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Ist ja alles so bunt hier. Doch ab wann droht das Herzflimmern im Stau? Abendlicher Berufsverkehrauf dem Berliner Kaiserdamm.

© picture alliance/dpa/Michael Kappeler

„Verkaufte Zukunft“ von Jens Beckert: Die absurden Antworten, die wir auf die Klimakrise geben

Jens Beckert untersucht, warum wir im Sinne des Planeten nicht effektiver handeln – obwohl wir wissen, was zu tun wäre. Ihm winkt der Sachbuch-Preis der Leipziger Buchmesse.

Von Meike Feßmann

Man muss nur auf die Straße gehen, schon kann man sie bestaunen: die absurden Antworten, die wir auf die Klimakrise geben. Ziemlich groß geratene, hochmotorisierte Autos beanspruchen viel mehr öffentlichen Raum, als für die Fortbewegung nötig wäre, viel mehr Raum auch als große Wagen früher. Und leider hilft es gar nichts, wenn es sich dabei um E-Autos handelt. Jeder weiß das oder kann das wissen. Und sofort wieder verdrängen.

Wie ist es möglich, dass wir seit Jahrzehnten wissen, dass akuter Handlungsbedarf besteht, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen, und dass es doch einfach immer so weitergeht, als wäre der Klimawandel ein Problem, das sich in die nächste Legislaturperiode verschieben lässt? „Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht“ heißt das neue Buch des Soziologen Jens Beckert. Es ist für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch nominiert.

„Klimaschutz ist zeitkritisch, ihn aufzuschieben bedeutet, unwiederbringlichen Schaden zuzulassen. Politik bearbeitet Probleme aber im Modus der zeitlichen Verschiebung.“ Das ist eine der Erklärungen, die der Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und Professor für Soziologie in Köln gibt.

Der Nutzen ist gleich Null

„Verkaufte Zukunft“ untersucht das Zusammenspiel von Wirtschaft, Staat und Bürgern, die trotz aller Beteuerungen nicht wirklich Ernst machen wollen mit dem Klimaschutz. Nach Berechnungen der Fraunhofer-Gesellschaft ist die CO₂-Bilanz bei schweren, leistungsstarken E-Autos beim derzeitigen Strommix in Deutschland erst ab 230.000 Kilometern niedriger als beim vergleichbaren Verbrenner. Der Elektroantrieb zahlt in diesem Fall zwar auf das Konto des sozialen Status seines Fahrers ein. Der Nutzen für das Klima aber ist gleich Null.

Effizienzsteigerungen, so weiß die Klimawissenschaft, werden in kapitalistischen Gesellschaften in Leistungssteigerungen investiert. Man spricht dann von Rebound-Effekten. Zielführend wären also nur kleinere E-Autos und am besten weniger Autos insgesamt.

Doch wer sollte das in einem Land durchsetzen, in dem selbst eine „Petitesse“ wie die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen aussteht? Die Bürger, deren sozialer Status an ihrem Konsum gemessen wird, an dem, was sie sich leisten können, wie Beckert treffend beschreibt? Die Unternehmen, die damit gravierende Umsatzeinbußen in Kauf nehmen müssten? Oder die Politik, die sowohl auf die Einnahmen aus der Wirtschaft angewiesen ist als auch auf die Zustimmung der Wähler?

Wie umstritten konkrete Maßnahmen sind, hat man bei der Heizungsdebatte und bei den Bauernprotesten gegen den Abbau klimaschädlicher Subventionen gesehen, selbst wenn die Mehrheit der Bevölkerung für mehr Klimaschutz ist.

Gigantisches Marktversagen

„Verkaufte Zukunft“ ist in gewisser Weise ein Hybrid. Der Autor hat sich in die naturwissenschaftlichen Fakten eingearbeitet, vieles ist mit erschreckenden Zahlen belegt. Das führt zu klaren Aussagen. Etwa wenn er den Klimawandel (mit den Worten des Finanzmanagers Steve Waygood) „das größte Marktversagen aller Zeiten“ nennt und es mit dem „größten Staatsversagen aller Zeiten“ toppt.

Der entgrenzte Individualismus verkauft die Zukunft für die nächsten Quartalszahlen, das kommende Wahlergebnis und das heutige Vergnügen.

Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung

Auch die Befreiung des Individuums von Regeln und Pflichten verurteilt er in deutlichen Worten: „Der entgrenzte Individualismus verkauft die Zukunft für die nächsten Quartalszahlen, das kommende Wahlergebnis und das heutige Vergnügen.“

Er weiß, dass „kein Weg an nachhaltigen Beschränkungen von wirtschaftlichem Wachstum und exzessivem Konsum vor allem in den hoch entwickelten Ländern vorbeiführt“. Denn auch hier gibt es einen klaren Zusammenhang. „Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto höher ist auch der Energieverbrauch pro Einwohner.“ Und das gilt auch auf der individuellen Ebene.

Globale Ungerechtigkeit

Personen mit höherem Einkommen oder Vermögen verbrauchen mehr Ressourcen und verursachen eine höhere CO₂-Belastung als der Durchschnitt der Bevölkerung. Ein paar Zahlen, die er wiedergibt: Der durchschnittliche Weltbürger emittiert jährlich 6,3 Tonnen CO₂, in den USA sind es 14 Tonnen, in der EU etwas über sieben, in Nigeria weniger als eine halbe Tonne.

Das reichste Zehntel der Weltbevölkerung verursacht laut UNO-Klimarat-Report von 2022 36 bis 45 Prozent der weltweiten Emissionen. Jede der 20 reichsten Personen der Reichenliste des Forbes-Magazins emittiert 8200 Tonnen CO₂ im Jahr. 2,5 Tonnen CO₂-Ausstoß gelten laut Vereinten Nationen als Höchstgrenze, um den Temperaturanstieg unter zwei Grad zu halten. Global wird heute das 40-fache der Energie verbraucht wie vor 200 Jahren.

Das Gebot der Stunde lautet: weniger Autos, weniger Kreuzfahrten und kleinere Wohnungen. Doch dazu wird es nicht kommen.

Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung

Das sind alarmierende Zahlen, sowohl in Hinsicht auf den Klimawandel als auch auf die Verteilungsgerechtigkeit. Selbst wenn unsere Umwelt sauberer wird, externalisieren wir die Schäden. Jens Beckert spricht von „neokolonialer Politik der Ressourcenextraktion“. Der Abbau der Stoffe, die wir für die Energiewende benötigen, verursachen andernorts enorme Schäden.

Grünes Wachstum? „Magisches Denken“

Der Soziologe Stephan Lessenich hat dem Phänomen vor Jahren ein Buch gewidmet, „Neben uns die Sintflut“. Den „Technologismus“ der Vorstellung von „grünem Wachstum“ nennt Beckert zurecht eine „Form magischen Denkens“. Sobald man den Verbrauch aller benötigten Ressourcen einpreist, kann auch die sauberste Technologie den Wettlauf gegen die Naturzerstörung nicht gewinnen.

Dabei bezieht sich das „Konzept der planetaren Grenzen“ auf insgesamt neun „Dimensionen“. Der Klimawandel ist nur eine davon, Biodiversität eine andere. Jens Beckert zitiert zustimmend Theorien über die Postwachstumsgesellschaft oder den Kollegen Philipp Leppenies, der sich sicher ist, dass es ohne „Verbot und Verzicht“ nicht geht. Er schreibt: „Das Gebot der Stunde lautet also: weniger Autos, weniger Kreuzfahrten und kleinere Wohnungen. Doch dazu wird es nicht kommen.“

Jens Beckert will „Realist“ sein. Das ist verständlich für einen Soziologen. Trotzdem ist es verwunderlich, dass sein Plädoyer für mehr zivilgesellschaftliches Engagement und für eine andere „Fiskal- und Geldpolitik“ jenseits des „Dogmas der ,schwarzen Null’“ so defensiv daherkommt. Die Logiken des „Profits und der Macht“ sollen „durch das Handeln der Bürger zumindest ein wenig verschoben werden“.

Für einen Autor, der ein umfangreiches Buch über die „Imaginierte Zukunft“ geschrieben hat, das die Steuerung der Wirtschaft durch „fiktionale Erwartungen“ beschreibt, hätte man ein größeres Investment in Sachen Hoffnung erwartet. Dennoch bietet „Verkaufte Zukunft“ einen exzellenten Panoramablick über die Problemlage, materialreich und gut lesbar.

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