zum Hauptinhalt
Der teilweise verwitterte Schriftzug „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ in Magdeburg.

© dpa/Jens Wolf

Ein neues ostdeutsches Selbstbewusstsein: Damit der Umbruch von innen kommt

Ost gegen West 33 Jahre nach der Einheit? Erst jetzt kann der Osten für sich die Nachwendezeit aufarbeiten - um durchzustarten.

Ein Kommentar von Sabine Schicketanz

Plötzlich ist der Ossi wieder da. Als hätte jemand die Zeit zurückgedreht, nimmt in Deutschland die Ost-Debatte Fahrt auf. Ausgerechnet jetzt, 33 Jahre nach der Wiedervereinigung, Ost gegen West - wo Krieg herrscht in Europa, Krisen einander überlagern. Das kann nerven. Und außerdem: Ist das alles nicht schon einmal dagewesen?

Ja, ist es. Argumentationen, Appelle, Anschuldigungen, vieles klingt bekannt. Doch es ist nicht alles wie immer. Der wesentliche Unterschied: Erst jetzt kann Ostdeutschland die Vergangenheit, die so sehr hineinwirkt in die Gegenwart, auf Augenhöhe mit verhandeln. Neu verhandeln.

Warum? Weil das Wohlstandsgefälle von West nach Ost aufzubrechen beginnt. Wo früher Mitleid war, ist jetzt - wenn nicht Neid, dann doch die Erkenntnis: Der Osten sitzt nicht mehr am Katzentisch. Allein Brandenburg hatte 2022 erstmals ein Wirtschaftswachstum, das sogar Bayern überflügelte. Aus Verlierern werden, mancherorts, auf einmal Gewinner. Hört man ihnen anders zu?

Benennen, was wie ein Geschwür im Magen brennt

Auf jeden Fall trauen sie sich selbst mehr zu. Auch, die eigene Nachwendeerzählung zu hinterfragen. Der heutige kritische Blick zurück ist nicht mehr allein getrieben von Selbstmitleid. Sondern davon, zu benennen, was wie ein Geschwür im Magen brennt.

Hinter der Dominanz des Westens im Osten nach 1989 standen materielle und menschliche Hilfe, vor allem aber eine erprobte Demokratie, ein erprobter Rechtsstaat. Sie auf die zusammengebrochene DDR, zum Teufel gejagt von der eigenen Bevölkerung, zu übertragen, war so logisch wie politisch richtig. Psychologisch sah das allerdings viel zu oft anders aus. Wie ein roter Faden ziehen sich Arroganz und Herabwürdigung durch die Nachwendejahre. Die sollen sich nicht so haben, im Osten, die sollen dankbar sein. Und jetzt ist auch mal gut.

Nein, es ist eben nicht gut. Da schreibt einer, der Osten sei eine westdeutsche Erfindung, und es wird ein Bestseller: So verletzt ist die Gesellschaft, im Osten. Wobei, auch das ein Treiber der aktuellen Debatte, der Osten ist sich ja selbst nicht einig. War die DDR ein Unrechtsstaat? Wo endet Erinnerung, beginnt Verklärung? Teils bitter geführte Auseinandersetzungen illustrieren: Eine ostdeutsche Gesellschaft gibt es nicht.

Die Behauptung allerdings, vor allem Ausgrenzung durch den Westen sei verantwortlich für Radikalisierung im Osten, ist nicht nur zu kurz gegriffen, sondern sogar gefährlich. Sie hat das Potenzial zu unterbinden, was jetzt geschehen sollte. Was vielleicht mit der neuen Ost-Debatte bereits unterwegs ist: Der Osten muss für sich die Nachwendezeit aufarbeiten. Und kann das endlich.

Warum jetzt? Weil die Generation, die von den Verwerfungen ganz unmittelbar betroffen ist, nun in den Hintergrund tritt.

Die Jungen sprechen eine Sprache, die der Westen versteht

Deshalb klingt es heute anders als vor zehn Jahren, wenn einer aus dem Osten wie Dietmar Woidke ein neues ostdeutsches Selbstbewusstsein fordert. Früher wollte das niemand hören. Den einen galt es als Jammerei, den anderen als absurd angesichts der Erschütterungen und Erosionen. Doch heute sind da viele Junge und Jüngere, die es drängt, das aufzunehmen und auszufüllen. Die angekommen und erfolgreich sind im neuen System, die sich Gehör verschaffen. Sie sprechen eine Sprache, die der Westen versteht.

Auf sie kommt es an. Sie sind dabei, den Rahmen zu verschieben, in dem sich Ostdeutschland heute bewegt. Sie thematisieren, oft anders als die Eltern, ihre Herkunft ohne Scham. Doch viele wissen aus ihren Familien, von ihren Freunden, aus ihren Städten und Dörfern, was da jetzt droht: Das Verharren in der Rolle des Opfers, abgehängt, benachteiligt. Früher war es eben doch besser. Erfahrungen und Gefühle, von Generation zu Generation weitergegeben. Das kann Ostdeutschland zerreißen.

Es ist allerhöchste Zeit, das aufzubrechen. Was Woidke jetzt in Brandenburg macht, das Herausstellen ostdeutscher Erfolge, einer ostdeutschen Identität, ist keine billige Masche auf Kosten des Westens. Es geht um Empowerment zur Abwehr von Rechtsextremisten und Populisten, für einen neuen Umbruch Ost. Und der muss von innen kommen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false