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Erst kommt das Klopapier, dann die Moral. Hamsterkäufe in Karlsruhe.

© Rene Traut/dpa

Die Liebe zur sanften Rolle: Was die Klopapier-Obsession mit deutscher Geschichte zu tun hat

Von der ersten Popo-Pestwurzel bis zum eigenen Klopapier-Museum war es in Deutschland ein langer Weg. Eine kleine Kulturgeschichte.

Nun jongliert sogar Jérôme Boateng statt mit dem Ball mit einer Klopapierrolle. Das in sozialen Netzwerken verbreitete Video des in Berlin geborenen Bayern-Stars ist der bislang ironischste Wortloskommentar zu einer neuen Massenmacke.

Gehamstert wird in diesen ansonsten nur schwer ironiefähigen Zeiten überall, da kennt auch das Hamstervirus keine Grenzen. Aber das mit dem Klopapier trifft doch ein sehr spezifisches Phänomen.

Beispielsweise waren früher, etwa ab den Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auf den bundesdeutschen Autobahnen zu Tausenden PKWs zu sehen, die im Rückfenster eine Klopapierrolle liegen hatten. Als Heckschmuck. Dabei war die dort mittig ausgestellte Rolle noch liebevoll von einer weitmaschig gehäkelten Stoffhülle umgeben. Genauso, kein Witz! (Dies für jüngere Leser.)

Tatsächlich gelten Deutsche als besonders hygiene-affin. „Sauberkeit“ gilt bei vielen als höchstes Kompliment, selbst wenn die Berliner Straßenvermüllung dem als Lokalkolorit zu widersprechen scheint. Die Sache mit dem Toilettenpapier aber ist nochmal besonders.

Ich weiß dabei nicht, ob jene populäre Häkelhülle bei der PKW-Rückfensterrolle sich semantisch auch auf die Firma Hakle bezog. Das 1928 in Ludwigsburg von dem Schwaben Hans Klenk mit der Kombination seines Vor- und Nachnamen gegründete, mittlerweile in Düsseldorf ansässige Unternehmen galt ja lange fast stellvertretend für die Branche.

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Zwar haben sich die Menschen auch schon vor Hakle den Hintern gewischt. Archäologische Funde lassen vermuten, dass in der Bronzezeit laut Wikipedia „Pestwurzen-Blätter als Toilettenpapier verwendet wurden“. Ausgerechnet Pestwurzen!

Und richtig abreißbares Toilettenpapier gab‘s bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Lange war das aus rauem Krepp. Doch wie die firmeneigene Website verrät, „läutet Hakle 1958 mit dem ersten Tissuepapier die weiche Ära ein“.

Das zweilagige Papier folgt 1972, das dreilagige 1984, und mit „Hakle feucht“ beginnt 1977 auch die leicht erotisch klingende Variante. Nur in weniger wirtschaftswunderlichen Regionen wie zum Beispiel in der DDR dominierte noch weiter das rubbelige Krepppapier.

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Es gibt in Düsseldorf sogar ein Hakle-Museum, das aus den bekannten Gründen derzeit geschlossen ist, aber sich rühmt „400 Rollen“ seines kostbaren Stoffs aus 90 Jahren auszustellen. Wahrscheinlich müssten die bei offenen Toren jetzt auch diebstahlgesichert werden.

Zumal das Museum sicher auch das Jahr 1994 dokumentiert, in dem es heißt: „Hakle macht Po zur Kusszone“. Auf einem damals hoch erfolgreichen Werbefoto der Firma nähern sich Frauenlippen einem männlichen Gesäß, wohl nach dem sanften Gebrauch.

Also entspringt die obsessive Liebe zum Toilettenpapier und mit ihr die entsprechende Hamsterei etwa dem, was Sigmund Freud als „anale Phase“ bezeichnet. Die gilt eigentlich nur für Kleinkinder. Aber es gibt eben noch sehr viele große Kinder.

Einen guten Einfall, um Hamsterkäufen zu begegnen, hat immerhin ein dänischer Supermarkt. Wie ein Leser dem Tagesspiegel-Checkpoint meldet, wird dort an der Ladenkasse für eine Flasche Desinfektionsmittel 40 Kronen (5, 30 Euro) verlangt, für zwei Flaschen jedoch 1000 Kronen (134 Euro) – pro Flasche. Vielleicht versuchen wir’s mal mit 3 Euro für eine Großpackung Klopapier und 300 Euro für die doppelte Menge.

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