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Frank Gehry im Februar 2019 in Los Angeles.

© REUTERS

Frank Gehry zum 90.: Als die Formen schweben lernten

An diesem Donnerstag wird Architekt Frank Gehry 90. In Berlin hat er nur zwei Gebäude realisiert – beide sind einzigartig. In einem davon feiert er nun seinen Geburtstag.

Sein jüngstes vollendetes Bauwerk liebt Frank O. Gehry so sehr, dass er genau dort seinen 90. Geburtstag feiern will: im Pierre Boulez Saal in Berlin. Dabei ist dieser ebenso intime wie grandiose Konzertsaal ein ganz untypischer Gehry: Von außen erkennt man den Architekten nicht. Außen ist die klassizistische Hülle des früheren Magazingebäudes der Staatsoper. Das Drama ist innen.

Und dabei hat Gehry doch seit jeher den Ruf weg, ein Meister der Inszenierung zu sein, der Inszenierung von Gebäuden ohne Rücksicht auf deren Platz im Stadtgefüge. Das ist so nicht erst, aber besonders und unverrückbar seit dem Geniestreich des Guggenheim Museums in Bilbao, mit dem die siechende nordspanische Industriestadt 1997 schlagartig zur gefragten Touristendestination aufstieg. Ob die Ausstellungssäle „funktionieren“, hat die Kritik noch Jahre später nicht gefragt – nebenbei: Sie tun es, und zwar ganz vorzüglich –, sondern sich an der Kakofonie aus segelartig geblähten Fassadenteilen aus silbrig glänzendem Metall gerieben, die der herkömmlichen Vorstellung eines Gebäudes unter den Gesetzen der Schwerkraft spotten. Gehry hat früh und womöglich als Allererster Computerprogramme aus dem militärischen Flugzeugbau benutzt, um seine in herkömmlichen mathematischen Gleichungen kaum noch zu beschreibenden Bauformen zu finden – und realisierbar zu machen. Ohne computergestützte Entwürfe und Herstellung der Bauteile wären seine Bauten nicht möglich. Einerseits. Andererseits zeichnet Gehry unablässig, und ehe der Computer angeworfen wird, hat er auf dem Zeichenpapier bereits Formen und Konstellationen ausprobiert, und zwar so, dass die scheinbar schlingernden Linien dem erstaunlich nahe kommen, was erst viel später als Gebäude emporwächst.

Die Freiheit von Südkalifornien

Der 1929 in Toronto als Frank Owen Goldberg geborene Architekt änderte seinen Nachnamen 1954 in das unverfänglichere Gehry, im Jahr, als er sein Architekturstudium an der USC in Los Angeles abschloss. Er blieb in Kalifornien, baute recht konventionelle Privathäuser und bezog mit seiner (Zweit-)Familie ein Haus in Santa Monica, das er 1978 mit Allerweltsmaterialien wie Wellblech, Sperrholz und Maschendraht zu einem Manifest gegen geleckte Kommerzarchitektur umbaute. Es stimmt nicht ganz, dass Gehry erst danach nennenswerte Aufträge erhielt, in denen er seine neue Freiheit ausleben konnte – er war, begünstigt durch das liberale Klima Südkaliforniens, bereits auf dem Weg dorthin. In seiner Wahlheimat Santa Monica baute er ein Shoppingcenter – er hatte nach dem Studium bei Victor Gruen gearbeitet, dem Erfinder dieses Bautyps – als riesige Werbetafel seiner selbst, und aus einer ehemaligen Hühnerfarm formte er das örtliche Kunstmuseum.

Mit dem Sitz der Werbeagentur Chiat Day in Venice, dem Badeort von Los Angeles, in Zusammenarbeit mit Popkünstler Claes Oldenburg wurde Gehry 1984 international berühmt. Dann begann er, Skulpturen in Gestalt eines Fisches zu entwerfen. Das Skulpturale wurde zu seinem ureigenen Gebiet: Vielfach sind die im Äußeren so regellos und vor allem bar jeden rechten Winkels scheinenden Gebäude im Inneren ganz „normal“ benutzbar, und mancher Nutzer seiner seit den neunziger Jahren zahlreich entstehenden Bürobauten wird sich gefragt haben, warum die Außenwände so gewellt und die Fenster so schief eingesetzt sein müssen.

Mit der Kraft des Ovals. Neben dem Pierre Boulez Saal, 2017 eingeweiht, hat Gehry auch die DZ Bank am Pariser Platz entworfen.

© imago/Sven Simon

Gehry wurde zu einem signature architect, einem Baumeister, bei dem man den Namen und die wiedererkennbare Gestaltung kauft, ob in Düsseldorf, Prag oder im Süden Manhattans. Daneben aber entwarf Gehry singuläre Projekte wie die über lange Jahre stockender Finanzierung sich hinziehende Walt Disney Concert Hall, mit der Los Angeles Anschluss an die Musikmetropolen im Osten der USA gewinnen wollte. Später folgte die Fondation Vuitton in Paris, für die eigens ein Grundstück im Bois de Boulogne frei gemacht wurde und die hier, frei stehend inmitten üppigen Baumbestandes, besonders gut zur Geltung kommt – und im Inneren eine Abfolge bemerkenswert „guter“ Ausstellungssäle birgt.

Warme, intime Grundstimmung

In Berlin konnte Gehry mit dem Bankhaus am Pariser Platz zeigen, dass er rigide Vorgaben über Traufhöhe und Steinfassade erfüllen und zugleich mit einem spannenden Innenleben – mit einem Konferenzsaal in Gestalt eines Pferdekopfes – zu kombinieren vermag. Dann kam der Auftrag, besser die Anfrage für einen Kammermusiksaal neben der Staatsoper: den Boulez Saal. Ihn entwarf Gehry als Ellipse innerhalb der schuhkartonförmigen Gebäudehaut, ein Auf und Ab von schwebenden Sitzreihen. Die wunderbare Behandlung des Holzes, die manche dem Metallformer Gehry gar nicht zutrauen, die aber gerade ebenso zu seiner Architektur dazugehört, gibt dem Boulez Saal seine warme, intime Grundstimmung.

An Preisen hat Gehry alles erhalten, was einem Architekten widerfahren kann, freilich erst jenseits des 60. Lebensjahres. Dann aber: 1989 Pritzker-Preis, 1992 Praemium Imperiale und zuletzt, 2016, die Freiheitsmedaille des US-Präsidenten. Heute feiert Frank Gehry seinen 90. Geburtstag in Berlin, und Daniel Barenboim bringt ihm ein Ständchen.

Konzert, 28.2., 19.30 Uhr, Pierre Boulez Saal

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