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Eine Besucherin des Wacken Open-Air Festivals (WOA) lässt sich am 01.08.2013 im schleswig-holsteinischen Wacken beim Konzert der Band Rammstein auf den Händen der Zuschauer tragen.

© picture alliance / dpa/Axel Heimken

Rammstein und MeToo: Ein kaputtes System und seine willfährigen Helfer

Die aktuell erfolgreichste deutsche Band wird von Missbrauchsvorwürfen erschüttert. Warum hat das Musikbusiness so wenig gelernt? Und warum tragen so viele dieses System mit?

Ein Kommentar von Katrin Sohns

Das Phänomen von Bands und ihren meist weiblichen Groupies ist nicht neu. Schon Frank Sinatra sah sich bei Konzerten von tausenden, weiblicher Fans umgeben. Spätestens in den 60er Jahren wurde es im Zuge der Popkultur und der sexuellen Revolution zu einem Massenphänomen. Die Musikgeschichte lebt von manch glamourösen Anekdoten.

Der Fall Rammstein konfrontiert uns nun jedoch erneut mit der unbequemen Wahrheit, dass so einiges daran so schillernd nicht ist. Denn Stars und Groupies stehen in einem eigenen, unauflösbaren Wechselverhältnis. Ruhm und Status können schnell zu einem ungleichen Machtverhältnis führen. Fließend sind die Übergänge von einem selbstbestimmten Fan zu einem fremdbestimmten Opfer.

Der aktuelle Fall wurde durch die Posts einer jungen Irin ausgelöst, in denen sie von ihren Erlebnissen auf einem Rammstein-Konzert Ende Mai berichtet. Seither mehren sich Erfahrungsberichte weiblicher Rammstein-Fans in den Medien. Sie erzählen davon, wie sie im Vorfeld von Agentinnen für die sogenannte „Row Zero“ gecasted wurden. Das ist jener Bereich, der sich, von den üblichen Fans abgeriegelt, in unmittelbarer Nähe zur Bühne befindet.

Bei einem reinen Anhimmeln aus privilegierter Reihe blieb es dabei nicht. Mit einem Bändchen markiert, wurden die „Auserwählten“ zu Pre- und Afterpartys mit der Band eingeladen. Dort wurde ihnen Alkohol, vielleicht zu viel davon, angeboten. Möglicherweise waren auch andere Substanzen im Spiel, um ihre Wehrlosigkeit auszunutzen. Juristisch bewiesen ist bisher nichts. Allerdings bestreitet die Band die Vorwürfe auch nicht mehr, wie aus einem Statement vom Samstagabend auf Instagram hervorgeht. Dort heißt es lediglich, dass die Band „ein Recht“ habe, „nicht vorverurteilt zu werden“. Die europäische Konzerttournee geht vorerst weiter.

Auch jenseits strafrechtlicher Kategorien deuten die zahlreichen Schilderungen auf ein fein ausgeklügeltes System von Machtmissbrauch hin, das im Umfeld der Band offenbar mit dem Ziel aufgebaut wurde, hübsche junge Frauen dem Rammstein-Frontmann Till Lindemann zuzuführen. Was genau in den Nebenzimmern der Partys passierte, bleibt offen. Aber nicht nur diese wichtigen „Details“ sind entscheidend. Im Fall Rammstein geht es schon jetzt darum, welches Verhalten jenseits der Strafrechtsschwelle eigentlich erträglich ist.

In der Musikindustrie ist offensichtlich wenig passiert

Und man fragt sich: Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass wir erneut Zeugen eines solchen Skandals im Umfeld einer der bekanntesten Bands der Welt sind? Vor knapp fünf Jahren hatten die Enthüllungen um Harvey Weinstein nicht nur die akuten Missstände in der Filmindustrie ans Licht gebracht, sondern auch die weltweite MeToo-Bewegung initiiert. Seither hat sich besonders auf den Sets viel getan: Vor Filmdrehs unterschreibt man klare Verhaltenskodices, Crew-Mitglieder nehmen an Anti-Belästigungs-Trainings teil, sexuelle Übergriffe werden strafrechtlich verfolgt.

Von der Filmindustrie wanderte das Bewusstsein auch in andere Kunstsparten, die von Hierarchien und männlichen Machtpositionen geprägt waren – so beispielsweise in Museen und Theatern. Manch eine Karriere eines Intendanten fand aufgrund zu vieler interner Anschuldigungen ein abruptes Ende.

Doch in weiten Teilen der Musikindustrie scheint es keinen Anlass gegeben zu haben, um innerhalb der Bandstrukturen und auf den Tribünen systematisch etwas zu verändern. Vielmehr zeigen die aktuellen Enthüllungen, dass das System weiterhin von zu vielen mitgetragen wird und dass Frühwarnsysteme, aber auch klare Regularien offensichtlich fehlen.

Die jungen Frauen, die sich jetzt im „Fall Rammstein“ zu Wort melden, stehen für Veränderung. Sie gehören einer Generation an, die das Empowerment erfahren hat, Grenzen zu setzen und Machtmissbrauch zu benennen. Sie wissen, dass sie über die Sozialen Medien mit ihren Erfahrungen nicht allein bleiben und dass ihre Enthüllungen für die „Mächtigen“ gefährlich werden können.

Mit ihren Worten appellieren sie auch an unsere Wachsamkeit. Denn dieser Skandal zeigt erneut, dass sich Systeme selbst erhalten, wenn sie nicht aufgerüttelt werden. Solange wir zusehen und dulden, solange wird dieser Skandal auch nicht der Letzte gewesen sein.

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