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Berliner Volksbühne: Jasinger und Neinsinger

„Opernzeit – Zeitopern“: Die Volksbühne macht jetzt Musiktheater. Ob das gut geht?

Eine der besten Erfindungen der Berliner Volksbühne sind noch immer die Pocketbücher, die das Theater zu jedem Schwerpunkt herausbringt. Sie sind schön gestaltet, nehmen nicht viel Platz weg, und die intelligentesten Menschen sagen etwas zu allgemeinen Themen: zur Verbindung von Kapitalismus und Depression etwa oder zur Frage, wo Gott abgeblieben ist. Das neuste Büchlein heißt „Opernzeit – Zeitopern“, und darin meditiert Heiner Müller zum Beispiel über den Flaschengeist der „Anti-Oper“, Adorno beweist, dass die Oper „Füllsel in den Sprenglöchern des Geistes“ ist, und Alexander Kluge erklärt, was Frank Castorf, der auch schon „Die Fledermaus“ oder Wagners „Meistersinger“ inszeniert hat, an der Oper so fesselt: „Castorf streift den Plüsch des 19. Jahrhunderts ab, und aus der Liebe zur Kunst befreit er sie von der Übertreibung der Hochkunst. Die Oper hat etwas ganz Einfaches, was ihr zugrunde liegt: Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen.“ Das ist natürlich wunderbar gesprochen und verströmt zusammen mit dem konspirativen Kleinformat einen tollen revolutionären Geist: Wir machen jetzt Oper! Und zwar die wirkliche, nicht die kulinarische!

Man sollte allerdings, um sich den Spaß an solchen großen Diskursgesten nicht zu verderben, auf die dazugehörigen Inszenierungen verzichten. Selten ist die Kluft an der Volksbühne zwischen Anspruch und Wirklichkeit so groß wie bei dem Abend „Opernzeit – Zeitopern“, an dem, übers ganze Haus verteilt, acht Kurzopern vorgestellt werden, von Lehárs Operette „Frühling“ über Alban Bergs „Wozzeck“ und „Der Jasager/Der Neinsager“ von Brecht/Weill bis zu den vier Kurzopern von Karl Amadeus Hartmann, die auf der großen Bühne unter dem Titel „Wachsfigurenkabinett“ gezeigt wurden.

Es beginnt mit einer unsäglichen Operettensimulation im Sternfoyer, bei der die in Mikrofone singenden Schauspieler keineswegs das Plüschhafte des Genres abstreifen, sondern es als Freibrief nutzen, um sich ekstatisch in Matratzen zu wälzen, während ein depperter Conferencier auf Wienerisch Regieanweisungen dazwischenruft. Eine wohlfeile Ironisierung zeichnet auch Castorfs Inszenierung von „Der Jasager/Der Neinsager“ aus, von Brecht ursprünglich als didaktische Schuloper über den Konflikt zwischen Kollektiv und Individuum konzipiert. Die Reise über ein Gebirge, bei der sich ein krank werdender Junge zum Wohl der Expedition erst opfert, um die Gruppe in der zweiten Version zur Rückkehr zu bewegen, findet bei Castorf rund um einen Nachtklub statt. Die Sängerinnen tauschen das Textbuch immer wieder gegen Sektgläser aus. Bernhard Schütz, als Lehrer der Vertreter des Kollektivs und somit Hauptfigur, agiert so übertrieben, dass man meinen könnte, er sei aus einem Stummfilm entstiegen – wenn er nicht so schreien würde. Castorf hübscht die Geschichte auch ohne jeglichen Grund mit Video und Rumgetobe auf und greift damit auf Schminke und Pomp zurück, also genau auf die Mittel, die das Projekt unausgesprochen den konventionellen Opernhäusern vorhält. Am vielsagendsten zeigt sich das Verhältnis von Schauspiel und Gesang beim Hauptakt, Karl Amadeus Hartmanns „Wachsfigurenkabinett“. Vier satirische Opern (über das Amerika der 20er Jahre, über eine Erzählung aus dem „Satyricon“, einen Großindustriellen mit Alpträumen und die Rituale einer Ehe), zu zwei Einheiten zusammengefasst, von Michael von zur Mühlen und Thorsten Cölle inszeniert. Einmal präsentieren Silvia Rieger, Irina Kastrinidis, Friedrich Haug, Markus Schinkel und Norbert Stöß ein lautstarkes, volksbühnenbekanntes Familiengemetzel mit Hysterie und allem Pipapo. Das andere Mal wird auf einem Grillplatz mit Gummihähnchen geworfen und mit Sonnenmilch gespritzt. Und die Sänger? Stehen als Barbiepuppen grinsend im Hintergrund oder liegen gefesselt auf dem Boden.

Die Oper also – so nach vier langen Stunden der Eindruck – hat sich das Schauspiel nicht eingeladen, um über den Gesang in Bereiche des Unsagbaren vorzudringen, sondern um sie als Sparringspartner ein bisschen hüpfen zu lassen und sich selbst zu suggerieren, dass man an diesem Haus wenigstens noch ein klein wenig Kraft in den Armen hat.

Wieder am 10. und 17. November sowie 7., 12. und 30. Dezember.

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