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Trügerisches Idyll. Woody Allen 1988 mit Lebensgefährtin Mia Farrow, Adoptivtochter Dylan und dem gemeinsamen Sohn Ronan.

© picture alliance / dpa

Woody Allen veröffentlicht Memoiren: „Ganz nebenbei“ ist das umstrittenste Buch der Saison

Dem Filmemacher wird bis heute der Missbrauch seiner Tochter vorgeworfen. In seinen Memoiren „Ganz nebenbei“ erzählt er seine Version der Geschichte.

Hey, da ist er, Woody, der trottelige Unglücksrabe und Stadtneurotiker, der sich zum Affen macht, man hatte ihn fast vergessen.

Allein die Familienstorys über die verrückten Tanten und Großeltern, die Sottisen über die liebevollen, sich ständig in den Haaren liegenden Eltern: „Sie passten zusammen wie Hannah Arendt und ein Gangsterboss“, waren uneins über alles „außer Hitler und mein Schulzeugnis“.

Schnoddriger Ton, alberne Gags: Auf der Stelle sieht man ihn vor sich, den Bub aus Brooklyn, den heranwachsenden Schlaks, der nicht weiß, wohin mit sich und seiner galoppierenden Misantrophie. Und der in Manhattan sein Paradies findet, das Paradies des Kintopp, des Vaudeville, der Stand-up-Comedians und Jazzclubs.

Wobei sich spätestens auf Seite 40 von Woody Allens 440-seitigen Memoiren der Eindruck des Verzopften einstellt, trotz des rasanten Fabuliertempos. „Döspaddel“, „Knallcharge“: Was für altbackene Vokabeln, auch in der etwas hemdsärmeligen deutschen Übersetzung. Da quasselt sich einer um Kopf und Kragen.

Porträt des Künstlers als ewig pubertierender Gagschreiber: Allens Autobiografie „Ganz nebenbei“ („Apropos of Nothing“) war schon vor ihrem Erscheinen das umstrittenste Buch der Saison. In den USA wollte Hachette es herausbringen, zog dann zurück, wegen Kritik von Allens Sohn, dem Investigativreporter und Weinstein-Enthüller Ronan Farrow, und von seiner Adoptivtochter Dylan Farrow.

Buch erscheint trotz Protesten bei Rowohlt

Dylan wirft ihrem Adoptivvater vor, sie 1992 im Alter von 7 Jahren missbraucht zu haben – da hatte er bereits eine Beziehung mit ihrer 21-jährigen Stiefschwester Soon-Yi. Jetzt veröffentlichte Arcade die Memoiren.

„Wir finden es wichtig, dass mehr als eine Version der Geschichte gehört wird, und noch wichtiger, dass das Recht eines Autors auf Gehör nicht unterdrückt wird“, sagte Arcade-Mitbegründerin Jeannette Seaver. Ähnlich hat sich in Deutschland der Rowohlt Verlag geäußert. Das Buch sollte am 7. April herauskommen, trotz Protesten etlicher Rowohlt-Autorinnen und -Autoren. Nun wird es vorzeitig ausgeliefert.

Auf die Schlammschlacht beim Sorgerechtsstreit von Woody Allen und Mia Farrow um die acht Kinder und Adoptivkinder nach der Trennung des unverheirateten Paars geht Allen ausführlich ein.

Hier spart er sich die Witze, mit wenigen ärgerlichen Ausnahmen. Der Ton wird sachlich, er streitet den Missbrauch unmissverständlich ab, zeigt Verständnis für Mia Farrows Zorn und Verletztheit, als sie seine Polaroid-Nacktfotos von Soon-Yi entdeckte, ist überzeugt, dass sie der Adoptivtochter den Missbrauch in einer Rachekampagne eingeredet hat.

Er zitiert aus den Gutachten der Anhörungen der Child Sexual Abuse Clinic in New Haven und des New Yorker Jugendamts. Nach monatelangen Zeugenvernehmungen kommen beide zu dem Ergebnis, dass die Anschuldigungen haltlos sind. Auch einem Lügendetektortest unterzieht Allen sich freiwillig. Den Sorgerechtsstreit verliert er.

Alles blieb harmlos, so Allen

Seine Version der Geschichte. Sie ist nicht neu, ebenso wenig wie der von Dylan Farrow 2014 wiederholte, von ihrem Bruder Ronan bestätigte und ihrem Bruder Moses bestrittene Missbrauchsvorwurf.

Die Tochter sagt, er habe sie auf dem Dachboden von Farrows Landhaus in Connecticut missbraucht. Er sagt, er war zu Besuch, um die Kinder zu sehen. Das Paar war getrennt, er verliebt in die fast 40 Jahre jüngere Soon-Yi, die beiden sind seit 1997 glücklich verheiratet.

Man guckte Fernsehen im Wohnzimmer, so Allen, das Sofa war voller Leute, er saß auf dem Fußboden und legte seinen Kopf kurz auf Dylans Schoß. Eine von anderen bestätigte Version.

Woody Allen steigert sich in Rage

Wäre er nur sachlich geblieben. Je mehr Allen ins Detail geht, desto mehr steigert er sich in Rage und klingt seinerseits rachsüchtig. Zwar formuliert er seitenweise Elogen auf Mia Farrows Schauspielkünste (sie spielte in mehr als zehn seiner Filme mit), betont, dass er Dylan nie bewusstes Lügen vorwerfen würde: „Sie glaubt, was ihr jahrelang eingebläut wurde.“.

Aber die Wut trägt ihn davon, er teilt in alle Richtungen aus. Warum kolportiert er Gerüchte, in Mia Farrows eigener Familie habe es Missbrauch gegeben, und führt ins Feld, dass einer ihrer Brüder wegen Sexualdelikten im Gefängnis sitzt?

Warum die Hasstiraden auf den Sorgerechts-Richter und den Leiter der polizeilichen Ermittlung, weil sie Zweifel äußerten? Warum die Charakterisierung Mia Farrows als „schwarze Witwe“, die ihre Kinder vernachlässigt und entsetzlich schikaniert haben soll?

Moses Farrow und Soon-Yi bestätigen das, sie werden viel zitiert. Dylan und Ronan wiederum wollen sich zwar nicht erneut äußern, verweisen jedoch auf den Dylan-Tweet von 2018, in dem es hieß, dass sie ihrer immer fürsorglichen Mutter zur Seite stehen und jeden Versuch zurückweisen, Mia Farrow zu dämonisieren.

Der Ton macht die Moral

Ja, es stimmt, wenn Allen schreibt, dass die Öffentlichkeit nicht immer nur „Aussage gegen Aussage“ konstatieren solle, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass die Gutachten eher seine Version bestätigen. Und dass viele Stars sich bigott verhalten, wenn sie ihm gegenüber Verständnis beteuern, sich aber öffentlich distanzieren, aus Image-Gründen.

Aber der Ton macht die Moral: Der Mensch Woody Allen ist einem unsympathisch in diesen Passagen. Dennoch gehört es strikt getrennt: die Abneigung gegen einen Macho-Sprücheklopfer und die Vermutung, Allen habe eine Siebenjährige missbraucht.

Hexenjagd? Wer ist Täter, wer Opfer? Am Ende wächst das Mitleid mit den beiderseits instrumentalisierten Kindern.

[Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiographie. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O’Brien, Jan Schönherr. Rowohlt 2020, 443 S., 25 €]

Diese zweite Hälfte des Buchs verschattet nachträglich die ersten 200 Seiten, in denen der Regisseur von gut 50 Filmen und Meisterwerken wie „Manhattan“ oder „Stardust Memories“ seinen Werdegang vom gescheiterten Zauberer über den Komiker und Drehbuchautor bis zur Begegnung mit Mia Farrow schildert, seiner dritten Lebensgefährtin.

Ein Leben als Comic, gespickt mit Promi-Begegnungen, Frauengeschichten, mal hymnisch, mal sexistisch, und einer die eigenen Blödeleien unterlaufenden Ironie. Es berührt einen unangenehm, wie der heute 84-Jährige mit seinen Schwächen und Phobien kokettiert und das eigene Super-Ego karikiert.

Seine „Miezen im Minirock“-Sprüche sind aus der Zeit gefallen

Man kauft ihm die Selbstcharakterisierung nicht ab, wenn er sich einen zum Filmemacher mutierten Witzbold nennt, dessen technische Fertigkeit sich darin erschöpft, dass er weiß, wie man die Kappe von der Kameralinse zieht. Und der sich wiederholt des Größenwahns und der „widerlichen Selbstgefälligkeit“ bezichtigt.

Neben raffinierteren Pointen wie der Widmung für Soon-Yi – „Sie fraß mir aus der Hand, und plötzlich fehlte mir der Arm“ – straft er die Liebeserklärungen an Schauspielerinnen wie seine langjährige Freundin Diane Keaton denkbar tumb Lügen, wenn er hinzufügt, dass er auch mit ihren Schwestern Affären hatte: „Gute Gene eben. Preiswürdiges Protoplasma. Umwerfende Mutter.“

Seine „Miezen im Minirock“-Sprüche sind aus der Zeit gefallen. Wobei er um den eigenen Anachronismus weiß; lieber befände er sich in Gesellschaft der Komiker und Dramatiker der zwanziger, dreißiger Jahre.

Nun gehört die Gleichzeitigkeit von Hybris und Zweifel, Klarsicht und Verblendung zum Wesen des Künstlers. So gesehen ist „Ganz nebenbei“ ein bestürzend ehrliches Buch. „Statt in den Köpfen und Herzen der Menschen würde ich lieber in meiner Wohnung weiterleben“: Bei der schönen Schlusspointe zur Frage nach dem eigenen Vermächtnis ist einem das Lachen dann aber doch vergangen.

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