehnin.

© Rainer Kwiotek/ MUT/ ZEITENSPIEGEL

Parzival Rau Freiherr von Nagell, 20, Boxer und Boxtrainer für Kinder.
Parzival Rau Freiherr von Nagell, 20, Boxer und Boxtrainer für Kinder.

© Rainer Kwiotek/MUT

Elisa Draht, 19, Fotografin.
Elisa Draht, 19, Fotografin.

© Rainer Kwiotek/MUT

Finn Lüschen-Strudthoff, 20, Landwirt.
Finn Lüschen-Strudthoff, 20, Landwirt.

© Rainer Kwiotek/MUT

Nathalie Neumann, 20, LGBTQ-Aktivistin.
Nathalie Neumann, 20, LGBTQ-Aktivistin.

© Rainer Kwiotek/MUT

Jakob Springfeld, 20, engagiert sich gegen rechts.
Jakob Springfeld, 20, engagiert sich gegen rechts.

© Rainer Kwiotek/MUT

Meister des spitzen Strichs

Auch bei den Karikaturen dominierten eher düstere Themen. Das mit dem Verfassungsgerichtsurteil kurz vor dem Jahresende sich plötzlich auftuende Milliardenloch im Etat beschäftigte die Meister des spitzen Strichs natürlich auch. Doch noch eindringlicher brachte Michael Holtschulte mit seiner Karikatur das schleichende Abdriften allzu vieler Unzufriedener nach rechts außen auf den Punkt. Holtschulte zeichnete die Siegerkarikatur „Quo vadis?“ für die „Süddeutsche Zeitung“.

1. Preis Karikatur: Wohin die steigende Unzufriedenheit bei allzu vielen Menschen in Deutschland führt, hat Michael Holtschulte gezeichnet.
1. Preis Karikatur: Wohin die steigende Unzufriedenheit bei allzu vielen Menschen in Deutschland führt, hat Michael Holtschulte gezeichnet.

© Michael Holtschulte/ Süddeutsche Zeitung

Ein besonderer Blick auf die Klimakleber

Der zweite Preis bei den Karikaturen geht an Burkhard Fritsche. Er betrachtete das umstrittene Heizungsgesetz für die „taz“. „Berlin klebt!“ hat Fritsche seine Karikatur genannt – in Anlehnung an die zumeist jüngeren Aktivisten der Letzten Generation, die sich auf Straßen festkleben, um gegen klimaschädlichen Verkehr zu protestieren.

2. Preis Karikatur: Burkhard Fritsche hat sich dem Thema Klimakleber und Heizungsgesetz amüsant aus der Perspektive einer anderen Generation genähert.
2. Preis Karikatur: Burkhard Fritsche hat sich dem Thema Klimakleber und Heizungsgesetz amüsant aus der Perspektive einer anderen Generation genähert.

© Burkhard Fritsche

Provozieren für den Frieden

Beim dritten Preis führte aus Sicht der Jurymitglieder kein Weg an der mit scheinbar einfachen Mitteln so brutal deutlichen Karikatur von Ioan Cozaku (Nel) vorbei, die in wenigen Strichen die tödlichen Kriegs-Folgen einfängt.

Die Jury diskutierte intensiv über die Wirkung der Zeichnung. Ihre Einschätzung: Cozaku hat eine eindringliche Anti-Kriegs-Karikatur gezeichnet, sie provoziert für den Pazifismus. Auf keinen Fall setzt Cozaku den Aggressor Russland mit den Angegriffenen in der Ukraine glleich, die sich gegen den Überfall auf ihr Land wehren. Für viele Menschen ist das Ergebnis des Krieges bitterer Weise dennoch auf beiden Seiten: der Tod.

3. Preis Karikatur: Ioan Cozaku bringt mit wenigen Strichen das große Leid der Menschen nahe, das der Angriff Russlands auf die Ukraine gnadenlos mit sich bringt. 
3. Preis Karikatur: Ioan Cozaku bringt mit wenigen Strichen das große Leid der Menschen nahe, das der Angriff Russlands auf die Ukraine gnadenlos mit sich bringt. 

© Ioan Cozaku / Nel

Immer das liebe Geld

Die zur Preisverleihung zum Auftakt des politischen Jahres in der Hauptstadt eingeladenen Gäste ahnten schon mit der Einladung kurz vor Weihnachten, dass es bei der Rückblende 2023 auch um allerlei politische Taschenspielertricks gehen würde.

Heiko Sakurai belauschte die bescheidenen Ampel-Granden, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), die sich kurz vor dem Jahresende wegen des Karlsruher Verfassungsgerichtsurteils Gedanken machen mussten, wie sie in aller Schnelle noch einen verfassungsmäßigen Haushalt aufstellen könnten. Angesichts des Milliarden-Lochs wäre Hilfe von höherer Warte sicher willkommen gewesen. Ein besonderer Griff in die politische Trickkiste als Plan B. Die Karikatur erschien in der „Rhein-Neckar-Zeitung“.

So malte sich Heiko Sakurai die Überlegungen der Ampelkoalitionäre aus, die kurz vor Weihnachten ein Milliardenloch im Etat stopfen mussten.
So malte sich Heiko Sakurai die Überlegungen der Ampelkoalitionäre aus, die kurz vor Weihnachten ein Milliardenloch im Etat stopfen mussten.

© Heiko Sakurai

Clash der Kulturen Unter den Linden

Für die Einladung zur Finissage der Berliner Ausstellung am 23. Februar 2024 wählte die Rückblende-Jury ein Foto zu einem der großen Themen des Jahres 2023. Oliver Feldhaus fing in seinem beeindruckenden Bild einen Clash der Kulturen Unter den Linden in Berlin ein. Fürs Klima demonstrierende junge Leute und (unter anderen) teilnahmslose und verknöcherte Passanten, nah beieinander und doch Lichtjahre voneinander entfernt. 

Oliver Feldhaus fotografierte Unter den Linden in Berlin fürs Klima demonstrierende junge Leute und (unter anderen) teilnahmslose und verknöchert wirkende Passanten – so nah beieinander und doch Lichtjahre voneinander entfernt. 
Oliver Feldhaus fotografierte Unter den Linden in Berlin fürs Klima demonstrierende junge Leute und (unter anderen) teilnahmslose und verknöchert wirkende Passanten – so nah beieinander und doch Lichtjahre voneinander entfernt. 

© Oliver Feldhaus

Intensive Diskussionen

Die Jurymitglieder haben über einige Arbeiten besonders intensiv diskutiert. Natürlich bieten politische Fotos wie Karikaturen immer einen Interpretationsspielraum, der sehr unterschiedliche Reaktionen und große Emotionen auslösen kann. Nicht zuletzt, wenn es um Krieg und seine Opfer geht oder um die Radikalisierung in der Gesellschaft. Beunruhigend breite Teile driften – möglicherweise schleichend aus reiner Unzufriedenheit mit den Plagen ihres Alltags – nach rechts. Die Umfrageergebnisse für die AfD lassen nichts Gutes ahnen. Wie damit gut umgehen? Wird zu wenig gezeigt – oder zu viel? Fotografen und Karikaturisten haben seit geraumer Zeit gewarnt. Nun wird es offenbar der bisher oft schweigenden Mehrheit zu viel. Ermutigend viele Menschen demonstrieren für die Demokratie.

Mit Leidenschaft und Respekt

Die Diskussionen in beiden Jurys waren klar wie leidenschaftlich. Aber vor allem immer von gegenseitigem Respekt getragen. Und die Entscheidung für die Preise erfolgte trotz manch unterschiedlicher Standpunkte in guter Harmonie. Ein wenig mehr Licht als Schatten wünschen sich viele für das kommende politische Jahr - und ein wenig mehr Heiterkeit.

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