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Weltkulturerbe. Völklingen heute.

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Zurück zu den Wurzeln (2): Völklinger Hütte

Zu Hause sind alle Covid-Ecken ausgeleuchtet. Wir gehen in dieser Sommerserie an die Anfänge: Urlaub in der Kindheit und Jugend.

Der Lärm in der Turbinenhalle muss unerträglich gewesen sein. Als Kinder (sie kannten sich noch nicht), brachten mein Vater und meine Mutter ihren Vätern das Essen im Henkelmann dorthin, in die große Halle der Burbacher Hütte.

Das Werk bei Saarbrücken ist Geschichte, das in Völklingen Weltkulturerbe. Es sieht genauso aus, versichern die Alten, mein Onkel Sepp hat noch in beiden Hütten gearbeitet. Es war sooo laut da, es tat weh, sagt meine Mutter. Auch mein Vater hatte mächtig Bammel vor den riesigen Rädern, dem Kreischen der Bänder und dem Tausend-Grad-Feuer, das mit gewaltigen Luftpumpen durch dicke Rohre in die Öfen geschossen wurde.

Also auf nach Völklingen, auf den Spuren meiner Großväter. Heute ist es still dort, gespenstisch still. Stumm bezeugen die Rohre die goldene Ära des Industriezeitalters, rostige Ungetüme, die sich labyrinthisch verknäulen, im Schatten von Hochöfen, Schornsteinen und Treppengewirr.

Die Wellblechverschläge, die Möllerhalle, die Gichtbühne (was für tolle Wörter!), der Schrägaufzug für die Lorengondeln, es ist alles noch da. Eine gigantische, bizarre Stahlskulptur unter blauem Sommerhimmel.

Es ist eine Schönheit voller Schrecken. Die Welterbe-Hütte kündet auch vom Lärm jener Zeit, von der Schinderei und dem Erzstaub in den Lungen der Arbeiter. Es war Knochenarbeit, hart und dreckig. „Vorsicht“, warnt noch heute ein Schild, „beim Reinigen der Kleider am Körper mit Pressluft besteht Lebensgefahr durch Darmverletzung.“

Hier wurde das Wirtschaftswunder befeuert

Wer hoch auf die Türme klettert, wer den Weg hinter die Kokerei findet und das renaturierte „Paradies“ entdeckt, samt Ottmar Hörls King-Kong im hintersten Winkel des Industriekulturgartens, kann ganze Tage hier zubringen. Und sich in die Geschichte zurückalbträumen.

Hier wurde das Wirtschaftswunder befeuert, hier rüstete Deutschland auf, 80 Prozent der Stahlhelme im Ersten Weltkrieg sollen in Völklingen gefertigt worden sein. Firmenchef Hermann Röchling gehörte zum Führungsstab der NS-Kriegswirtschaft – ein Höhenzug unweit des Orts ist immer noch nach ihm benannt. Gibt es noch andere Gegenden in Deutschland mit Nazi-Namen?

12 000 Zwangsarbeiter schufteten hier, von überall aus Europa. Viele überlebten es nicht. Christian Boltanskis Installation mit Metallarchivkästen und schwarzem Kleiderberg erinnert daran. Auch eine Stille, die schreit: In der Flüstergalerie zwischen den Kästen erklingen die Namen der Opfer.

Überall Arbeitergeschichte

In der Sinteranlage wurden die Eisenstäube „gebacken“. Hier steht noch ein Holzunterstand, den sich die Werktätigen zimmerten, eine Pausenbank mit Dach, zum Schutz vor dem gefährlichen Staub. Überall: Arbeitergeschichte.

Die Gebläsehalle, die zuletzt eine Pharao-Ausstellung beherbergte, wird gerade von sämtlichen Stellwänden und Vitrinen befreit, für die Saarland-Ausstellung im November. Die Saarländer können dafür Erinnerungsstücke einsenden. Meine Familie ist dabei.

Als das Werk am 4. Juli 1986 stillgelegt wurde, konnten die Völklinger vor lauter Ruhe übrigens erst mal nicht schlafen.
Bisher erschienen: Rüdiger Schaper über Worms am Rhein

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