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Arthur Bertelsmann vor der Fassade der Berliner Staatsoper.

© Doro Zinn

Von Wagner verführt: Wie ein junger Mann zum Opernfan wurde

Ausgerechnet Richard Wagners monumentaler „Ring des Nibelungen“ hat ihn zum Opernfan gemacht: Der 19-jährige Berliner Student Arthur Bertelsmann begeistert sich fürs Musiktheater. Er schaut aber auch kritisch auf die Klassik-Institutionen.

„In meiner Heimat gehört die Oper den Wohlhabenden“, sagt der britische Opernregisseur Graham Vick. Auf Deutschland trifft das zum Glück nicht zu. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Musiktheaterensembles als zwischen Flensburg und Ulm, Aachen und Cottbus. Und weil der Staat die Hochkultur intensiv unterstützt, sind Eintrittskarten hierzulande auch für fast jeden erschwinglich.

Ein wenig Eigeninitiative muss man allerdings schon zeigen als Opernentdecker: sich schlau machen, welche Ermäßigungen es für wen gibt, auf der Website neugierig und unvoreingenommen Infos über die angebotenen Werke durchstöbern – und dann das Glück haben, beim ersten Besuch in einer Produktion zu landen, bei der sich einem der Zauber des alle Sinne betörenden Gesamtkunstwerks Musiktheater eröffnet.

Für Arthur Bertelsmann war das Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Ausgerechnet der größte Brocken der Genres, vier Abende, insgesamt 16 Stunden Musik, eine wüste Mischung aus germanischer Mythologie, Kapitalismuskritik, Sex in jeder gesellschaftlich geächteten Form und Tiefenpsychologie. Aber es hat funktioniert. Für Arthur jedenfalls.

Ihn fasziniert auch das Publikum

Der 19-jährige FU-Student der Literatur- und Filmwissenschaften war als Kind mit seinen Eltern einmal in Mozarts „Zauberflöte“ gewesen, er hatte mit der Schulklasse dann Verdis „Don Carlo“ gesehen und später noch eine zeitgenössische Oper, bei deren Bühnenbild sein Bruder während der Tischlerlehre beteiligt war.

Großen Eindruck hatten diese Aufführungen künstlerisch allerdings nicht auf ihn gemacht. Was ihn aber von Anfang an faszinierte, war das Publikum. „Das ist eine eigene Welt für sich“, sagt er, „eine solche Vielfalt an Persönlichkeiten sieht man nur in der Oper.“ Wobei das Publikum dort seiner Beobachtung nach zu 95 Prozent bürgerlich geprägt ist. So wie er auch.

Szene aus Dmitri Tscherniakows „Rheingold“-Inszenierung an der Berliner Staatsoper.

© Monika Rittershaus

Dass dem Musiktheater in Arthurs Generation das Image des Verstaubten, Elitären anhängt, liegt für ihn also durchaus an den Besucher:innen der Institutionen. Denn von den Aufführungen, die er seit dem Beginn seiner Opernleidenschaft im Herbst 2022 gesehen hat, war kaum eine altmodisch oder rückwärtsgewandt. Im Gegenteil.

Er fordert sich gerne selbst heraus

Dmitri Tscherniakow, der Regisseur des neuen Staatsopern-„Rings“ verlegt Wagners Helden-und-Götter-Handlung in ein modernes Forschungslabor. Und setzt damit optisch einen starken Kontrast zu den mittelalterlich anmutenden Stabreinen des Librettos, in dem es ständig um Recken und Runen geht, wo Siege gekiest werden und wilde Mannen zechen, bis der Rausch sie zähmt.  

Arthur Bertelsmann im Foyer der Berliner Staatsoper

© Doro Zinn

Aber wie kam er überhaupt auf die Idee, dem Genre Oper ausgerechnet mit diesem Mammutwerk eine zweite Chance zu geben? Arthur Bertelsmann hat – und da ist er sicher kein typischer Vertreter der Generation Z – Spaß daran, sich selbst intellektuell herauszufordern. Den „Ulysses“ von James Joyce in zehn Tagen lesen? Gesagt, getan.

Auch die Sache mit dem „Ring des Nibelungen“ war so eine Challenge. Er kannte den Mythos, war irgendwie neugierig auf die Musik dahinter, schaute also im Internet nach, welche Bühne Wagners Tetralogie denn als Nächstes im Spielplan hätte. Es war die Lindenoper, schon in zwei Wochen sollte dort Premiere sein.

Rauscherlebnis dank Christian Thielemann

„Ich hatte durch einen Mini-Job Geld verdient“, erzählt er, „und habe darum nicht lange gezögert und mir Tickets gekauft.“ Am Tag der ersten Aufführung kam er dann allerdings doch ins Grübeln. „Sollte das die größte Fehlinvestition meines Lebens sein?“

Doch kaum hatte Christian Thielemann den Taktstock zum „Rheingold“ gehoben, spürte er den Sog, den diese Partitur entwickeln kann, wurde hineingezogen in die musikdramatische Saga. Nach der finalen „Götterdämmerung“ am 9. Oktober stand für Arthur fest: Ich will weitere Opern Wagners sehen.

Er wird alle zehn tatsächlich noch in diesem Sommer kennengelernt haben. Die meisten in Berlin, nur für die „Meistersinger“ musste er auf die Dresdner Semperoper ausweichen – morgens hin, spät nachts zurück - , weil das Werk gerade nicht in der Hauptstadt lief. Im August hat er ein Ticket in Bayreuth für die Neuinszenierung des „Parsifal“. Wagners Opus Ultimum wird dann auch das Finale seines Wagner-Abenteuers sein.

Junge Zielgruppen sind schwer zu kontaktieren

In die Oper will Arthur aber danach weiterhin gehen, auch wenn seine Freunde das neue Hobby nicht teilen. Wegen der hartnäckigen Vorurteile. Dabei, findet er, sei Oper doch gerade für Menschen attraktiv, die mit sozialen Medien aufgewachsen sind: Weil auf der Bühne bei der Liveaufführung ständig Verschiedenes gleichzeitig passiert, optisch und akustisch. „Musik, Text, Licht, Schauspiel, technische Effekte - ununterbrochen prasseln hier neue Sinnenreize auf einen ein.“   

Auf die Frage, wie sich die Institutionen attraktiver für seine Altersgenossen präsentieren könnten, fällt Arthur zuerst die suboptimale Kommunikation ein, beispielswiese für die extra auf Neueinsteiger zugeschnitten Vergünstigungen. „Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich mitbekommen habe, dass es für alle Unter-30-Jährigen die Classic Card gibt“, berichtet er. Allerdings ist gleichzeitig auch ihm klar, wie schwer es für die Opernhäuser und Konzertorchester ist, im Social-Media-Dschungel tatsächlich die gewünschten Zielgruppen zu erreichen.  

Szene aus Dmitri Tscherniakows „Siegfried“-Inszenierung an der Berliner Staatsoper.

© Monika Rittershaus

Für Arthur stellt seine neue Opernleidenschaft eine Erweiterung seiner Interessen dar – und keineswegs das Ende seines bisherigen musikalischen Lebens. Auf den langen S-Bahn Fahrten von seinem Wohnort Köpenick zu den Innenstadt-Bühnen tönen aus seinen Kopfhörern nicht nur Musikdramen, sondern weiterhin auch Funk, Soul und Rap.

Wenn er dann im Smoking in den Öffentlichen sitzt, fällt er schon auf. Doch das Outfit ist ihm wichtig. Das Umziehen vor dem Losgehen ist für ihn ein Ritual, mit dem er seine Vorfreude steigert, mit dem er sich selbst klarmacht, dass er etwas Besonderes vorhat. Sein Smoking ist übrigens ein echtes Vintage-Schmuckstück, einst maßgeschneidert, in den frühen Achtzigerjahren vermutlich, das er von einem Freund seiner Oma weitergegeben bekommen hat. 

Während wir vor einer „Tannhäuser“-Vorstellung Unter den Linden im 1. Rang ins Gespräch vertieft sind, baut sich erst ein Mann vor uns auf, der Arthur wortlos sein Ticket hinstreckt, kurz darauf fragt ein anderer nach dem Weg zur Toilette. Beide halten ihn für einen Platzanweiser: Denn was sollte ein junger Mensch mit Smoking, weißem Hemd und Fliege sonst sein?

Arthur lässt sich von solchen Erlebnissen seine Kleidungswahl nicht madig machen. Er beobachtet die Sache belustigt, mit dem Blick eines Soziologen. Schließlich hat ihn das Opernpublikum schon immer besonders fasziniert.

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