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Blick in die Ausstellung „im Atelier Liebermann: Monika Bartholomé“.

© Stiftung Brandenburger Tor, Foto: Sebastian Bolesc

Monika Bartholomé zu Gast im Liebermann-Haus: Reale Linien, fiktive Geschichten

Die Kölner Künstlerin hat vier Wochen lang ihr Atelier ins Liebermann-Haus verlegt. Dabei nahm sie die Schwingungen des Ortes in einer 27 Meter langen Zeichnung auf.

Als Max Liebermann 1884 auf dem vierzig Jahre zuvor gleich neben dem Brandenburger Tor von August Stüler erbauten Elternhaus ein gläsernes Atelier auf das Flachdach platzieren lassen wollte, gab es erst einmal Widerstand von höchster Stelle. Diese Form von Eigensinn am anderen Ende von Unter den Linden wollte sich der Kaiser nicht bieten lassen, dem Liebermanns Malerei ohnehin missfiel. Zuletzt bekam Künstler seinen Willen, und das Wohnhaus wurde rundum sichtbar zu einem Ort der Kunst.

Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Beim Wiederaufbau in den 1990er Jahren wurde stattdessen ein durchgehendes drittes Geschoss aufgesetzt, das ziemlich langweilig aussieht und in dem heute die Kulturstiftung der Berliner Sparkasse ihren Sitz hat. Lange war die Stiftung Brandenburger Tor mit ihren Ausstellungen ein wichtiger Impulsgeber für die Stadt, um sie ist es stiller geworden.

Aber ein-, zweimal im Jahr lädt sie Künstler im Rahmen der Ausstellungsreihe „im Atelier Liebermann“ ein, um ihre eigene Arbeit zu reflektieren und im besten Fall in einen Austausch mit dem Ort, mit dem prominenten einstigen Bewohner zu treten. Die Herausforderung ist groß, denn die beiden Ausstellungsetagen machen es durch ihre lange Streckung nicht leicht.

Besucher vor dem Zyklus „Brenda, Lee and the others“ (2006-08) im Liebermann-Haus.

© Stiftung Brandenburger Tor, Foto: Sebastian Bolesc

Die Kölner Künstlerin Monika Bartholomé hat als neuester Gast die Einladung wörtlich genommen, wie der Untertitel „unter einem Dach“ verrät. Sie ist tatsächlich eingezogen und hat ihr Atelier für vier Wochen ins Liebermann-Haus verlegt. Die Zeichnerin nahm die Schwingungen des Ortes auf und schuf in dieser Zeit eine 27 Meter lange „Raumzeichnung“, die sich der Besucher laufend erschließen muss.

Auf den sich überlappenden Papierbögen, die von der Decke bis zum Boden hängen, entstand in Tusche eine komplexe Lineatur, die Dächer, Straßenfluchten, gestaffelte Räume andeuten. Wie historische Schichten legen sie sich übereinander, der Blick klappt von draußen nach drinnen. Könnte dies die Perspektive auf den Boulevard sein? Sind hier die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs als brüchige Linien skizziert? Verweisen die schwarzen Zacken auf die Zeit, als die Mauer stand? Ein imaginierter Stadtplan mit verschiedenen Zeitebenen eröffnet sich.

Monika Bartholomé ist eine Meisterin darin, mit wenigen Strichen etwas anzudeuten, ein Gesicht, eine Rückenfigur, eine Schale, und gleichzeitig Brücken von einer Zeichnung zur anderen zu schlagen. Die Überblicksschau führt verschiedene Werkgruppen zusammen und zeigt sie als begnadete Netzwerkerin: nicht nur zwischen eigenen Blättern, die sie an der Wand oder in Schachteln zusammenfügt, sondern auch Kolleg:innen, die von ihr zu gemeinsamen Editionen eingeladen werden.

Zeichnung von Monika Bartholomé von 2019.

© Stiftung Brandenburger Tor, Foto: Sebastian Bolesc

Ähnlich knapp wie ihre Bildsprache, die voller Hintergründigkeit und Humor steckt, will auch Monika Bartholomé nur Anstöße geben. Die Geschichten dazu muss sich jeder selber erzählen: von dem mit geschlossenen Augen lächelnden Gesicht, das wie eine Kugel von zwei Händen gehalten wird, oder den beiden Linien, die einen Trichter bilden, aber ebenso gut den sich trennenden Weg zweier Personen meinen können.

In ihrem „Museum für Zeichnung“ stiftet Monika Bartholomé sogar Beziehungen zwischen künstlerischen Ausdrucksformen über Zeiten hinweg. Postkartengroß auf Pappe reproduziert, ordnet sie darin nonchalant Beispiele aus der Kunstgeschichte, Graffiti, Körperzeichnungen, Tattoos zu neuen Gruppierungen.

Das alles wirkt heiter, spielerisch und hat doch eine dunkle Grundierung, die im tiefen Schwarz der Tusche an die Oberfläche kommt. So geht die Künstlerin auch auf die Tragik des Liebermann-Hauses ein, auf das Schicksal von Martha Liebermann, die sich 1943 das Leben nahm, um der Deportation zu entgehen. In einem separaten Raum sind in einem Schaukasten die letzten Wochen der Witwe des Malers rekonstruiert. An der Wand gegenüber hängt von Monika Bartholomé eine schattenhafte Figur, die von schwarzen Linien bedrängt wird, „Martha“ lautet knapp der Titel.   

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