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Das Nationaltheater Iwan Wasow in Bulgariens Hauptstadt Sofia.

© imago/imagebroker

Wie sich Bulgariens Theaterszene aktuell positioniert: Ein Hauch von Europa

Gegen die Korruption, für ein zeitgenössisches Repertoire: Zu Besuch in Sofia bei Vasil Vasilev, dem Intendanten des bulgarischen Nationaltheaters.

Von Ute Büsing

Es tut sich was in Bulgariens Theaterszene. Für einen Wandel mit klarer europäischer Orientierung sorgt da im Moment gerade das neoklassizistische Nationaltheater in Sofia, das nach dem bekanntesten bulgarischen Dramatiker benannt ist: Ivan Vazov. Verantwortlich für diesen Wandel ist Vasil Vasilev. Seit anderthalb Jahren leitet der 47-jährige das Nationaltheater, das in diesem Jahr seinen 120. Geburtstag feiert.

Alles, was er anpackt, ist neu für Bulgarien: Theaterspektakel, die im europäischen Kontext bestehen können; ein Eintrittskartensystem, das nachvollziehbar Einnahmen generiert; faire Bezahlung der siebzig Ensemblemitglieder. Zuvor, sagt Vasilev, seien „Personen am Werk gewesen, die das Theater für sich privatisiert haben“.

Oft noch prorussische Orientierung

Er will Korruption und Vetternwirtschaft ebenso beenden, wie er die Wende von althergebrachten volkstümlichen Stoffen zu moderner Thematik, Theatralik und Technik eingeleitet hat. Der 1,2 Millionen-Einwohner-Stadt beschert er ein „zeitgenössisches Repertoire“. Im letzten Jahr standen ihm dafür umgerechnet ca. 6,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Ich bin gerade der am meisten überprüfte Intendant im Land!

Vasil Vasilew, Intendant des bulgarischen Nationaltheaters

„Ich bin gerade der am meisten überprüfte Intendant im Land!“, sagt Vasilev – und lacht. Dafür sorgte die groteske Polit-Satire „The Hague“ von der ukrainischen Autorin Sasha Denisova (umgesetzt von Galin Stoev). Es hagelte Angriffe auf das Stück. Darin müssen sich Putin und seine Generäle und Berater in der Vision eines ukrainischen Mädchens für ihre Kriegsverbrechen vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verantworten.

Die, so der Intendant, „notwendige Parteinahme für die Ukraine“ kam nicht so gut an. Denn etwa die Hälfte der bulgarischen Bevölkerung neigt noch der prorussischen Orientierung rechter Parteien zu: der „Wiedergeburt“ (die im Europaparlament mit der AfD im Bund ist) und der linken bulgarischen sozialistischen Partei (BSP). „Wir waren zu lange so etwas wie die 16. Sowjetrepublik!“, so Vasilev.

Tatsächlich sind in der Balkan-Republik, die seit 2004 in der NATO und seit 2007 in der EU ist und in diesem Jahr schrittweise dem Schengenraum und 2025 dem Euroraum beitreten will, noch sehr viel Spurenelemente sowjetischer Prägung sichtbar. Anti-EU und Anti-Nato-Propaganda ist an der Tagesordnung, und manche der bis 2020 überwiegend von dem Oligarchen und ehemaligen Chef des bulgarischen Geheimdienstes, Deljan Peewski, kontrollierten Medien produzieren weiterhin prorussische Falschmeldungen.

In dieser Gemengelage haben sich auch die politisch Verantwortlichen in Bulgarien, Vertreter der Parteien GERB („Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“) und „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) um eine klare Stellungnahme zum Krieg Russlands gegen die Ukraine gedrückt. Das Nationaltheater hat sie mit „The Hague“ geliefert. Mit der didaktischen Ausrichtung der Inszenierung will es zudem einen „Erziehungseffekt“ erreichen.

Schauspieler Hristo Petkov, 44, seit 12 Jahren am Nationaltheater engagiert, unterstützt diesen „Bildungs- und Erziehungs-Auftrag“. Und sein gleichaltriger Kollege Darin Angelov genießt „die neue Freiheit, jeden Abend ein anderer zu sein.“ Er unterstreicht: „Um ganz in Europa anzukommen, ist unsere kulturelle Weiterentwicklung genauso wichtig, wie der Beitritt zu Schengenraum und Euro.“

Samuel Finzi probt gerade in Sofia

Auch Hausregisseurin Diana Dobreva findet sich im neuen Kurs von Vasilew wieder. In ihrer fantasievollen „Moby Dick“-Inszenierung verleiht sie den Frauen an Land genauso eine Stimme wie den Männern auf dem Meer. Das ist ein Statement in der männlich dominierten bulgarischen Gesellschaft. Gerade probt der in Bulgarien geborene Berliner Schauspieler Samuel Finzi für eine Aufführung von Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“. Finzi hofft, so sagt er, mit dem „brandaktuellen Stoff“ dem auch in Bulgarien gezielt geschürten Antisemitismus nach dem 7. Oktober entgegenwirken zu können.

Auch zur Freien Szene der Stadt pflegt die Leitungsebene des Nationaltheaters gute persönliche Beziehungen, auch wenn sie sich (noch) nicht in konkreter Zusammenarbeit ausdrücken. Zentraler Spielort der Unabhängigen ist das Toplocentrala, gelegen in einem Park unweit des einst sozialistischen Nationalen Kulturpalastes.

Mitten in der Covid-Pandemie, im November 2021, öffnete die zentrale Spielstätte für unabhängige interdisziplinäre zeitgenössische Künste. Heute gehen im umgerüsteten ehemaligen Heizkraftwerk des Kulturpalastes 2200 Events im Jahr über fünf Innen- und zwei Außenbühnen.

Vesselin Dimov, noch so ein aufstrebender Mittvierziger, leitet das in Bulgarien einzigartige Präsentationszentrum. Zur Eröffnung kam Sasha Waltz mit „Allee der Kosmonauten“. Momentan wird Toplocentrala mit 400.000 Euro von der Stadt Sofia und 430.000 Euro vom Staat subventioniert. Auch Dimov beklagt „die in Bürokratie erstickte, kaum kalkulierbare Politik in Stadt und Staat“. Trotzdem: Es weht ein urban-europäischer Hauch durch Sofia.

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