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Lange Tradition. Die Schauspielerin Barbra Streisand – hier im Film „Yentl“ von 1983 – trägt einen Namen, der auf die Umbenennung osteuropäischer Jüdinnen und Juden zurückgeht.

© Foto: Picture Aliance / United Archives / Ausschnitt Film „Yentl“

„Nochems neue Namen“: Als Jüdinnen und Juden neue Familiennamen bekamen

Der Historiker Johannes Czakai hat in seiner Dissertation die Entstehungsgeschichte vieler deutsch klingender jüdischer Namen in Osteuropa erforscht

Von Raphael Rönn

Wiesenthal, Ringelblum, Freud oder Rubinstein – unzählige jüdische Familiennamen entstanden erst Ende des 18. Jahrhunderts. Auch die Nachnamen von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zum Beispiel und der Schauspielerin Barbra Streisand entstammen dieser Zeit. Das Erstaunliche: Viele dieser Namen haben sich Beamte in der früheren österreichischen Provinz Galizien einfach ausgedacht. Heute liegt dieser Landstrich auf dem Staatsgebiet von Polen und der Ukraine.

Johannes Czakai hat in seiner mehrfach ausgezeichneten und leicht zu lesenden Doktorarbeit mit dem Titel „Nochems neue Namen“ die ungewöhnliche Herkunft dieser Familiennamen untersucht. Dafür reiste er unter anderem zu Archiven in Wien, im ukrainischen Lemberg/Lwiw und im polnischen Krakau. Er wälzte verstaubte, teils verkohlte Dokumente, besuchte jüdische Friedhöfe und begegnete Jüdinnen und Juden, deren Familiengeschichte er nachzeichnen konnte.

Der Ursprung vieler jüdischer Namen erscheint im ersten Moment kurios – und auch etwas banal. „Die Vergabe neuer Namen an Jüdinnen und Juden in Osteuropa war allem voran ein administrativer Akt“, sagt Johannes Czakai, der derzeit als Postdoktorand an der Hebräischen Universität zu Jerusalem forscht. Das mag zwar etwas spröde klingen, bedeutet aber viel mehr als das. „Dieser Akt zeigt uns das komplexe Verhältnis zwischen der jüdischen Bevölkerung und dem Habsburgerstaat. Die Einführung fester Familiennamen war Teil eines Modernisierungsschubs – ein Umbruch, der zunächst sehr langsam, aber doch tiefgreifend das jüdische Leben in Osteuropa verändert hat.“

Feste Besteuerung ließ sich nur mit festen Namen effizient regeln

Am Anfang stand ein Machtwechsel: In den 1770er- und 1780er-Jahren entsandte die österreichische Zentralregierung Beamte in ihre Ostprovinzen, die kurz zuvor im Zuge der sogenannten polnischen Teilung dem Habsburger Reich zugefallen waren. Die Staatsvertreter nahmen sich vor, eine effiziente Verwaltung in der neuen Provinz Galizien aufzubauen. Das bedeutete vor allem: Steuern einzusammeln. Und das allem voran von Jüdinnen und Juden, die damals hohe Zusatzsteuern zu zahlen hatten. Die österreichischen Beamten legten Bücher an und begannen, die neuen Untertanen zu registrieren.

Jüdische Gemeinden waren bis dato recht selbstständig: Ihre Mitglieder pflegten alte Traditionen und sprachen eine eigene Sprache – Jiddisch. Sie trugen traditionelle Vor- und variable Beinamen, oft auch Spitznamen. Die Konvention eines festen Vor- und Nachnamens war unter der jüdischen Bevölkerung im damaligen Osteuropa nicht weit verbreitet. Schnell wurde den österreichischen Staatsvertretern klar, dass eine effiziente Besteuerung nur mit festen und individuellen Vor- und Nachnamen gelingen konnte. Die jüdischen Steuerzahler brauchten also neue Namen. Und so begannen die Beamten, kurzerhand Zehntausende Menschen umzubenennen. Dadurch wurde zugleich die Autonomie der Gemeinden abgeschafft und die staatliche Kontrolle verstärkt. Dieser Vorgang war seinerzeit beispiellos. Die Namensgesetze sollten aber später in anderen Teilen Europas als Vorbild dienen.

Auch wenn einige Familiennamen verschwinden, ihre Geschichte lebt

Johannes Czakai, Postdoktorand an der Hebräischen Universität zu Jerusalem

Offiziell durften damals Jüdinnen und Juden selbst über ihre Namen in den Amtsbüchern entscheiden. Der deutsche Klang vieler Namen verrät allerdings, dass meist österreichische Beamte die Auswahl trafen. Einige Namen wirken dabei auch etwas willkürlich: „Mausefalle“ etwa oder „Streusand“ – die Ur-Version des Familiennamens von Barbra Streisand. Beamte ließen sich bei der Vergabe auch von Figuren aus Theaterstücken inspirieren oder nutzten Namen aus dem eigenen Heimatdorf, wie Johannes Czakai mit seiner geschichtswissenschaftlichen Detektivarbeit herausgefunden hat. Einige wenige Namen zeugen auch von der Judenfeindlichkeit der jeweiligen Amtsträger: So wurden Geizhals oder Krumnas zu jüdischen Familiennamen. Doch Beschwerdebriefe konnte Johannes Czakai in den Archiven kaum finden.

Die Bedeutung der Umbenennung war im jüdischen Alltag oft gering – zumindest in der ersten Generation. „Die neuen Namen lassen sich vielleicht mit heutigen Steueridentifikationsnummern vergleichen“, sagt Johannes Czakai. „Jüdinnen und Juden wurden so administrativ in das Reich eingegliedert.“ Damit war aber zunächst keine Anpassung an die deutsche Kultur verbunden – keine Akkulturation. In anderen Teilen Europas hingegen – etwa in Berlin um 1800 – strebten viele Jüdinnen und Juden danach, ein geachteter Teil der Mehrheitskultur zu werden.

Die jüdischen Gemeinden Galiziens blieben auch unter österreichischer Regentschaft zunächst kulturell eigenständig, standen aber vor großen Veränderungen. Das rasante Anwachsen der Bevölkerung im 19. Jahrhundert, Verarmung, Judenfeindschaft und Pogrome zwangen viele, ihre osteuropäische Heimat zu verlassen. Sie emigrierten und brachten so auch ihre Namen mit in viele Länder und Regionen – etwa nach Deutschland, Österreich, nach Nord- und Südamerika oder Großbritannien.

Viele der neuen jüdischen Familiennamen gingen im Verlauf der Geschichte verloren – oder wurden ausgelöscht, vor allem durch den Holocaust. Einige Nachfahren der osteuropäischen Jüdinnen und Juden – etwa Mark Zuckerberg oder Barbra Streisand – tragen die jüdischen Namen aber noch heute, oft in abgeänderter Form. „Diese Familiennamen erzählen uns Geschichten und sind immaterielle Zeugnisse jüdischen Lebens in Europa“, sagt Johannes Czakai. „Sie zeigen Zugehörigkeit und verleihen ihren Trägerinnen und Trägern Identität. Und auch wenn einige Familiennamen verschwinden, ihre Geschichte lebt“.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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