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Das Drama Theater in Klaipeda

© Adobe Stock/JK

Ein Theaterfestival im litauischen Klaipeda: Diversität bedeutet Zukunft

Seit 2017 bestimmen Tomas Juocys und seine Crew mit dem „TheAtrium“-Festival den zeitgenössischen Theaterdiskurs im Baltikum. Ein Besuch in Klaipeda.

Von Ute Büsing

Das „Drama Theater“ in der litauischen Hafenstadt Klaipeda hat eine bewegte Theatergeschichte hinter sich. Heute beherbergt das neoklassizistische Gebäude am Theaterplatz in der historischen Altstadt mit modernstem technischen Know-how ausgerüstete Bühnen. Seit sieben Jahren bestimmt die Crew um Festivaldirektor Tomas Juocys mit dem „TheAtrium“-Festival den zeitgenössischen Theaterdiskurs. „Wir bewegen uns zielgerichtet vorwärts, auf der Höhe des Tages, provokativ, herausfordernd“, so Tomas Juocys. „Unser Ziel ist es, Klaipeda auf der europäischen Theaterkarte als diverses Festival festzuschreiben.“

Das Festival mit Gastspielen aus aller Welt geht bis Ende Juni. Zum „Showcase“ waren bis Ende Mai elf von einer siebenköpfigen Jury aus 50 landesweiten Bewerbungen der zehn Staatstheater und der etwa 150 freien Gruppen ausgewählte Gegenwartsstücke eingeladen.

Höchste Selbstmordrate

Die Bandbreite der allesamt im „Drama Theater“ vorgestellten Produktionen ist beeindruckend. Radikal greift das Festival zum Beispiel eines der problematischsten Themen der litauischen Gegenwartsgesellschaft auf: den Suizid. Litauen hat die höchste Selbstmordrate in Europa. Was vielleicht auch mit dem extensiven Alkoholkonsum zu tun hat; nach 20 Uhr gibt es in Supermärkten keine alkoholischen Getränke mehr zu kaufen. Wohingegen die Bars bis Mitternacht geöffnet und rappelvoll sind.

Großer Andrang herrschte bei „Fragment“ nach Tschechows „Drei Schwestern“, einer bildgewaltigen Produktion, die der russische Exilregisseur Dmitry Krymov mit dem Ensemble des Klaipeda Drama Theaters in Improvisationen kollektiv erarbeitet hat. Der ausgewiesene Regimegegner Krymov, mehrfacher Gewinner der höchsten russischen Theaterauszeichnung „Goldene Maske“, wurde im New Yorker Exil 2022 Opfer eines mysteriösen Wohnungsbrands und lag neun Tage im Koma.

Zentral bei seiner Produktion: ein groteskes Flammeninferno, entliehen dem dritten Akt der „Drei Schwestern“. Der litauische Schauspielstar Darius Meskauskas spielt dabei einen hilflosen Arzt. Meskauskas geißelt den neuen „russischen Faschismus“ in Gestalt von Putin und preist die „spielerische“ Zusammenarbeit mit Krymov. „Lebendig“ fühle er sich dabei und „in Harmonie mit dem Team“. Als Leitmotiv für den Schauspielerberuf gibt er „Empathie“ an. Diesem Leitmotiv möchte er auch als Schauspielprofessor in der litauischen Hauptstadt Vilnius entsprechen.

Meskauskas’ Student Jokubas Brazys hat für das Stadttheater Vilnius mit einem ganz jungen Ensemble Tschechows „Die Möwe“ in berückende wie bedrückende Szenen gesetzt. Vier Stunden lang buchstabiert er auf leerer Bühne schier unerträgliche Gewalterfahrungen bis hin zur Vergewaltigung aus. Es gehe ihm um „das Gefängnis der Liebe“, sagt der Regisseur im Gespräch. Und, ja, man könnte bei seinem Showcase-Beitrag „auch an Russland, an gewaltsame russische Übergriffe oder übergriffige russische Männer“ denken.

Dissidentische Aufführungen

Diese Konnotation durchziehe das Festival, so Direktor Tomas Juocys. Deswegen habe man auch gleich zwei Tschechow-Produktionen eingeladen. „Das sind dissidentische Aufführungen und Tschechow verstand sich ohnehin als Ukrainer!“

Politische Eindeutigkeit ist in Klaipeda Pavlo Arie vorbehalten. Der ukrainische Autor, Schauspieler, Regisseur und frühere Chefdramaturg am Left Bank Theatre in Kiev setzt für das litauische Stadttheater in Alytus seine unmittelbare Invasionserfahrung in einem 14-tägigen Kriegstagebuch aus Kiew um: bedrückend, stellenweise hysterisch, mit Referenz an die unerträglichen Mörderbilder aus Butscha. Beim Schlussapplaus hüllte er sich in die ukrainische Flagge. Aber sein Spiel wurde doch recht kühl aufgenommen in Klaipeda, einer Stadt, in der weniger ukrainische Solidaritätsbekundungen in Wort und Bild spürbar sind als etwa in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

MeToo in Litauen

Und noch etwas spielte eine starke Rolle dieses Jahr in Klaipeda: MeToo und der Umgang damit in Litauen. In „Die Stille der Sirenen“ akkumuliert die junge litauische Regisseurin Laura Kutkaltè mit ihrem rein weiblichen Ensemble Missbrauchserfahrungen weiblicher Darstellerinnen auf der Bühne und dahinter.

Ihre Selbstermächtigungsoper reflektiere, so die Darstellerinnen im Gespräch, „wie egal das Thema in Litauen nach einem kurzen Aufschrei der Empörung geworden ist“. Beim „Fast Forward“-Gastspiel in Dresden wurde das Ensemble ausgezeichnet und mit minutenlangen Standing Ovations gefeiert.

In Klaipeda ging man nach der Vorstellung zur Tagesordnung über. Doch die jungen Darstellerinnen sind voller Energie und sie glauben empathisch daran, „dass litauisches Gegenwartstheater in der Gesellschaft etwa bewirken kann“.

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