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Auch bekannt als Supatopcheckerbunny. Ulrike Sterblich wurde 1970 in West-Berlin geboren.

© Suhrkamp Verlag/Heike Steinweg

Ulrike Sterblichs halluzinogener Roman „Drifter“: Wenn der Blitz einschlägt

Freundschaftsroman, Mediensatire, Berlin-Märchen und auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet. Der Roman des einstigen Supatopcheckerbunnys Ulrike Sterblich.

Der Ton ist flockig, juvenil, wie im Jugendroman. Allein die Namen der Hauptfiguren: Wenzel und Killer. Der Ton ist urban, medienaffin, satirisch. Von Mochi-Eis bis zu Firmennamen wie „Neosmart Life Science“ kennt die Autorin die Codes der urbanen Elite. Kunststück, Ulrike Sterblich, 1970 in West-Berlin geboren, ist ja selbst Teil davon. In den 2000ern war sie Mitglied der digitalen Bohème der Zentralen Intelligenz Agentur und als komödiantisches „Supatopcheckerbunny“ in der „Titanic“ und im Radio unterwegs.

Da ist es kein Zufall, dass ihr schillernder Roman „Drifter“, der gerade für die Longlist des Deutschen Buchpreises nominiert wurde, von einer leisen Nostalgie für das Web 1.0 durchzogen ist. Als einer Zeit der Unschuld, die noch nichts von den Gespenstern totalitärer digitaler Überwachung und demokratiegefährdender Manipulation durch Trollarmeen wusste.

Ich-Erzähler Wenzel, ein Losertyp und netter Nerd, der mit Nachnamen Zahn heißt, hat sein Hobby zum Beruf gemacht: Er putzt die Kommentarspalten der Community eines Fernsehsenders. Für mehr hat es bei ihm als abgebrochenen Studenten ohne Ehrgeiz für Irgendwas nicht gelangt. Wenzel begeistert sich für das Phantom Drifter, einen ominösen Autor, dessen Neuerscheinungen in seinem Lieblingsforum „Ministerium für ehrliche Propaganda“ stets aufgeregt diskutiert werden.

Killer, bürgerlich: Marco Killmann, sein bester Kumpel seit Kindertagen, ist ganz das Gegenteil. Ein Frauenliebling und Sonnyboy mit Gewinnergen, der beider Kleinbürgerherkunft aus einer Wohnmaschine im Ranunkelweg durch eine Karriere als PR-Chef eines Lebensmittelmultis wettmachen will.

Schmeißt die Karriere hin

Zumindest bis zum Tag X. Als Wenzel und Killer mit der S-Bahn raus zur Pferderennbahn fahren. Die möchte man Hoppegarten nennen, auch wenn Sterblich, die vor ihrem Romandebut „The German Girl“ (2021) schon ihre Berliner Kindheitsgeschichte „Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt“ veröffentlicht hat, geografisch nie so konkret wird. Auf der durch ein Sommergewitter verwaisten Rennbahn schlägt der Blitz ein. In Killer. Er hat Schwein und überlebt, ist aber von Stund an ein anderer. Schmeißt die Karriere hin, kümmert sich um die kranke Mutter, zieht zurück in den Ranunkelweg.

Einem Blitzeinschlag gleicht auch der Anblick von Ludovica Malabene, genannt Vica, einer geheimnisvollen Hedonistin, die sich als Anlage-Influencerin erweist und unheimlich viel über Wenzel weiß. Sogar Drifters noch unveröffentlichten Roman „Elektrokröte“ liest sie. Und als Vica ausgerichtet in Wenzels und Killers Heimat-Wohnbunker mit ihrem Gefolge ein märchenhaftes Party- und Investment-Paradies errichtet, das Menschen anzieht wie Motten das Licht, erreichen Sterblichs Fantastereien einen mit Glitzerfolie und Nebelbomben gefüllten Höhepunkt.

Das Nebulöse, das Erzählen im Ungefähren gehört zum Bauplan dieser skurrilen Geschichte. Eingebettet in eine warmherzige Freundschaft von Jungs, die längst erwachsen sind, porträtiert „Drifter“ auf die gruselig lustige Art auch eine in Halbwissen, Dauerraunen und Netzmythen umher schlingernde Gesellschaft. „Es war ja das Zeitalter der unerklärlichen Merkwürdigkeiten angebrochen“, heißt es in „Drifter“ über eine Firma aus Vicas halluzigenem Imperium, die Smartwatches aus psychogenen Pilzkulturen entwickelt.

Trotzdem werden sie im Ranunkelweg kurzzeitig wahr, die Glücksversprechen der Internet-Heilsbringer. Nirgends war mehr Glamour und mehr Nachbarschaft im Wohnblock als jetzt, wo Vica mehrere Etagen regiert. Zumindest so lange bis sie mit ihrem Gefolge weiterzieht.

Figuren wie Vica bleiben ja nie, anders als die Normalos, die Wenzels und Killers. Ein Nachbarschaftsroman ist „Drifter“ zusätzlich zur Männerfreundschaft nämlich auch noch. Und ein Plädoyer dafür, gerade in unübersichtlichen Zeiten, die Menschen an der eigenen Seite nicht aus den Augen zu verlieren. Selbst wenn sie aus Gründen des Distinktionsgewinns „Smarti“ zu ihrem Telefon sagen.

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