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Wladimir Putin (l), Präsident von Russland, und Donald Trump, damals Präsident der USA, beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg.

© dpa/AP/Evan Vucci

Böse neue Welt: Seit Jahren war absehbar, dass Europa selbst für seine Sicherheit sorgen muss

Donald Trump, Wladimir Putin und Xi Jinping lassen Deutschland und Europa in einen Abgrund blicken. Auf den Schutz der USA können sie nicht mehr bauen. Dieser Einsicht müssen nun Taten folgen.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Erleben wir gerade einen Moment der Einsicht und der Umkehr? Donald Trump, Wladimir Putin und Xi Jinping lassen die Menschen in Deutschland und Europa in einen Abgrund blicken. Aber reicht das allgemeine Entsetzen aus, damit die politischen Führungen endlich anpacken, was sie aus Bequemlichkeit lange vor sich hergeschoben haben?

Es wäre bitter nötig. Seit Jahren war absehbar, dass Europa nicht ewig auf den Schutz der USA bauen kann und seine Sicherheit selbst organisieren muss. Plötzlich lässt sich die Dringlichkeit nicht mehr verdrängen.  

Nach Donald Trumps Kantersieg in Iowa ist die Aussicht sehr real, dass er in einem Jahr erneut Präsident wird. Er würde den Schutz Europas in Frage stellen und die Waffenhilfe für die Ukraine drastisch reduzieren.

Schon 2023, als die USA lieferten, lief der Krieg dort schlecht. Die Ukraine tut sich schwer, russisch besetzte Gebiete zu befreien. Wladimir Putin droht mit einem „irreparablen Schlag“ und dem Ende einer souveränen Ukraine. Zuvor sagte ein Putin-Vertrauter, Polen sei dann als Nächstes dran. Dann wäre auch Deutschland im Krieg.

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Parallel wird Chinas Kriegsrhetorik gegen Taiwan aggressiver. Das Risiko einer militärischen Annexion der demokratischen Insel nimmt zu – für die USA ein weiterer Grund, ihre Kräfte von Europa nach Asien zu verlagern.

Wie wollen die Regierung Scholz und ihre Partner in Europa ihr Ziel erreichen, dass Putin nicht siegen und die Ukraine nicht verlieren darf, wenn die USA als bisher größter Geber von Finanz- und Waffenhilfe ausfallen? Sie müssten Putin aus eigener Kraft eindämmen. Doch Scholz will die Taurus-Marschflugkörper immer noch nicht liefern, obwohl der Druck wächst, auch der aus den eigenen Reihen. Die Bundestagsmehrheit folgte ihm, aus Fraktionsdisziplin:

Europa fehlen nicht Ideen, sondern Taten

Dabei trifft die böse neue Welt Deutschland und Europa nicht unvorbereitet. Es fehlt nicht an Ideen, Plänen und Konzepten, wie Europa sich schützen kann. Sie müssen nur endlich in die Tat umgesetzt werden.

Europa muss seine Ressourcen stärker für seine Sicherheit einsetzen, muss die politisch vernachlässigte und national zerstückelte Rüstungsindustrie zu einem leistungsfähigen Verbund ausbauen.

Christoph von Marschall

Es fehlt auch nicht an Wirtschaftskraft. Ökonomisch gibt es drei Weltmächte: die EU, die USA und China, danach folgt lange nichts. Laut Internationalem Währungsfonds beträgt das BIP des unter Sanktionen leidenden Russlands ein Zehntel des BIPs der EU.

Europa muss seine Ressourcen stärker für seine Sicherheit einsetzen, muss die politisch vernachlässigte und national zerstückelte Rüstungsindustrie zu einem leistungsfähigen Verbund ausbauen. Und Konzepte konkretisieren, wie eine glaubwürdige atomare Abschreckung, gestützt auf die französischen und britischen Nuklearwaffen, funktionieren kann.

Sicherung des Erreichten als neue Priorität

Die Anzeichen, dass Politik und Gesellschaft umdenken und sich auf eine neue Lage einstellen, mehren sich: in Deutschland, in der EU, in der Ukraine.

Kanzler Olaf Scholz verlangt deutlich mehr europäische Militärhilfe für die Ukraine. Deutschland will seine 2024 auf acht Milliarden Euro verdoppeln. 2023 spottete Scholz noch über Warnungen vor Trump: Er halte die Wiederwahl Joe Bidens für plausibler.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wird demnächst in Kiew ein Militärabkommen unterzeichnen mit dem Ziel, dass „die Ukraine die Frontlinien halten und den Luftraum verteidigen kann“. Die Slowakei will nun doch weiter Waffen an die Ukraine liefern. Im Wahlkampf hatte Regierungschef Robert Fico noch das Ende der Militärhilfe versprochen.

Auch bei Wolodymyr Selenskyj deutet sich ein Schwenk zu realistischeren Kriegszielen an. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte er vor einem Jahr noch die Waffenhilfe zur Befreiung aller Gebiete ins Zentrum gerückt. Diesmal warb er um Investitionen in den von Kiew kontrollierten Gebieten und um Sicherheitsgarantien.

Das erinnert an einen Wendepunkt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Zunächst dominierte der Wunsch nach nationaler Einheit mit der sowjetisch besetzten Zone. Dann machte Adenauer Aufschwung und Westverankerung zur Priorität. Die Bundesrepublik kam unter den Schutz der Nato und wurde Wirtschaftswunderland. Die DDR wurde erst 1989 von russischer Besatzung befreit.

Selenskyj hat einen solchen Strategiewechsel nicht öffentlich erklärt. Nach zwei Jahren Krieg und Zerstörung wächst auch unter Ukrainern die Sehnsucht nach Sicherung des Erreichten. Dann muss Europa aber bereit sein, den Preis zu zahlen: den freien Teil der Ukraine ökonomisch aufzubauen und eine Sicherheitsgarantie zu geben. Zum eigenen Schutz, damit Putin nicht als Nächstes einen Nato-Partner angreift.

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