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Frank Gehry und Daniel Barenboim beim Konzert im Pierre Boulez Saal.

© Peter Adamik

Konzert für Frank Gehry im Boulez Saal: Traumlandschaften mit neun Musikern

Frank Gehry feiert seinen 90. Geburtstag in seiner Schöpfung: dem Pierre Boulez Saal. Daniel Barenboim gratuliert mit einem Konzert - und Blumen.

Licht aus, Spot an, und sofort wendet sich die Atmosphäre ins Intime, entsteht eine Art Kokon. Die Notenständer sind im Kreis angeordnet. Geiger Michael Barenboim schreitet sie einen nach dem anderen ab – nicht zum ersten Mal, auch Luciano Berios „Sequenza VIII“ für Violine Solo auf dem von seiner Mutter Elena Bashkirova organisierten Jerusalemer Kammermusikfestival hat er so interpretiert. Jetzt aber sind wir in Berlin, im Pierre Boulez Saal. Und dass das Eröffnungsstück des Abends von einem anderen Komponisten als vom Namensgeber selbst stammt, ist schwer vorstellbar. Der Saal wird natürlich immer mitgefeiert bei diesem Konzert zum 90. Geburtstag von Frank Gehry, der zwei leicht gegeneinander verschobene Ellipsen übereinanderlegte und damit diese wunderbare Halle entworfen hat. Die Ursprungsskizze konnte man in der Gehry-Scharoun-Ausstellung der Stiftung Brandenburger Tor besichtigen, Gehry selbst hat sie am Mittwoch noch einmal besucht.

„Anthèmes II“ also, von Pierre Boulez, 1997 geschrieben und, wie es seine Art war, 2008 überarbeitet: flüssige Kunst, das Werk als nie endender Prozess. Michael Barenboim ist wie stets völlig natürlich und unaufgeregt bei der Sache, als ob nicht 600 Menschen im Saal sitzen würden. Er formt Boulez’ Figurationen mit den unterschiedlichen Härtegraden seines Strichs zu Klangereignissen, setzt alle Techniken souverän ein, Walgesangs-Glissando wie kerniges Pizzicato. Die Elektronik (Gilbert Nouno) fängt auf, was an Impulsen vom Geiger kommt, spinnt es fort, wirft es zurück, kombiniert mit eigenem Material. Eine Transgression: Die Grenzen der Geige lösen sich auf, der Klangraum weitet sich – und der Saal selbst wird zum Instrument. Ein irisierendes, herzschlaghaftes Zittern mit dem dritten Finger auf der Saite, kaum wahrnehmbar – und die Musik verdämmert im Nichts.

Wundersame Tonverwischungen

Das Ohr ist jetzt so konditioniert, dass es ohne Mühe würdigen kann, wie auch Robert Schumann mit „Andante und Variationen B-Dur“ Klanggrenzen überschreitet. Denn das 1843 als Nachzügler des „Kammermusikjahrs“ 1842 entstandene Stück fährt eine Besetzung auf, die die Zeitgenossen mit Sicherheit „eigenthümlich“ genannt hätten – und die heute noch ungewohnt ist: Zwei Klaviere, zwei Cellos, ein Horn. Drei Instrumente, die den Klang auf je völlig andere Weise produzieren. Schumann selbst hat eine leichter zu realisierende Fassung für zwei Klaviere erstellt – die aber lange nicht an die Aura der Quintettfassung, an deren wundersame, teils gespensterhafte Tonverwischungen heranreicht. Martha Argerich und Daniel Barenboim – es ist der zweite gemeinsame Auftritt der beiden in dieser Woche nach dem Symphoniekonzert der Staatskapelle am Montag – setzen den Ton an den Steinways; mit den Cellos von Astrig Siranossian und Alexander Kovalev und dem vollsatten Hornklang von Ben Goldscheider wird daraus ein eindringliches Stück Kammermusik. Fast symphonische Dimensionen erreicht der Abend dann mit Boulez’ „Sur Incises“: Drei Klaviere, drei Harfen, dreimal Schlagwerk: neun Musiker, von Daniel Barenboim am Pult zusammengehalten, vorzüglich untereinander koordiniert, schaffen eine perkussive Traumlandschaft aus Elementarteilchen. Aus der das mit archaischer Gewalt gehämmerte Klavier von Denis Kozhukhin herausragt.

Dass Barenboim – der allen Debatten um seine Person zum Trotz einfach weiterarbeitet, unermüdlich – „Sur Incises“ in einer kurzen Rede als „Sacre du Printemps“ fürs 21. Jahrhundert bezeichnet, mag übertrieben sein. Dass er das ganz besondere Gefühl im Boulez Saal betont, nicht. „Hier gibt es keine Trennung“, sagt er, „Musiker, Raum, Publikum werden eins. Das ist meine Definition von Musik.“ Blumen und Ovationen für den Jubilar, dem der Saal auch viel bedeuten muss, wenn er hier feiert und nicht etwa in seiner Heimatstadt Los Angeles, wo er die Walt Disney Concert Hall gebaut hat. Es liegt etwas in der Luft an diesem Abend, eine Präsenz, eine Einmaligkeit, die sich aus dem Wissen speisen, dass man diese Persönlichkeiten in dieser Konstellation wohl so schnell nicht wieder erleben wird.

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