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Das Überleben auf den Intensivstationen hing und hängt auch am Knowhow der Pflegekräfte.

© Christophe Gateau/dpa

Tag der Pflegenden und nahende Streiks: Auch der Dienst am Menschen muss bezahlt werden. Auch?

Es war lange das Pech der Pflegekräfte, dass man bei ihnen mehr Berufung als Beruf wähnte. Doch der Wendepunkt ist da. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Es soll niemand geringerer als Gott selbst gewesen sein, der dem jungen Mädchen aus begütertem Elternhaus jenen Floh ins Ohr setzte, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts zum „Kickoff“ der professionellen Pflege auswuchs. Name des Mädchens: Florence Nightingale. Ihr Geburtstag, der 12. Mai, ist der (heute sogenannte) Tag der Pflegenden. Er gilt einer Branche, die in den vergangenen Monaten ein Neuerweckungserlebnis hatte. Quasi Nightingale 2.0.

Die junge Britin hat gegen den elterlichen Wunsch Krankenschwester gelernt und vor allem im Krimkrieg durch die Versorgung der Verarzteten dafür gesorgt, dass deren Sterberate dramatisch gesunken ist. Nun war, was 1853 bis 1856 als Krimkrieg wütete, viel blutrünstiger als die aktuelle Viruspandemie, doch sind es auch jetzt mangels medizinischer Heilmethoden vor allem pflegerisches Knowhow und Engagement, was auf den Intensivstationen das Sterben der Covid-19-Patienten begrenzt.

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Das wurde von der Gesellschaft dankbar wahrgenommen, und es hat – viel wichtiger – einen Selbstbewusstseinsschub bei den Pflegenden ausgelöst. Befördert wurde das durch zahlreiche Berichte von den Intensivstationen, die Pflegekräfte via Social Media austauschten. Dass sie darin sich und ihre Situation wiedererkannten, hat nach Einschätzung des Berufsverbands für Pflegeberufe bei den Beschäftigen den Sinn fürs gemeinsame Anliegen wecken können: bessere Arbeitsbedingungen.

Und so könnte jetzt der Wendepunkt bevorstehen, der die Pflegeberufe ein für allemal entbindet vom Gottgewollten, das auch einer Florence Nightingale den Weg wies – oder wenn man es mit Christi Himmelfahrt bebildern will: dem Schritt hin zum Allmächtigen. Denn das ist eine wunderbare Begründung für Lebensentscheidungen, aber eine schlechte für Gehaltsforderungen. Das haben viele vergangene Jahre gezeigt, in denen Pflegekräfte bezahlt wurden, als machten Dankeslächeln Kühlschränke voll. Inzwischen ändert sich da etwas – auf beiden Seiten der Jobfront.

[Lesen Sie bei T-Plus: Ein Jahr auf der Corona-Station: Wie die dritte Welle Pflegekräfte ans Limit bringt.]

Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts sind die Gehälter von Pflegekräften in den vergangenen zwölf Jahren um bis zu 38 Prozent gestiegen. Das ist viel, aber hoch sind die Löhne (Fachkräfte in Krankenhäusern bekommen im Schnitt 3580 Euro im Monat) damit nicht. Und sie sind auch noch lange nicht da, wo sie nach Vorstellungen des Pflegeberufeverbands sein sollten: bei 4000 Euro brutto Einstiegsgehalt.

Die Zahl stammt aus einer arbeitssoziologischen Untersuchung, für die Pflege- und andere Berufe in den Kategorien Wissen/Können, Belastung und Verantwortung verglichen wurden. Alles drei sei bei Pflege- und Ingenieursberufen ähnlich. Nicht aber die Bezahlung. Gerade dieser Unterschied sollte nach der Pandemie für neuerliches Stirnrunzeln gut sein.

Wem ist ein leistungsfähiges Auto wichtiger als leistungsfähige Pflege?

Oder kann, nachdem sich mehr als ein Jahr lang fast alles um Wohl und Wehe der Kranken und Siechen gedreht hat, jene Logik unberührt bleiben, nach der ein Mensch, der andere durch sorgfältige Betreuung am Leben hält, weniger Geld verdient als einer, der durch rechnerische Kompetenz Autos zu Kilometerfressern macht? Umgekehrt gefragt: Wem ist ein garantiert leistungsfähiges Auto wichtiger als eine garantiert leistungsfähige Pflege? Kein Finger oben? Na also.

Wenn das Bewusstsein, dass sie über eine allen Menschen wichtige Qualifikation verfügen, in das Denken der Pflegekräfte einsickert, dürfte das Auswirkungen auf kommende Arbeitskämpfe haben: auf die Streit- und Streiklust, das Beharrungsvermögen und auch auf den gewerkschaftlichen Organisationsgrad.

Die Pflege ist extra nah am Menschen, das macht sie besonders. Und nicht nur ihre Begründerin, sondern bis heute ein Großteil der Pflegenden, ist weiblich und ließ sich mit dem ideellen Lohn der Helfenden (ver-)trösten. Dass das dazu geführt hat, aus der Pflege eine Niedriglohnbranche zu machen, sagt nicht viel Gutes über diese Gesellschaft aus. Soll auch die ihr 2.0-Erlebnis bekommen.

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