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Der australische Sänger Troye Sivan.

© Terrence O'Connor

Neues Album von Troye Sivan: So queer, mitreißend und lebensbejahend ist „Something To Give Each Other“

Der australische Popstar zeigt mit seinem dritten Studioalbum schwule Selbstverständlichkeit. Liebeskummer, Herzschmerz und andere Gefühle kommen trotzdem nicht zu kurz – man muss nur genau hinhören.

Im Jahr 2003 veröffentlichte das schwedische Electropop-Duo The Knife seinen wohl größten Hit: „Pass This On“. Ein Weltschmerzsong über unerwiderte Liebe, behauptete der Text. Dass es um mehr geht, die eingängige, phasenweise disharmonische Melodie.

Das dazugehörige Musikvideo wiederum klärte auf und machte aus dem Lied eine queere Hymne, weil die Protagonistin als trans Person durch das musikalische Erzählen Anerkennung, wenigstens aber Mittänzer fand. Das Unkonkrete, der einzelnen Komponenten, transportiere ein unbehagliches Gefühl, das „Pass This On“ großartig machte und anders nicht hätte vermittelt werden können.

20 Jahre später, gibt es viel erfolgreichen Pop, der aus seiner Queerness keinen Hehl mehr macht und trotzdem, oder gerade deswegen erfolgreich ist. Und ganz aktuell beweist das der australische Sänger Troye Sivan. Um sein drittes Studioalbum zu bewerben, ließ er sich von Jimmy Fallon in dessen Late-Night-Show einladen und erzählt ironiefrei, wie er als kleiner Junge seinen Eltern „gay stuff“, schwules Zeug („Barbie Girl“, „Like a Prayer“), vorsang: „Meine Eltern wussten Bescheid“ – lange bevor sich der ehemalige Kinderstar mit 18 Jahren auf YouTube vor der Weltöffentlichkeit outete. Er erntet für die Anekdote den gewünschten Lacher des Gastgebers.

Die Vorzüge des Single-Seins

Der Talkshow-Ton ist gesetzt und Sivan kann mit doppeldeutiger Offenheit erzählen, was der Albumtitel „Somehting To Give Each Other“ bedeutet: Er habe eine schwere Trennung hinter sich gehabt, sich mies gefühlt. Als er anfing, die Songs zu schreiben, hatte er plötzlich die Erkenntnis: „Moment, ich bin single!“. Er begann, sich mit Leuten zu treffen, sich des Lebens zu erfreuen und auch jene Fantasien und Beziehungen zu genießen, die nur wenige Stunden (oder Minuten) andauern. Detaillierter wird es im prüden US-Fernsehen nicht. Aber dafür gibt es ja das Album. In zehn Liedern wird ehrlich und emotional die ewige Jugend eines alleinstehenden 28-Jährigen beschrieben.

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Exemplarisch leitet das die erste Single-Veröffentlichung bereits im Juli ein und wird zum Sommerhit. „Rush“, übersetzt „Rausch“ (auch „Eile“), ist eigentlich eine bekannte Poppers-Marke. Poppers wiederum ist eine kurzfristig wirkende Partydroge, die gerne bei (schwulem) Sex konsumiert wird. Rastlos sind die treibenden House-Beats, die Sivans säuselnde Singstimme fast untergehen lassen. Sie wird nur vom harten, orgiastischen Chorus gerettet: „Kiss it when you’re done, man, this shit is so much fun / Pocket rocket run“.

Das in Berlin gedrehte Musikvideo zeigt, worauf er mit dem umgangssprachlich sehr Eindeutigen hinaus will: „Something To Give Each Other“ durch Glory Holes in schummrigen Untergrundclub-Toiletten – etwas, das sich für den Moment wie die Ewigkeit anfühlt.

Vocoder plus Drag-Outfit

Dass Sivan hittauglichen Pop beherrscht, hatte er bereits 2015 mit seinem Debütalbum „Blue Neighbourhood“ bewiesen. Das drei Jahre später folgende „Bloom“, im Englischen eine Metapher für schwulen Sex, konnte daran nur bedingt anknüpfen, unterstrich aber, dass weniger gesangliches Talent, als die Raffinesse seiner Texte, ihn zum Popstar machen. Und dennoch: Bis auf den recht austauschbaren Hit „My My My!“ blieb nicht viel hängen.

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Umso erfreulicher ist es, dass er jetzt gleich mehrere potenzielle Dauerbrenner im Gepäck hat. „Got Me Started“ etwa, der auch ziemlich unverblümt Sivans musikalische Inspiration andeutet und mit einem ikonischen Sample von Bag Raiders „Shooting Stars“ einsteigt, nur um es zu entschleunigen und mit dem, was danach kommt, radiotauglich zu machen. Ähnliches passiert mit der Deep-House-Melody von „Silly“ oder einem Sample der kalifornischen Folk-Sängerin Jessica Pratt in „Can’t Go Back, Baby“, die immer wieder über Sivans von Liebeskummer erzählenden Gesang haucht.

Es ist schwer zu sagen, ob es wohltuend oder bedauerlich ist, dass die wenigen Lieder mit Tiefgang – etwa „Still Got It“, über das Unbehagen des Wiedersehens mit jemandem, mit dem man einst intim war, oder „What’s the Time Where You Are“ über eine Fernbeziehung – von so zuckerwattigklebriger Melodie überdeckt sind, dass der starke Text zweitrangig wird, denn insgesamt ist die Platte mehr als solide.

Im vielleicht stärksten Lied wird der scheinbar unverfängliche Text über Liebe, erst durch den Kontext der beiläufigen Vocoder-Effekte und das dazugehörige Video deutlich: „Give me a call if you ever get desperate / I’ll be like one of your girls“, klagt Troye Sivan in „One Of Your Girls“ und tanzt in Drag auf dem Schoß seines – natürlich unbeeindruckten – Objekts der Begierde.

Er zeigt dabei ganz beiläufig, wie ermächtigend das künstlerische Spiel mit den Grenzen des eigenen Körpers sein kann. Die Selbstverständlichkeit und Trotzigkeit, mit der Troye Sivan auf diese Weise Pop kreiert, ist lebensbejahend, beflügelnd und findet mit Sicherheit zahllose Mittänzer – über die queere Community hinaus.

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