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Sahra Wagenknecht

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Update

Auf Anhieb fünftstärkste Kraft: Neue Wagenknecht-Partei käme derzeit auf zwölf Prozent

Eine aktuelle Umfrage am Tag der Vorstellung von Wagenknechts Bündnis zeigt das enorme Wählerpotenzial. Die Linke hingegen würde demnach an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

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Die Politikerin Sahra Wagenknecht verlässt die Linke und gründet ihre eigene Partei. „Wir haben uns zur Gründung einer neuen Partei entschieden, weil wir überzeugt sind, so wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen“, sagte Wagenknecht am Montag in Berlin. „Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“

Die Partei soll Anfang 2024 gegründet werden. Neben den Wahlen zum EU-Parlament im Juni soll sie dann auch bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg antreten. „Wir streben an, in den drei Bundesländern zu kandidieren“, sagte Wagenknecht. Sie betonte jedoch, dass die Entscheidung letztlich bei der neu zu gründenden Partei liege.

Laut einer Insa-Umfrage für die „Bild“-Zeitung käme eine Wagenknecht-Partei derzeit auf zwölf Prozent und wäre auf Anhieb fünftstärkste Kraft in Deutschland. 2004 Menschen nahmen an der Sonntagsumfrage teil. Die Grünen lägen in der Umfrage bei 12,5 Prozent, CDU/CSU kämen bei 26,5, die AfD bei 18 Prozent. SPD käme auf 15,5 Prozent der Stimmen, die FDP auf 5,5 Prozent. Die Linken würde mit vier Prozent den Einzug in den Bundestag verpassen.

Insa-Chef Hermann Binkert erklärte, dass eine Wagenknecht-Partei die politische Landschaft verändere: „Bisherige Koalitionsmöglichkeiten, wie ein Jamaika-Bündnis, hätten keine parlamentarische Mehrheit mehr. Die Ampel plus Wagenknecht käme dagegen auf eine knappe parlamentarische Mehrheit.

Bis zur Gründung wollen Wagenknecht und ihre neun Mitstreiter mit Mandat weiter in der Linken-Bundestagsfraktion bleiben, wie sie deutlich machten. Die 54-Jährige begründete das auch mit Rücksicht auf Beschäftigte in der Fraktion und einem „geordneten Übergang“.

Die Fraktion hat nur 38 Abgeordnete. Wenn mehr als zwei von ihnen austreten oder ausgeschlossen werden, verliert sie den Fraktionsstatus und kann nur noch als Gruppe weitermachen. Die Linken-Spitze hat Wagenknecht und ihre Unterstützer hingegen zur Abgabe der Mandate aufgefordert.

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Das Lager um Wagenknecht hat trotz ihres Parteiaustritts schon Anträge auf den Verbleib in der Linksfraktion gestellt. Das sagte Vize-Fraktionschefin Gesine Lötzsch am Montag dem Tagesspiegel. „Wir werden am Mittwoch eine Sitzung des verbleibenden Fraktionsvorstandes durchführen und das weitere Vorgehen beraten“, sagte Lötzsch.

„Unsere Fraktion wird souverän und in großer Ruhe darüber entscheiden“, erklärte auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch in Berlin. Den Schritt der zehn Abgeordneten nannte er „unverantwortlich und inakzeptabel“.

Parteigründung vorbereiten und Spenden einsammeln

Laut der Geschäftsordnung der Fraktion können Fraktionsmitglieder auch nach Parteiaustritt Mitglieder bleiben. Das muss binnen 48 Stunden beantragt werden. Letztlich muss die Fraktion den Anträgen aber zustimmen. Vize-Fraktionschefin Lötzsch selbst hatte sich am Wochenende bereits dafür ausgesprochen, die Fraktion so lange wie möglich zu erhalten, auch um die 108 Mitarbeiter nicht entlassen zu müssen.

Wagenknecht hatte bereits seit Monaten Erwägungen zur Gründung der Partei angestellt. Vor einigen Wochen hatten ihre Unterstützer den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit“ registrieren lassen. Dieser soll die Parteigründung nun vorbereiten und Spenden einsammeln. Vorsitzende ist die bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali. Geschäftsführer ist der frühere Geschäftsführer der Linken in NRW, Lukas Schön, Schatzmeister der Millionär Ralph Suikat.

Die Ausrichtung der Linken kommt bei den Wählerinnen und Wählern nicht mehr an.

Sahra Wagenknecht

Bei der Pressekonferenz in Berlin kritisierte Wagenknecht erneut scharf die Ampel-Koalition, die Deutschland schlecht regiere. Deutschland drohe ein Wohlstandsverlust. Das Land müsse weg von einem blinden Öko-Kurs, der Mindestlohn müsse deutlich angehoben werden. Die Menschen, die aus Wut die AfD wählen würden, bräuchten eine neue Partei. Diese fühlten sich nicht mehr vertreten.

Die Linke fahre einen Kurs, mit dem sie es nicht mehr in den nächsten Bundestag schaffen würde, sagte Wagenknecht. „Die Ausrichtung dieser Partei kommt bei den Wählerinnen und Wähler nicht mehr an.“ Deshalb brauche es eine neue politische Kraft.

Der Bundestagsabgeordnete Christian Leye sagte, Wagenknecht und ihre Unterstützer hätten sich zu der Parteigründung entschlossen, weil „uns politisch keine andere Wahl bleibt“. Er sprach von einer undurchdachten Politik, schlechten Schulen und maroden Brücken. „Das Land wurde kaputtgespart, inzwischen bröckelt nicht nur die Fassade“, sagte Leye.

Viele Menschen mit geringem Einkommen fühlten sich nicht mehr vertreten. Für sie wolle die neue Partei „den Rücken gerade machen“. Viele gingen gar nicht mehr zur Wahl. „Wir haben ein Demokratieproblem“, sagte Leye. Die neue Partei strebe einen langsamen Aufbau an und wolle sich langfristig etablieren.

Abgeordneter will Parteiaufbau in Rheinland-Pfalz organisieren

Der bisherige Linke-Abgeordnete Alexander Ulrich zählt zu den Parlamentariern, die die aus der Partei Die Linke ausgetreten sind und sich dem BSW angeschlossen haben. „Ich bin heute ausgetreten und werde eine wichtige Rolle einnehmen, um in meinem Bundesland Rheinland-Pfalz den Parteiaufbau zu organisieren“, sagte Ulrich am Montag dem Tagesspiegel. Er wolle seine „parlamentarischen Möglichkeiten nutzen, um die Inhalte von BSW im Parlament und außerhalb zu platzieren“.

Ulrich, 52, ist Bundestagsabgeordneter seit 2005. Er ist schon lange ein Wagenknecht-Anhänger. Als die Linken-Spitze sie im Sommer aufgerufen hatte, ihr Mandat zurückzugeben, sagte Ulrich, sie spreche „für Millionen Menschen in der Bevölkerung und für Tausende Mitglieder an der Parteibasis, die sich von diesem Vorstand und seinem Kurs nicht mehr vertreten fühlen“. 

Einer Insa-Umfrage für „Bild am Sonntag“ zufolge könnten sich 27 Prozent der Befragten in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Wahlumfragen sind aber generell mit Unsicherheiten behaftet.

Parteiführung kündigt harte Konsequenzen an

Die Linke-Parteispitze will gegen die Wagenknecht-Mitstreiter vorgehen. Gegen die Beteiligten des Vereins BSW sollen Parteiausschlussverfahren eingeleitet werden, heißt es in einer Beschlussvorlage, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zuvor hatte das ARD-Hauptstadtstudio darüber berichtet. Gemeinsam mit den zuständigen Gliederungen soll geprüft werden, wie Mitgliedsrechte entzogen werden können. Jene Abgeordneten, die sich an dem Verein beteiligt, werden aufgefordert, ihre über die Linke errungenen Mandate niederzulegen.

Die Parteispitze will zudem eine Mitgliederoffensive starten. Zugleich hat sie nach monatelangen Spekulationen um Wagenknechts Pläne, die die Linke lähmten, nun Klarheit. „Unser Comeback beginnt heute“, heißt es in dem Papier.

Es soll laut ARD am Montag vom Geschäftsführenden Parteivorstand beschlossen werden. Parteichef Martin Schirdewan hat für 13 Uhr zu einem Statement geladen. „Es ist doch klar, dass diejenigen, die sich an der Bildung einer Konkurrenzpartei beteiligen, in unserer Partei nichts mehr zu suchen haben und rausfliegen werden“, sagte der Parteichef bereits am Sonntag in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

Linke sieht mögliche Wagenknecht-Partei nicht als Konkurrenz

Schirdewan erwartet eine Positionierung des Wagenknecht-Bündnisses im rechten Parteispektrum. „Wenn Sahra Wagenknecht mit ihrem Projekt Erfolg haben will, wird sie sich deutlich rechts aufstellen müssen“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. „Und alle Zeichen deuten darauf hin, dass sie genau das zu tun beabsichtigt.“ Das sei keine Konkurrenz für die Linke, sondern für andere, sagte Schirdewan, ohne eine Partei explizit zu nennen. „Eine linke Partei muss Menschen solidarisch zusammenführen, und sie darf sie niemals gegeneinander ausspielen.“

Der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi sagte dem ZDF, Wagenknechts Politik-Angebot sei schwierig. „Sie will Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik ein bisschen wie die Linke. Und dann hat man immer die Hoffnung, man kriegt von allen drei Wählerinnen und Wählern. Da kann man sich aber auch täuschen, das kann eine Minusrechnung werden.“ Er glaube, dass Wagenknecht Anfangserfolge haben werde - „und dann nicht mehr“.

Noch ist Dietmar Bartsch neben der Wagenknecht-Unterstützerin Amira Mohamed Ali Fraktionschef. Nach seinen Worten will sich die Linke in der Auseinandersetzung mit anderen Parteien nicht auf das Wagenknecht-Bündnis konzentrieren. „Die Wagenknecht-Partei wird nicht der Bezugspunkt für die Linke sein, sondern ganz klar die chaotische Politik der Ampel-Bundesregierung“, sagte Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag).

„Die Linke wird in den Kommunen, Ländern, außerhalb der Parlamente im Interesse der Wählerinnen und Wähler solide weiterarbeiten“, kündigte Bartsch an. Er verwies auf die Beteiligung seiner Partei an den Landesregierungen in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. Seine Partei werde wieder „auf die Erfolgsspur“ kommen, zeigte sich Bartsch überzeugt.

Kommendes Jahr werden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Landtage gewählt. In Thüringen hätte eine Wagenknecht-Partei einer Insa-Umfrage vom Juli zufolge Potenzial, stärkste Kraft im Freistaat zu werden - vor allem auf Kosten der AfD und der Linken. (Tsp, dpa, AFP)

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