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Wenn ein Parteitag wirklich nötig ist, dann jetzt.

© picture alliance/dpa/Monika Skolimowska

Das Asylthema als Brandbeschleuniger: Wer wollen die Grünen sein?

Auch eine Art von Zeitenwende: Umwelt und Pazifismus bestimmen die Partei. Aber die Regierungsverantwortung bestimmt ihr Handeln. Ein Widerspruch, der keiner bleiben darf.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Implosion droht. Und zwar wirklich. Es ist nicht übertrieben. So schlecht stand es um die Grünen lange nicht, wenn je.

Der Kampf zwischen Fundis und Realos, wie es früher hieß, ist längst nicht überwunden, nur überdeckt. Er bricht immer wieder auf, bricht sich an verschiedenen Themen immer wieder Bahn, Identitätsthemen. Das Asylthema ist eines von ihnen. Da geht es um die grüne Seele, oder das, was davon übrig ist. Oder übrig bleiben soll.

Opposition ist Mist, sagte der Meister der kurzen Sätze und prägnanten Erkenntnisse, Franz Müntefering. Er meinte es auf die SPD bezogen, und auf die gesehen hatte er vielleicht recht. Auf die Grünen geschaut, war der Satz immer falsch.

Mindestens für eine Vielzahl ihrer Mitglieder und Anhänger. Für die ist Opposition ein Zuhause, die Heimat der Wahrheit. Im Sinne von: Dort kann ich sagen, was ist, besser noch, was sein soll, ohne Rücksicht auf Regierungsverantwortung nehmen zu müssen, die immer Kompromissnotwendigkeiten mit sich bringt.

Das Tun zeigt das Wollen

Wer will das schon? Die regieren wollen! Das Tun zeigt das Wollen, weiß der Coach, und so gesehen haben die Grünen in der Regierung gezeigt, dass sie das wollen. Wohlgemerkt, die in der Regierung.

Woran sich das festmachen lässt, ist offenkundig. Umwelt und Pazifismus sind grüne Gründungsthemen, sind ihr Begründungszusammenhang. Auf diesen Feldern ist die Partei weit über das hinausgegangen, was ihr zugetraut wurde. Und das nicht nur, weil Krise ist. Die ist nur der, sagen wir, innerparteiliche Brandbeschleuniger.

Waffenlieferungen in Kriegsgebiete wie die Ukraine? Niemand hätte gedacht, wie vehement die grüne Außenministerin, der grüne Vizekanzler, der grüne Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag dafür werben würden. Und der, Anton Hofreiter, ist auch noch ein Linker.

Verneigung vor arabischen Potentaten, Menschenrechtsverletzern auch, um an fossile Energie zu kommen? Niemand hätte für möglich gehalten, dass ein grüner Klimaschutzminister so weit gehen würde.

Und jetzt das große, schwierige, traurige Asylthema, eines, das die Grünen auch seit jeher beschäftigt. Die Pazifisten wollen ganz unbedingt auch Humanisten sein, und deshalb ist der jüngste Kompromiss in Brüssel mehr als eine Provokation – er ist ein Verrat.

Das wissen alle, bis hin zu ihren Führungspersonen. Die Doppelspitzen sind gespalten wie die Partei, und vor allem machen sie es öffentlich. Ein Vorgang, der die Tragweite zeigt.

Harte Realität, große Herausforderung: die Fluchtbewegung

Nun ist es auch eine harte Realität und eine große Herausforderung. Nur skizziert: Deutschland hat im vergangenen Jahr rund 1,25 Millionen Menschen aufgenommen, Asylbewerber und Ukrainer, in den ersten vier Monaten dieses Jahres waren es gut 100.000 Erstanträge auf Asyl, eine Zunahme um rund 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In der EU ist die Dimension ähnlich.

Der daraus folgenden Aufgabe kann niemand entkommen, der und die in Regierungen sitzt. Die Tatsachen lassen sich nicht wegdiskutieren, nicht aussitzen. Ihnen muss sich stellen, wer Verantwortung trägt.

Und genau darum geht es jetzt bei den Grünen. Die Implosion abzuwenden, ist das eine, sich über sich selbst und die eigene Rolle in der Zukunft klarzuwerden, das nächste. Wollen die Grünen über die Sammlungsbewegung hinaus, als die sie vor Jahrzehnten begannen, nun wirklich Volkspartei werden oder nicht? Wollen sie in der Tat, buchstäblich, den Kanzler oder die Kanzlerin stellen oder nicht?

Wer das will, muss Mehrheiten erreichen. Aber nicht mit einer Politik gegen die Mehrheit. 14 Prozent, wie gegenwärtig in Umfragen, sind die Minderheit. Das wird den Grünen ständig aufs Neue vor Augen geführt. Und verlangt Entscheidungen.

Um die mogeln sich Partei und Fraktion herum, zumal ihre Führungen. Beispiel Atomkraft: Anstatt auf einem Parteitag über die Laufzeiten bis zu einem Ergebnis zu streiten, wurde der Konflikt in die Koalition bis hin zum Kanzler getragen. Der, ein Sozialdemokrat, musste dann entscheiden. So wird aus den Grünen keine Kanzlerpartei.

Entscheiden, das Wort sagt es schon: Gefordert ist, sich auch von etwas zu scheiden. Im Fall der Grünen von selbstreferenziellem Idealismus, von moralischer Überheblichkeit und der Vorstellung, dass solche Haltung von den Wähler:innen belohnt wird. Darüber sollte auf dem nächsten Parteitag gestritten werden. So schnell wie möglich.

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