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Kultursenator Joe Chialo.

© imago/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen

Umstrittene Antidiskriminierungs-Klausel: Reaktionen aus der Berliner Kulturszene

Kultursenator Chialo hat die neu eingeführte Antidiskriminierungsklausel wegen juristischer Bedenken wieder aufgehoben. Die Kultur reagiert teils erleichtert, teils besorgt.

Die Bekanntgabe von Kultursenator Joe Chialo (CDU), die umstrittene Antidiskriminierungsklausel der Berliner Kulturförderung werde vorerst nicht zur Anwendung kommen, wurde von weiten Teilen der Berliner Kulturszene begrüßt.

Auf Anfrage des Tagesspiegels betonten zahlreiche führende Berliner Kulturschaffende, so auch Jens Hillje und Andrea Niederbuchner als Künstlerische Leiter der Sophiensäle, wie wichtig für sie die Bekämpfung von Antisemitismus und alle Formen der Menschenfeindlichkeit sei. „Wir glauben jedoch nicht“, so Hillje und Niederbuchner, „dass diesem mit der Antidiskriminierungsklausel angemessen begegnet worden wäre.“ Vielmehr hofften sie auf tatkräftige Unterstützung seitens des Senats für die dringend notwendige Arbeit, die in den Häusern tagtäglich geleistet werde. In diesem Sinne begrüßten sie das Aussetzen der Antidiskriminierungsklausel und das Angebot des weiteren Dialogs mit dem Kultursenator sehr.

Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, zeigte sich gelassener und verwies auf einen seit zwei Jahren bestehenden hausinternen Verhaltenskodex, „der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtet, rassistisches und antisemitisches Verhalten abzulehnen. Hier weiß jeder, wie wir in der Arbeit miteinander umgehen.“ Er habe, so Reese weiter, als Theaterleiter die volle Verantwortung für das Programm. Er habe deshalb auch kein Problem damit, dies noch einmal zu unterschreiben und das Haus somit auch öffentlich klar zu positionieren und die Haltung nach außen hin zu dokumentieren. Entscheidend sei für ihn, dass die rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Vorstoßes stimmten und die Freiheit der Kunst nicht tangiert werde.

Besorgt äußerten sich einige jüdische Künstler und Künstlerinnen, so beispielsweise der jüdische Rapper Ben Salomo. In seinen Augen haben sich die Antisemiten und „ihre Steigbügelhalter von der BDS-Bewegung einmal mehr im deutschen Kulturbetrieb durchsetzen können“. Für Salomo hätte die „mutige, aber vor allem richtige Initiative“ des Kultursenators als „Hoffnungsschimmer für das jüdische Leben in Deutschland“ von Berlin bis weit in den Rest der Republik ausstrahlen können. „Stattdessen wurde es ein weiterer Tiefschlag für die Juden und Israelis dieses Landes.“ Mit dem Moratorium werde der deutsche Kulturbetrieb, so der Rapper, für Israelis und Juden von einem maximalen Unsafe-Space zur absoluten Nogo-Area.

Die Initiative „Arts & Culture Alliance Berlin“, die auch während der Sitzung des Kulturausschusses demonstriert hatte, formulierte ebenfalls Bedenken. Eine wie immer modifizierte Klausel trage zur Marginalisierung von palästinensischen, arabischen, muslimischen, jüdischen und anderen Künstler*innen bei, die sich gegen die Kriegsverbrechen Israels aussprächen. Zudem gefährde sie die Finanzierung von Institutionen, die diese Künstler*innen in ihren Programmen repräsentieren. 

Silvia Fehrmann, Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, begrüßte die Dialogfähigkeit und Haltung von Kultursenator Chialo. Man brauche nun, so Fehrmann, einen zivilgesellschaftlichen Prozess, den Künstler und Institutionen mitgestalten. Darin liege die „Chance für ein Berliner Modell, für einen Aktionsplan gegen Antisemitismus und Diskriminierung, aus den Institutionen heraus entwickelt“, der kulturelle und politische Bildung verbinde. Sie hofft, dass Chialo einen solchen Prozess nun befördert.

Wegen juristischer Bedenken hatte der Kultursenator die Antidiskriminierungsklausel bei Fördermitteln nach nur rund einem Monat am Montag aufgehoben. Mittels der Klausel sollten Empfänger von öffentlichen Fördergeldern unter anderem zum Bekenntnis gegen Antisemitismus verpflichtet werden. Grundlage dafür sollten eine Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihre durch die Bundesregierung ergänzte Erweiterung sein.

Kulturschaffende hatten in einem offenen Brief unter anderem die Wahl dieser Definition kritisiert. Infolge von international kursierenden offenen Briefen und Boykottaufrufen wie „Strike Germany“, aber auch einer damit einhergehenden Verunsicherung, haben unmittelbar anstehende Berliner Festivals wie die CTM mit Absagen zahlreicher Künstler zu kämpfen.

Nun will Chialo in einem partizipativen Dialogprozess die Regelung überarbeiten und sich dafür mit den anderen Parteien, mit anderen Behörden wie denen für Bildung und Wissenschaft sowie mit Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen der Stadt beraten. Am Ende soll eine rechtssichere Grundlage geschaffen sein, mit dem Ziel, den Kampf gegen Antisemitismus als Staatsziel in der Berliner Verfassung zu verankern, wie auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner betonte.

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