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Stills aus Dominik Grafs Filmessay "Jeder schreibt für sich allein"

© Lupa Film/Piffl Medien

Filmessay über Literatur in der NS-Zeit: Innere Emigration sieht anders aus

Täter, Opfer, Mitläufer. Dominik Graf spürt in „Jeder schreibt für sich allein“ dem Denken und Handeln von Schriftstellern nach, die während des NS-Regimes in Deutschland blieben.

Dominik Graf will nach seiner Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian“ von 2021 noch tiefer tauchen. Und noch einmal Zeitzeugen der Söhne-Generation zu Wort kommen lassen, die sich an der Schuld der Väter-Generation ihr Leben lang abgearbeitet haben.

Anatol Regnier beispielsweise, 1945 geborener Nachkomme der Autoren- und Schauspieldynastie Wedekind-Regnier, dessen Buch „Jeder schreibt für sich allein“ die Vorlage für Grafs gleichnamigen Filmessay liefert. Und Filmproduzent Günter Rohrbach, Jahrgang 1928, der ebenso emotional wie analytisch vom existenziellen Einschnitt erzählt, den das Scheitern des nationalsozialistischen Regimes am Kriegsende für ihn als einstmals begeisterten HJ-Pimpf bedeutete.

Tatsächlich kuriert das Zeugnis der Alten im Verlauf der mit knapp drei Stunden differenziert, aber auch überlang geratenen Spurensuche gründlich von der Alles-schon-gewusst-Arroganz der Nachgeborenen, die sich zu Beginn von Grafs literarisch und ästhetisch ambitioniertem Strom der Bilder, Interviews, Texte noch einstellen will.

Da hilft kein Rorschach-Test

Da mutet sie in der Rückschau naiv an, die Suche nach dem Bösen im Menschen, die die Analysten des NS-Regimes nach dessen Zerstörung umtrieb. Etwa in der Figur des US-Psychiaters Douglas M. Kelley, der den bei den Nürnberger Prozessen angeklagten NS-Granden per Rorschach-Test beikommen wollte. Tintenklecksbilder schieben sich über Archivmaterial. Charakteristische Persönlichkeitsmuster, die als Erklärung für deren antizivilisatorische Verbrechen taugen, sind offenbar nicht zu finden.

Nicht Monster haben die Mordmaschine betrieben, sondern Menschen, wie es auch Hannah Arendt 1961 in ihrem Prozessbuch „Eichmann in Jerusalem“ feststellt. Die bis in die Gegenwart des Wiedererstarkens rechter und nationalistischer Tendenzen beunruhigende Wahrheit ist: Ganz normale Leute, die an eine totalitäre Ideologie wie die deutsche Spielart des Faschismus glauben, sind zu allem fähig.

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Selbst die intellektuelle Elite biedert sich an, macht mit oder duckt sich nur halbherzig weg. Wenn sie nicht ins Exil geht, wie Thomas und Klaus Mann, die den 1933 in Deutschland bleibenden Autoren und Autorinnen wie Gottfried Benn, Hans Fallada, Jochen Klepper, Ina Seidel und eben Erich Kästner, bei Graf als Antipoden dienen.

Selbst Fallada schrieb Propaganda

Als Führer in dieses bittere Kapitel der Literaturgeschichte fungiert Anatol Regnier, der in den Betonkatakomben des Marbacher Literaturarchivs Tagebücher und Briefe der Literaten flöht. Dass stramme Nationalsozialisten wie Hanns Johst und Will Vesper (der Vater von Bernward „Die Reise“ Vesper) übelste Gesinnungsschreiberei fabrizierten, überrascht nicht.

Aber dass selbst Hans Fallada, der 1946 in aller Klarsicht den ersten deutschen Widerstandsroman „Jeder stirbt für sich allein“ verfasst, noch im Jahr 1943 bereit ist, im Auftrag von Joseph Goebbels einen Propagandaroman über einen jüdischen Hochstapler zu schreiben, dann doch.

Stills aus Dominik Grafs Filmessay "Jeder schreibt für sich allein"
Stills aus Dominik Grafs Filmessay "Jeder schreibt für sich allein"

© Lupa Film/Piffl Medien

In schmutzigen politischen Verhältnissen, bleiben auch Moralisten nicht sauber. Ein tragisches Beispiel ist Jochen Klepper, dessen Kirchenlieder wie „Die Nacht ist vorgedrungen“ zu den Standards des evangelischen Gesangbuchs zählen. Der Theologe, Schriftsteller und Journalist landet mit „Der Vater“ über Friedrich Wilhelm I. einen Riesenerfolg, nutzt ihn, um seine jüdische Ehefrau und die Stieftöchter zu schützen, und bringt sich, als der Literatenbonus nicht mehr verfängt, mit ihnen gemeinsam 1942 um.

Ganz anders liegt der Fall bei Gottfried Benn, dessen frühes Bekenntnis zum Nationalsozialismus trotz seines 1938 erfolgten Ausschlusses aus der Reichsschrifttumskammer blechern nachklingt, wenn man an seine, 1951 mit dem Georg-Büchner-Preis gekrönte Nachkriegspopularität denkt. Und auch Erich Kästners Nachkriegsbehauptung, im Nationalsozialismus zu zwölf Jahren Schweigen verurteilt gewesen zu sein, hört sich angesichts seiner bruchlosen Tätigkeit als Drehbuchautor nach Lebensgeschichtsklitterung an.

Die wiederum verargen weder der Erzähler Anatol Regnier noch Regisseur Graf vordergründig den Literaten, die von vielen einordnenden Expertenwörtern umspült werden. Schuldig werden gehört zu den Machtmechanismen einer Diktatur, das wissen die häufig auf distanzierte Kachelgröße reduzierten Zeitzeugen sehr gut. Die universelle Frage „Was hätte ich getan?“ schwimmt in Grafs Assoziationsflut mit.

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