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Strandbad: Von Konradshöhe blickte man einst auf die DDR. 

© Ulrich Amling

Zurück zu den WURZELN (3): „Luftkurort“ Konradshöhe

Verreisen ist schwierig. Und zu Hause sind alle Covid-Ecken ausgeleuchtet. Wir gehen in dieser Sommerserie an den Anfang zurück – an die Orte, wo wir aufgewachsen sind: Urlaub in der Kindheit und Jugend.

Es ist eine besondere Feuchtigkeit, die mir in den Sinn kommt, wenn ich daran denke, woher ich komme. Eine Feuchtigkeit, wie es sie in der Innenstadt nicht geben kann, selbst nicht in klammen Fahrradkellern. Sie hat mit Wasser- und Waldesnähe zu tun, mit Walnussschalen im Herbst und einem zartsumpfigen Sommergefühl entlang der Havel. 

Wenn ich versuche zu erklären, wo Konradshöhe liegt, sage ich: Das ist noch hinter Tegel, von da schlängelt sich ein Bus durch den Tegeler Forst, früher war es eine Straßenbahn. Hier sind alle meine Großeltern unabhängig voneinander gelandet, im Neuland, damals offiziell eine Kolonie der Gemeinde Heiligensee.

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Die Eltern meines Vaters verloren mit dem Tegeler U-Bahnbau den Stellplatz für ihre Laube und bauten sie in Konradshöhe wieder auf, ein Haus sollte folgen. Mein Urgroßvater mütterlicherseits, ein geschäftstüchtiger Fleischermeister aus Posen, wurde Kolonist, weil er dort Platz fand für ein großes Haus, seine großen Autos und großen Hunde. 

Schulweg entlang der übenden französischen Soldaten

Er kaufte das Grundstück noch direkt vom Bauern in Heiligensee – und es hält sich das Gerücht, er hätte damals auch den gesamten Konradshöher Höhenzug entlang der Havel kaufen können, wenn man sich einig geworden wäre. Dann würde ich heute von meiner Jacht auf diese Perlenkette einzigartiger Liegenschaften unter Fichten blicken, anstatt diese Zeilen zu schreiben.

In den 50er Jahren verlieh man sich den unbestätigten Titel „Luftkurort“. Klar, die Luft war toll, sie roch im Sommer fast wie in den Pinienwäldern der Altantikküste. Und es kamen auch Kurgäste. Meine Oma Anita bewirtete sie im Garten mit Kuchen und Bowle, während Opa Kutte beharrlich auf die Mitte der Havel zuschwamm, die die Grenze zwischen Ost und West darstellte. 

Später taten wir es ihm mit Schlauchbooten nach. Unser Schulweg führte mitten durch übende französische Soldaten, deren Munition wir verbotenerweise in den Sandbergen sammelten.

Von der „vorzüglichen Verpflegung in einer Reihe guter, am Wasser gelegener Lokale“, wie es in einer Anzeige einst hieß, habe ich nichts mehr mitbekommen. Die goldenen Zeiten, in denen die Straßenbahn Tausende grauer Städter ins Grün und Blau spuckte, waren vorbei. 

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Die Ausflugsgaststätten wurden Opfer der Feuchtigkeit, ihre Reste wurden abgeräumt für neue Wohnungen mit Wasserblick. Vielleicht stammt daher meine Empfänglichkeit fürs Morbide, aber man soll ja nicht alles auf die Herkunft schieben. 

Als ich mein Taschengeld mit dem Ausfahren von Einladungen fürs Sommerfest der SPD aufbesserte, kannte ich jedes Haus, jeden rostigen Briefschlitz und jeden dahinter lauernden Hund. Seither wirken die Grundstücke geschrumpft, weil immer größere, selten schönere Häuser auf ihnen stehen. 

Doch es gibt immer noch den Wald, das Wasser und meine Eltern in Konradshöhe. Wenn ich sie besuche, gilt, womit die Kolonie einst beworben wurde: Fahrzeit bis Berlin circa eine Stunde.
Bisher erschienen: Rüdiger Schaper über Worms, Christiane Peitz über Völklingen

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