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© Foto: Reuters/ Sayed Shaesha

UN-Klimakonferenz beginnt: Katar wird kritisiert – was ist mit den Menschenrechten in Ägypten?

Die Regierungen müssen die Konferenz nutzen, um Präsident al-Sisis brutale Unterdrückung anzuprangern. Auch der Klimaschutz braucht Bürgerbeteiligung.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Ajit Rajagopal, ein Architekt und Klima-Aktivist aus südindischen Kerala, ist nicht weit gekommen: Er wollte mit einem Protestschild von Kairo nach Scharm el Scheich am Roten Meer laufen, wo am Sonntag die UN-Klimakonferenz (COP 27) beginnt. Auf der Straße durch die Sinai-Wüste hätten zwar nur einige Beduinen und Soldaten seinen Ein-Mann-Protest überhaupt wahrnehmen können – aber er wurde sofort an einem Checkpoint festgenommen (und mittlerweile freigelassen). Weil die „Demonstration“ nicht angemeldet war.

Kritische Wortmeldungen von Umweltschützern und NGO´s will die ägyptische Regierung bei der Großveranstaltung im abgeschotteten Badeort nicht haben. Denen, die ein Visum bekommen und einreisen konnten, wird ein genau markiertes Gelände, getrennt vom Kongresszentrum, zugewiesen. Und das ist schon ein großes Zugeständnis, denn im Land gibt es praktisch keinen Raum mehr für freie Meinungsäußerung.

Jede politische Opposition und freie Meinungsäußerung wird brutal verfolgt, 60 000 politische Gefangene sitzen in den Gefängnissen, darunter viele Journalisten sowie Aktivisten der Demokratiebewegung von 2011. Der bekannteste ist Alaa Abd El Fattah, seit zehn Jahren im Gefängnis, seit sieben Monaten in einem Hungerstreik und mit Beginn der COP 27 will er das Trinken einstellen. Folter, willkürliche Verhaftungen, lange Haftstrafen oder jahrelange Inhaftierung unter oft menschenunwürdigen Bedingungen ohne Anklage drohen jedem, der den Mund aufmacht.

Protest in London zur Freilassung des britisch-ägyptischen Bloggers und Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah, der seit fast zehn Jahren im Gefängnis sitzt.

© Foto: Getty Images

Während im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft in Katar auch von Regierungen Druck auf das Gastgeberland ausgeübt wird, die Menschenrechtssituation der Arbeitsmigranten zu verbessern, sind die massiven Menschenrechtsverletzungen in Ägypten erstaunlicherweise kein Thema für Regierungen.

Stattdessen verkämpfen sich Menschenrechtsorganisationen und Umweltschützer. Greenpeace hatte sich Aufrufen zweier Bündnisse (Cop27 Civic Space und Cop27 Coalition) zur Freilassung der politischen Gefangenen im Vorfeld der COP 27 nicht angeschlossen – und hält sich bedeckt über die Gründe. Ein Sprecher von Greenpeace International sagte gegenüber dem „Guardian“, dass die Arbeit in Ägypten „bedeutende Risiken für die Mitarbeiter“ beinhalte, und man auch die Arbeit der Klimaschutzbewegung insgesamt in Ägypten nicht „gefährden“ wolle.

Das gilt aber nicht für Regierungen. Seit der Erklärung vom Klimagipfel in Glasgow 2021 ist es ja „offiziell“, dass der Kampf gegen den Klimawandel ohne Beteiligung der Gesellschaft und der Achtung der Menschenrechte nicht erfolgreich sein kann: Sie hebt die „Bedeutung der Menschenrechte und der Zusammenarbeit über Sektoren und alle Teile der Gesellschaft hinweg, um wirksame Klimaschutzmaßnahmen und einen gerechten Übergang zu erreichen“ hervor.

Dies ist eine der wenigen Gelegenheiten, wo die Weltöffentlichkeit nach Ägypten schaut.

Andrea Nüsse

Wenn die Weltgemeinschaft sich jetzt nach Ägypten begibt, muss sie also die Achtung der Meinungsfreiheit, der Demonstrationsfreiheit, der Versammlungsfreiheit gegenüber der ägyptischen Regierung einfordern. Aus moralischen Gründen – denn dies ist eine der wenigen Gelegenheiten, wo die Weltöffentlichkeit nach Ägypten schaut.

Aber eben auch im Sinne des Klimaschutzes: Ohne Beteiligung von NGO´s und der Bevölkerung wird neues Geld für Klimamaßnahmen womöglich in Mega-Projekte fließen, wie sie der ägyptische Präsident el-Sisi liebt, die aber oft drastische Folgen für die Bevölkerung haben und nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.

So sein Plan, auf einer Nilinsel in Kairo ein neues Manhattan entstehen zu lassen – ohne die 100.000 derzeitigen Bewohner – oder eben eine neue Glitzer-Verwaltungshauptstadt für Reiche außerhalb Kairos zu bauen.

Bauarbeiten in der neuen Verwaltungshauptstadt, einem der Prestigeprojekte von Präsident al-Sisi, in dem die Bedürfnisse einfacher Menschen ignoriert werden.

© Foto: AMR ABDALLAH DALSH/Reuters

Es ist richtig, Ägypten die wichtige Konferenz austragen zu lassen – ist doch das Land am Nil besonders hart vom Klimawandel betroffen: Das einst fruchtbare Delta des Nils, die „Brotkammer“ des Landes, gehört zu den drei am meisten durch steigende Meeresspiegel gefährdetsten Regionen weltweit.

Hier wird der Großteil von Getreide , Reis, Gemüse und Obst des Landes angebaut, 40 Prozent der Ägypter leben hier. Der steigende Meeresspiegel und die Hitzewellen haben bereits massive Auswirkungen auf den Ackerbau des Landes: Die Böden versalzen, die Ernten verdorren.

Diese extreme Abhängigkeit Ägyptens von internationalen und nationalen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel sind eben das Argument, dass die Weltgemeinschaft sich trauen darf und muss, die Menschenrechtslage im Land anzuprangern. Denn Ägypten ist dringend auf internationale Unterstützung angewiesen und selbst ein Diktator el-Sisi kann es sich nicht leisten, aus Unmut darüber den Vertretern aus aller Welt und den internationalen Finanzinstitutionen den Rücken zu kehren.

Richtig wäre es, für die nächsten UN-Klimakonferenzen gleich im Vorfeld die Menschenrechte stärker einzubinden und auch bei der Auswahl der Gastländer Forderungen zu stellen.

Dass Ägyptens Regierung solche Großkonferenzen professionell organisieren kann, steht außer Frage. Aber die Weltgemeinschaft darf nicht zulassen, dass der Mann, der brutal jede Kritik oder „unpassendes“ zivilgesellschaftliches Engagement unterdrücken lässt – auch wenn es um Klimaschutz geht –, sich jetzt in gewohnt propagandistischer Manier für seine „Sisi-Spiele“ feiern lässt. Mit das mit UN-Stempel.

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