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1869 wurde Stanislaw Moniuszkos Oper „Paria“ uraufgeführt. 2010 hat Graham Vick die Oper in Poznan radikal heutig inszeniert.

© Bartek Barczyk

Gastspiel der Oper Poznan mit Moniuszkos „Paria“: Ein wiederentdecktes Meisterwerk

Stanislaw Moniuszko wird in Polen als Nationalkomponist verehrt. Seine letzte Oper „Paria“ war dennoch in Vergessenheit geraten. Jetzt stellt die Oper Poznan das faszinierende Werk in der Berliner Philharmonie vor.

Stanislaw Moniuszko war unzufrieden mit seinem Publikum: Warum nur verstanden die Leute seine Oper „Paria“ nicht? Nach der kühl aufgenommenen Uraufführung im Dezember 1869 an der Warschauer Oper, deren Chefdirigent der Komponist seit elf Jahren er war, verschwand das Werk schnell wieder vom Spielplan.

Dabei geht es in „Paria“ doch um dasselbe Thema wie in „Halka“, Moniuszkos großem Erfolg von 1858, jener vielgeliebten Volksoper, die ihn zum polnischen Nationalkomponisten gemacht hatte. Um Klassenunterschiede nämlich, um soziale Ungerechtigkeit. Um Unterdrückte, Erniedrigte und Beleidigte. Nur eben diesmal nicht im Süden von Polen, sondern im Nordosten Indiens.

Ein Herzensprojekt des Komponisten

150 Jahre lag der Schatten des Vergessens über „Paria“ – bis 2019 Moniuszkos 200. Geburtstag in Polen ganz groß gefeiert werden sollte. Im Bestreben, nicht nur seine Hits zu spielen, nahm sich das Opernhaus in Poznan „Paria“ vor – und entdeckte ein Meisterwerk, dessen Zeit jetzt endlich gekommen schien. Die radikal heutige Inszenierung des britischen Regisseurs Graham Vick wurde mit dem „International Opera Award“ in der Kategorie „work rediscovered“ ausgezeichnet. In konzertanter Form ist die Erfolgsproduktion aus Poznan am kommenden Dienstag nun in der Philharmonie zu erleben.

Szene aus der Inszenierung der Oper „Paria“ von Stanislaw Moniuszko des britischen Regisseurs Graham Vick 2020 am Opernhaus von Poznan.

© Michał Leśkiewicz

Schon als Jugendlicher war Stanislaw Moniuszko auf das „Paria“-Drama des französischen Dichters Casimir Delavigne von 1821 gestoßen, hatte sich für das Sujet begeistert, ja sogar eine Übersetzung angefertigt. Doch erst im Alter von fast 60 Jahren fühlte er reif, die Geschichte zu vertonen. Seit seinen Studienjahren in Berlin von 1837 - 40 hatte er intensiv die Entwicklung der Oper in Italien, Frankreich und Deutschland verfolgt. Nach mehreren Opern mit dezidiert nationalistisch-polnischen Hintergrund wollte er nun die verschiedenen ästhetischen Strömungen Europas in einem Werk musikalisch zusammenführen.

Indisches Sozialdrama

Ganz bewusst verzichtete der Komponist in seiner Indien-Oper daher auf exotische Klangfarben. War das sein Fehler? Seit der 1844 uraufgeführten symphonischen Ode „Le Désert“ (Die Wüste) von Felicien David begeisterte sich das Publikum für Kompositionen mit faszinierend fremden Klängen, 1863 kamen Georges Bizets „Perlenfischer“ in Paris heraus, 1865 Meyerbeers „L’Africaine“. Doch Moniuszko ging es ja gerade nicht darum, die Zuhörer akustisch in die Ferne zu entführen. Er wollte sie wachrütteln, ihren Blick schärfen für die sozialen Missstände vor der eigenen Tür.

Szene aus der Inszenierung der Oper „Paria“ von Stanislaw Moniuszko des britischen Regisseurs Graham Vick 2020 am Opernhaus von Poznan.

© Michał Leśkiewicz

In den „Unberührbaren“, die außerhalb des indischen Kasten-Systems stehen, sah Moniuszko eine Entsprechung zur Leibeigenschaft europäischer Bauern. Die war erst fünf Jahre vor der Uraufführung des „Paria“ im russisch kontrollierten „Kongress-Polen“ abgeschafft worden.

In „Halka“ nimmt sich ein polnischer Adliger ein Bauernmädchen zur Geliebten, sie wird schwanger, doch er verleugnet sie, zugunsten einer standesgemäßen Partie. Am Tag seiner Hochzeit stürzt sie sich von einem Felsen in den Fluss. Der titelgebende Paria in Moniuszkos opus ultimum ist ein Mann: Idamors Familie gehört zu den „Unberührbaren“, doch er strebt nach sozialem Aufstieg, verlässt seine Heimat, nimmt eine neue Identität an, macht als Krieger Karriere.

Krieger liebt Priesterin

Er liebt die Priesterin Neala, sie erwidert seine Gefühle - ihr Vater, der Brahmanen-Anführer Akebar, ist tatsächlich bereit, seine Tochter vom religiösen Gelübde zu entbinden und einer Ehe mit Idamor zuzustimmen. Denn in der Stadt Benares am Ganges, wo die Handlung spielt, drohen die Krieger in der Gunst des Volkes die Priester zu überflügeln. Eine Allianz scheint Akebar da ein geschickter Schachzug, um seiner Kaste den politischen Einfluss weiterhin zu sichern.  

Doch es geht nicht gut aus, der Versuch, die gesellschaftliche Spaltung zu heilen, misslingt. Auch dadurch erscheint der „Paria“-Plot überraschend aktuell. Die Aufführung in der Philharmonie ist prominent besetzt: Iwona Sobotka, die schon als Solistin bei den Berliner Philharmonikern und dem RSB begeisterte, singt die Neala, in der Titelrolle ist der Tenor Dominik Sutowicz zu erleben, der bereits 2019 bei der Berliner „Halka“-Aufführung der Oper Poznan gefeiert wurde.

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