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Für „Twilight“ (2012) fächerte Robin Rhode acht imaginäre Federn von links nach rechts wie die Zeiger einer Uhr auf.

© Robin Rhode

Robin Rhode im Kunstmuseum Wolfsburg: Ein Künstler zwischen den Welten

Weder schwarz noch weiß: Das Kunstmuseum Wolfsburg gibt dem in Berlin lebenden südafrikanischen Künstler Robin Rhode endlich eine Bühne.

Das Prinzip scheint verblüffend einfach. Da malt einer mit Kreide oder Kohle schlichte Zeichnungen auf den Boden oder die Wand, legt beziehungsweise stellt sich dann in verschiedenen Positionen davor. Nacheinander fotografiert, ergibt sich daraus eine Foto-Story, digital animiert sogar ein Film. Darin passiert es.

Die Schwerkraft wird ad absurdum geführt, aus den einfachen Strichen entsteht plötzlich ein taugliches Fahrrad, Sportgerät oder Kinderkarussell. Die physikalischen Gesetze sind ausgehebelt, die Zeichnung wird zum dreidimensionalen Objekt. Bild und Performance, Zeichen und konkrete Aktion mischen sich zu einer eigenen Gattung. Erfinder ist der südafrikanische Künstler Robin Rhode, der ursprünglich von der Street Art kommt und seit 2002 in Berlin lebt.

Seine Geschichten aber spielen weiterhin in seiner Heimat, immer vor der gleichen Wand im Township Westbury im Norden von Johannesburg. Schaut man genauer hin, entdeckt man auf allen Bildern denselben Riss, der sie durchzieht. Er steht für die Unwägbarkeiten, die jede Fotoserie begleiten, die latenten Gefährdungen rundum: Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, Bandenkriege. Rhode begegnet den widrigen Lebensumständen in Südafrika mit Humor, Tricks aus der Frühzeit der Kinematographie, den Mitteln der Imagination. Die Kunst ist sein Befreiungsschlag.

Wie existenziell diese Erfahrungen auch für Rhode persönlich sind, zeigt sich daran, dass er in den meisten Bildergeschichten selbst auftritt. Er ist der junge Mann, der sich im freien Flug um ein Reck dreht, ohne dass er sich letztlich rührt, der sich auf ein Fahrrad schwingt, das nie vom Fleck kommen wird.

Mit seiner Methode versetzt er ein Karussell mit sechs Kindern in Bewegung, dass einem vom Zusehen schwindelig werden könnte, obwohl nichts passiert. Auch wenn er kein Instrument beherrscht, so spielt der 43-Jährige trotzdem hingebungsvoll Gitarre und singt mit Inbrunst in ein Mikrofon, die beide nur als Kohlezeichnungen an der Wand existieren.

Erinnerungen an die Heimat

„Memory is the Weapon“ lautet der Titel von Robin Rhodes Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg in Anlehnung an die gleichnamige Autobiographie des Dichters und Anti-Apartheid-Aktivisten Don Mattera. Fern der Heimat ist die Erinnerung auch Rhodes wichtigste Inspiration, sie beflügelt ihn zu neuen Bildideen, die er in seinem Atelier, einer ehemaligen Spirituosenmanufaktur im Wedding, entwickelt.

Wer nun nach Wolfsburg reist, um sich die gewaltige Ausstellung auf 800 Quadratmetern anzusehen, muss erst einmal darüber staunen, wie eine solche Position in Berlin unter dem Radar bleiben konnte. 2005/06 erhielt Rhode noch als junges Talent den ars viva-Preis vom Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft, 2007 widmete ihm das Haus der Kunst in München eine große Ausstellung. Danach geriet er zumindest im deutschen Kunstbetrieb aus dem Blick.

„Ich bin nicht kategorisierbar“

Rhodes Erklärung dafür: „Ich bin nicht kategorisierbar.“ Das trifft auf seine Kunst ebenso wie ihn selber zu. Mit verschiedenen familiären Wurzeln ist er weder „black“ noch „white“, wird in Südafrika aber dennoch zur „coloured community“ gerechnet. Ihr widmete er mit „Twilight“ eine eigene Bilderserie, die genau jenes Dazwischensein zum Thema hat.

Diesmal posiert der Künstler knieend vor seiner wieder perfekt geweißelten Township-Wand. Nach und nach fächern sich acht metergroße Federn um ihn im Halbkreis auf, die wie das Tageslicht vom Dunkel am frühen Morgen bis zum hellen Weiß am Mittag und schließlich wieder zum Schwarz am Abend changieren. Statt sich verdrängen zu lassen, feiere er die Vielfalt, hat Rhode für sich aus dem Anti-Apartheit-Kampf als Konsequenz gezogen.

Dass seine künstlerische Praxis vor Ort nicht unbedingt auf Verständnis stößt, bekam er in den letzten Jahren zunehmend zu spüren. Unterstützt von einer Crew aus Township-Kids, die ihm mehr und mehr zuwuchs, konnte er sich vor Übergriffen schützen. Rhode gab ihnen dafür eine Aufgabe, ja Perspektive.

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Jugendliche aus den Townships schützen ihn

Seine „Kunstarmee“, wie er sie nennt, half ihm die jüngsten, ungeheuer farbfreudigen Wandbilder zu realisieren, in denen nach den spielerischen, dann politisch aufgeladenen Motiven die klassische Moderne eine Rolle zu spielt. Josef Albers hätte es sich wohl nicht träumen lassen, dass seine sonnengelben, orangenen Quadrate einmal auf einer Wand in einem südafrikanischen Brennpunktviertel zitiert werden würden. Sol LeWitt dürfte ebenso wenig damit gerechnet haben, dass sein Minimalismus als Addition grasgrüner Dreiecke dort ebenfalls wiederkehren würde, die allen Ernstes ein Performer mit einem Rasenmäher zu stutzen versucht.

Hier zeigt sich das kreative Spannungsfeld, in dem Rhode agiert. Von der Street Art kommend studierte er Kunst an der University of Johannesburg und absolvierte schließlich ein Postgraduierten-Programm an der South African School of Film, Television and Dramatic Arts.

Johannesburg ist für die Kunstaktionen zu gefährlich geworden

Alle drei Richtungen amalgamiert der Künstler in seinem Werk. Inzwischen setzt er für seine visualisierten Kurzgeschichten ein Tänzer-Paar als Darsteller ein. Mit ihm zog er nun im Auftrag des Wolfsburger Museums nach Jericho, weil Kunstaktionen an der geliebten Mauer im Township von Johannesburg mittlerweile zu gefährlich sind.

[Kunstmuseum Wolfsburg, bis 9. 2.; Katalog (HatjeCantz) 34 €.]

Dort fand er verschiedene Wände als Hintergrund: mal die Reste eines Hauses aus osmanischer Zeit, mal grob aufeinander gesetzte Steine, nur halbwegs verputzt, mal eine Straßenbegrenzung mit gesprayten Telefonnummern darauf. Rhode ergänzte sie um Polyeder, die aus Dürers „Melancholia“ stammen könnten. Seine Tänzerin zieht sie wie einen Drachen an einer langen Schnur hinter sich her. Das passte für Rhode. Ihm kamen die gesellschaftlichen Spannungen, die untergründige Trauer allzu bekannt vor.

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