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Extraterrestrische Wackelpuppe mit diabolischem Service-Lächeln: Dimitrij Schaad in „Planet B“.

© Esra Rotthoff

Yael Ronen am Gorki Theater: Artensterben als Reality-Gameshow

Yael Ronen und Itai Reicher holen in „Planet B“ am Maxim Gorki Theater die Arche Noah auf die Bühne. Selten war eine Gegenwartsdebatte komischer inszeniert.

Nein, eine Erfolgsgeschichte ist das tatsächlich nicht mit dem Homo Sapiens. Angeblich vernunftbegabt, hat er binnen kürzester Zeit die bizarre Fehlleistung in Gang gesetzt, seine eigenen Lebensgrundlagen zu vernichten. Und um derlei Blödsinn ewig weiterzuverfolgen, ist er dann, ehrlich gesagt, auch einfach nicht unterhaltsam genug.

So sehen es die Außerirdischen in „Planet B“, dem neuen Stück von Yael Ronen und Itai Reicher am Berliner Maxim Gorki Theater. Vom „Projekt Erde“ werde es also keine neue Staffel geben. Das Format sei auserzählt, verkündet Dimitrij Schaad als eine Art extraterrestrische Wackelpuppe mit dem garantiert diabolischsten Service-Lächeln, das das Dienstleistungsgewerbe je hervorgebracht hat.

In einem Punkt allerdings, das müssen die Aliens neidlos anerkennen, war die Menschheit bahnbrechend: Gegen die Rasanz, mit der es ihr gelungen ist, ein neues Massenartensterben einzuläuten, sähen selbst die bis dato konkurrenzlosen „Superstars“ – Asteroiden, Vulkane, Superviren – ziemlich alt aus. Vom Homo Sapiens lernen heißt also, Effizienz-Dramaturgie lernen.

Lebensversicherung für Tiere sind teuer

Die Außerirdischen wickeln die Erde kurzerhand mittels einer Reality-TV-Show ab; nur fünf Prozent der Arten überleben. Huhn, Panda, Ameise, Fuchs, Fledermaus und Krokodil finden sich mithin im Konkurrenzkampf gegen einen last man standing wieder, der Boris heißt, Versicherungsvertreter ist und in Gestalt von Niels Bormann mit menschenmöglichstem Elan in wirklich jedes Fettnäpfchen tritt, das die versammelte Fauna hergibt.

Tatsächlich hat man lange nicht so intensiv – und so variantenreich –gelacht im Theater: wissend, solidarisch, identifikatorisch, erhellt und, mit großer Freude, gelegentlich auch niveauvoll (beziehungsweise unterhalb dessen, was man dafür hält).

Wer noch eines Beweises bedurfte, dass der Witz zu den absoluten Hochwirksamkeitssubstanzen gehört, wenn es darum geht, die größten anzunehmenden Krisen zu ihrer schonungsfreiesten Kenntlichkeit zu entstellen, der findet ihn an diesem Abend. Ronen und Reicher knüpfen hier nahtlos an ihre erste gemeinsame Arbeit an: den Erfolgsabend „Slippery Slope“ von 2021, der das Kunststück schaffte, sämtliche zentralen Gegenwartsdebatten von Identitätspolitik bis #MeToo zu einem luziden Humor-Musical zu verdichten.

Hochtouriges Pointen-Pingpong

Auch diesmal gibt es, verpackt in hochtouriges Pointen-Pingpong, jede Menge Debattenstoff. Der Survival-Show-Cast gibt sich als Fabeltiergrüppchen mit Humanspiegelbildfunktion zu erkennen: Orit Nahmias brilliert als aktivistisches Huhn und Aysima Ergün als kollektivistische Ameise. Alexandra Sinelnikova lässt als sexpositive Influencer-Füchsin keinen Zweifel daran, dass sie den urbanen Raum längst unter Kontrolle hat.

Maryam Abu Khaled verströmt als Panda aus jeder Fellfalte die Depression, die eine Dauerdegradierung zum Kuscheltier zeitigt. Jonas Dassler schwelgt als somnambuler Fledermaus-Singer-Songwriter in den guten alten Höhlen-Gig-Zeiten mit den Beatles, den Eagles und den Scorpions, während Dimitrij Schaad als machistisches Krokodil dieses Gestern in gänzlich offensiver Breitbeinigkeit vertritt. Wer außer ihm hätte die Show schließlich noch jedesmal gewonnen?

Das Gorki-Ensemble gibt dem Reptil, dem Säuger und dem Insekt ordentlich Zucker; Spielfreude wäre eine schnöde Untertreibung für das, was hier stattfindet. Und sobald man den Süßstoffschock fürchtet, rutscht garantiert das nächste Lebewesen von Wolfgang Menardis schräger Bühnen-Erdhalbkugel. Wenn man sich als Vertreterin der abgewirtschafteten Spezies nur noch einziges Mal aus dem Fenster lehnen dürfte, dann wäre es mit der Prophezeiung, dass das Gorki einen neuen Hit im Repertoire hat.

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