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Revolutionsführer Ali Chamenei gibt im Iran die Richtung vor. Hält er einen Deal mit dem Westen noch für möglich?

© AFP

Atomabkommen vor dem Scheitern?: Irans Provokation, Amerikas Zweifel

Teheran schaltet Kameras ab, die das Atomprogramm überwachen sollen. Ist das ein taktischer Schachzug oder der endgültige Bruch mit dem Westen?

Ein Arbeiter in einer Atomanlage legt die Schalter in einem Sicherungskasten um, worauf zwei Lampen einer blauen Kamera in der Nähe erlöschen. Diese Aufnahmen des iranischen Fernsehens zeigten jüngst den Moment, an dem Teheran damit begann, die visuelle Überwachung seines Nuklearprogramms abzubauen.

Die Islamische Republik will 27 Kontrollkameras der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ausschalten – und die Uran-Anreicherung weiter verstärken. Damit wächst die Gefahr eines neuen Krieges im Nahen Osten.

Das Entfernen der Kameras ist die Antwort des Iran auf eine Resolution des IAEA-Vorstands, die vorige Woche von den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien vorgelegt und mit großer Mehrheit angenommen wurde. In dem Beschluss wird moniert, die Führung in Teheran habe der Kontrollbehörde nicht alle Fragen zu seinem Atomprogramm beantwortet.

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Der Iran hatte bereits vor Verabschiedung der Resolution mit Vergeltung gedroht – und baute dann die Kameras ab. Zudem nahm das Regime in den vergangenen Tagen hochmoderne Zentrifugen zur Uran-Anreicherung in Betrieb, die dem Land schon bald waffenfähiges Uran liefern könnten.

Kameras und Messgeräte, die von IAEA-Experten aus der Ferne ausgewertet werden können, waren ein Kernbestandteil des 2015 geschlossenen Abkommens. Damals fügte sich Teheran der Überwachung, die verhindern sollte, dass heimlich Atomwaffen gebaut werden. Im Gegenzug sollten westliche Sanktionen gegen den Gottesstaat abgebaut werden.

Der US-Präsident hat mit innenpolitischem Widerstand zu kämpfen

er damalige US-Präsident Donald Trump kündigte aber den Vertrag 2018 auf und erließ neue Strafmaßnahmen, woraufhin der Iran die Uran-Anreicherung weit über das vertraglich erlaubte Maß hinaus steigerte. Trumps Nachfolger Joe Biden will das Abkommen neu beleben. Doch Verhandlungen in Wien liegen seit März auf Eis. Diplomaten geben einer Übereinkunft kaum noch eine Chance. Auch, weil sich Amerika schwer tut.

Biden steht innenpolitisch unter Druck, weil im Herbst Kongresswahlen anstehen. Iran-Gegner im Parlament lehnen ein neues Atomabkommen ab. Auch für die Machthaber in Teheran wird die Lage im eigenen Land brenzlig. Die Wirtschaft sinkt wegen der Sanktionen immer tiefer in die Krise.

Rafael Grossi, Direktor der Atomenergiebehörde, ist skeptisch, ob es mit einer Neuauflage des Nuklearabkommens noch klappt.
Rafael Grossi, Direktor der Atomenergiebehörde, ist skeptisch, ob es mit einer Neuauflage des Nuklearabkommens noch klappt.

© Alex Halada/AFP

Präsident Ebrahim Raisi steht wegen einem umstrittenen Subventionsabbau in der Kritik. Es gibt immer wieder Proteste der notleidenden Bevölkerung. Der Erzfeind Amerika könnte ihm als Sündenbock dienen.

Noch ist unklar, was der Iran mit seinem Konfrontationskurs erreichen will. Bedeutet das Abschalten der Kameras, dass Raisi die Bemühungen um ein neues Abkommen aufgibt und alles daran setzt, möglichst bald eine Atombombe zu bauen? Oder versucht Teheran, Zugeständnissen zu erzwingen?

Auch wenn 27 Kameras ausgeschaltet werden, verfügt die IAEA im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages immer noch über mehr als 40 Überwachungsgeräte im Iran. Möglicherweise wollen die Mullahs pokern. Iran verlangt, dass die USA die Einstufung der Revolutionsgarde als Terrorgruppe zurücknehmen. Biden lehnt das ab.

Wenn die Verhandlungen scheitern, muss US-Präsident Biden sich entscheiden, ob ein atomar aufgerüsteter Iran für ihn akzeptabel ist.
Wenn die Verhandlungen scheitern, muss US-Präsident Biden sich entscheiden, ob ein atomar aufgerüsteter Iran für ihn akzeptabel ist.

© Roberto E. Rosales/The Albuquerque Journal/AP/dpa

Ob endgültige Abkehr vom Atomdeal oder taktischer Schachzug – der Iran riskiert, dass die Gespräche scheitern. Wenn die IAEA-Kameras innerhalb von drei bis vier Wochen nicht wieder angeschlossen werden, ist die Kontrollbehörde nach den Worten ihres Chefs Rafael Grossi nicht mehr in der Lage, die nuklearen Aktivitäten lückenlos nachzuvollziehen. Das wäre der „Todesstoß“ für die Bemühungen um ein neues Atomabkommen, sagt Grossi.

Experten gehen davon aus, dass Teheran näher an einer Atombombe ist als je zuvor

Die Zeit für eine Einigung wird also knapp. US-Abrüstungsexperte Jeffrey Lewis vom Middlebury Institute in Kalifornien schreibt auf Twitter, es sei bereits sehr spät, um ein Scheitern der Gespräche und eine atomare Aufrüstung des Iran noch zu verhindern.

Ali Vaez, Leiter des Iran-Projekts bei der Denkfabrik International Crisis Group, sagte dem Sender ABC, Teheran sei näher an einer Atombombe als je zuvor. Ohne baldige Verständigung werde Biden schon bald vor der Entscheidung stehen, sich mit einem Iran auf dem Weg zur Atommacht abzufinden – oder militärisch einzugreifen.

Israels Ministerpräsident Bennett traut den Mullahs in Teheran nicht über den Weg.
Israels Ministerpräsident Bennett traut den Mullahs in Teheran nicht über den Weg.

© Gil Cohen-Magen/Reuters

Israel zumindest bereitet sich auf den Ernstfall vor. Dem jüdischen Staat wird von den Mullahs immer wieder mit Vernichtung gedroht, ein nuklear bewaffneter Erzfeind gilt über Parteigrenzen hinweg als Albtraum. Deshalb versucht die Regierung, dem Iran zu schaden, wo immer es möglich ist – und Entschlossenheit zu demonstrieren.

Israel will den Mullahs zeigen, wozu der jüdische Staat in der Lage ist

Erst vor wenigen Tagen endete ein großes Militärmanöver über und auf dem Mittelmeer. Bodentruppen, Marine und Luftwaffe trainierten für einen möglichen Einsatz gegen die hochgerüstete Schiitenmiliz Hisbollah und Angriffe auf „sehr weit entfernte Ziele“, wie israelische Medien meldeten – eine Umschreibung für Ziele in Iran, zum Beispiel Atomanlagen.

Selbst in Teheran selbst scheint Israel aktiv zu sein: Vor Kurzem starb ein hochrangiger Offizier der Revolutionsgarden bei einem Anschlag. Auch dies eine Warnung Richtung Mullahs.

Sollte eine Neuauflage des Atomdeals scheitern, rechnen Beobachter mit einer engen militärischen Kooperation zwischen Israel, den USA und Staaten wie Saudi-Arabien. Denn auch am Golf fürchten viele eine Atommacht namens Iran.

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