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Elon Musk

© IMAGO / ZUMA Wire

Das neue Twitter unter Elon Musk: Es ist noch schlimmer gekommen als befürchtet

Die Übernahme von Twitter haben Hetzer als Startsignal gewertet. Jetzt lassen sie alles raus. Andere fliehen. Wird das die Plattform zu Grunde richten?

Eine Kolumne von Sebastian Leber

| Update:

So schlimm wird es schon nicht kommen, dachte ich vor acht Tagen, als Elon Musk Twitter übernahm. Wie naiv. Es ist noch viel schlimmer gekommen.

Seit der reichste Mensch des Planeten den Kurznachrichtendienst kaufte und in Aussicht stellte, bei der Kommunikation seiner Nutzer künftig weniger Wert auf politische Korrektheit zu legen, fegt ein Tsunami aus Hass und Hetze über die Plattform hinweg. Es gibt üble Beleidigungen, Vergewaltigungsfantasien, Todeswünsche. Als hätten die Hetzer bloß darauf gewartet, aus ihren Löchern kriechen zu können.

Ein Nutzer, der bereits vor der Übernahme geschmacklose, aber halbwegs verklausulierte Nachrichten absetzte, schreibt nun ganz offen, was er denkt. Zum Beispiel: „Wenn du in den Himmel schaust und es ist grau, brennt mal wieder eine Judensau.“ Oder auch: „Was ist ein guter N*? Natürlich ein toter N*“. In den USA hat die Verwendung des N-Worts auf Twitter binnen weniger Tage um 500 Prozent zugenommen.

Die Moderatoren wurden einfach überrannt

Elon Musk hat sich inzwischen gemeldet und klargestellt, dass die Kontrollmechanismen noch gar nicht geändert wurden, derzeit also weiterhin die alten Grenzen des Sagbaren gelten. Doch der ausgekippte Hass ist zu groß, als dass seine Mitarbeiter jetzt noch mit dem Löschen hinterherkämen. Sie wurden einfach überwältigt.

Man muss sich das mal vorstellen: Es gibt Menschen, die glauben, endlich wieder alles sagen zu dürfen - und das erste, was ihnen dann einfällt, ist Judensau.

Während die einen loswüten, ziehen sich andere Nutzer zurück. Etliche haben Twitter in den vergangenen Tagen verlassen, ihre Accounts deaktiviert. Wieder andere schwanken noch. Als am Dienstag Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg, von seinen Überlegungen zum Rückzug schrieb, wurde er mit Häme und Bösartigkeiten überschüttet und als „jüdischer Hetzer“ beschimpft. Noch ist er nicht gegangen.

Für manche ist die Verrohung noch unsichtbar

Fatal ist, dass das Ausmaß der schlagartigen Verrohung für einige Nutzer zunächst unsichtbar bleibt: nämlich jene, die selbst nicht Ziel der Attacken sind. Weil sie das Glück haben, zur Mehrheit zu gehören.

Das ist bei Angriffen im analogen Leben anders. Da bekommen es die Umstehenden in der U-Bahn zumindest mit, wenn der Nebenmann angepöbelt wird. Mit etwas Glück kommt vielleicht sogar einer zu Hilfe. Auf Twitter werden seit Musks Übernahme systematisch Menschen vertrieben, und Nichtbetroffene wundern sich höchstens, dass ihre Followerzahl jeden Tag sinkt.

„Let’s make Twitter maximum fun!“, hat Musk schon vor Monaten geschrieben. Er hat halt nur nicht gesagt für wen.

Natürlich war das Klima dieser Plattform bereits vor Elon Musk vergiftet. Man machte sich gegenseitig fertig, verhöhnte und wollte bewusst missverstehen. Im Zweifel nahm man immer das Schlimmste voneinander an. Twitter war seit Jahren ein zunehmend unangenehmer Ort. Aber immerhin einer, für den es noch Hoffnung gab.

Musk wird den Wandel zum Schlechten befeuern. Diese Woche entschied er, Nutzern ihren „blauen Haken“, der ihre Identität verifiziert, künftig nur noch gegen eine monatliche Gebühr zu gewähren. Das bedeutet, dass bald nicht mehr ersichtlich sein könnte, ob ein Tweet tatsächlich von dem behaupteten Menschen stammt oder bloß von einem, der sich so nennt. So werden Fake News, die zu Hass aufstacheln, noch schneller verbreitet.

Und die Entlassungswelle von Mitarbeitern, die laut Musk zur Wirtschaftlichkeit der Plattform beitragen soll, hat am Freitag auch das Moderationsteam betroffen. Dessen Kapazitäten, gemeldete Hassposts zu überprüfen und gegebenenfalls zu löschen, wurden so zurückgefahren. Zusätzlich hat Elon Musk auch die gesamte Menschenrechtsabteilung des Unternehmens gefeuert. Und die komplette Abteilung „Ethik, Transparenz und Rechenschaftspflicht“.

Weil aktuell noch die alten Kriterien der Moderation gelten, hat Twitter den Tweet mit der brennenden Judensau inzwischen gelöscht. Allerdings ohne Konsequenzen für den Nutzer. Seinen Post „Ich mag keine N*“ darf er stehen lassen. Der ist nach Auskunft des Unternehmens mit den Communityregeln vereinbar.

Beim Satz „Scheiß N* bringen unheil“ hat sich Twitter für einen Kompromiss entschieden: In Deutschland ist der Tweet nicht mehr aufrufbar, alle Nutzer im Ausland oder mit VPN-Tunnel können ihn weiterhin sehen.

Mit seinem neuen Kurs wird Elon Musk Nutzerscharen sowie Werbekunden verschrecken und die Plattform früher oder später zugrunde richten. Aber da diese Vorhersage von mir kommt, würde ich nicht allzu viel darauf geben.

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