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Günter de Bruyn

© S. Fischer Verlag

Nachruf auf Günter de Bruyn: Märkischer Forscher

Witz war seine schärfste Waffe: zum Tod des Schriftstellers Günter de Bruyn.

Dort, wo man hingestellt wurde, muss man ausharren. So lautete eine Lebensmaxime, die Günter de Bruyn von seiner Mutter mit auf den Weg bekommen hatte. Standhalten, auch wenn es schwierig wird. Das klingt im guten Sinne preußisch und passt zu einem Schriftsteller, der sich immer wieder mit der preußischen Historie beschäftigt hat. Er hat Biografien über Königin Luise und über die ostpreußische Adelsfamilie von Finckenstein geschrieben, die Geschichte des Prachtboulevards Unter den Linden erforscht und einer Essaysammlung über die Berliner Kunst im Zeitalter der Aufklärung den herrlich lakonischen Titel „Als Poesie gut“ gegeben.

Dageblieben trotz Skepsis

Doch das Ausharren, das ihm die Mutter empfahl, besaß für Günter de Bruyn auch eine konkrete biografische Bedeutung. Er ist in der DDR geblieben, obwohl er an der Idee eines Arbeiter- und Bauernstaats von Anfang an zweifelte. Sein Leben in diesem Land hat er in seiner Autobiografie „Vierzig Jahre“ beschrieben, die 1996 herauskam. Darin geht er nicht bloß mit der DDR, sondern auch mit sich selbst ins Gericht, schildert den Druck, den der Staat auf seine Bürger ausübte und die Kompromisse, die er machte.

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„Als ich in Ulbrichts Staat um Selbstbestimmung und Selbstachtung bangte, war zum Vergleich noch der unfreiere Hitlers nahe, der mich um ein Haar Kopf und Kragen gekostet hätte“, erinnert er sich da. Die Lebenszwischenbilanz des Schriftstellers fiel „zufriedenstellend“ aus. Er war nicht ins Gefängnis gekommen, musste seine Heimat nicht aufgeben. Und hatte niemals „die Fähigkeit, Eigenes zu denken“ verloren. Seine Mutter, erfahren in der Kunst des Erduldens, hatte sich angesichts eines Unglücks immer ein noch größeres vorgestellt, beim Beinbruch gleich einen Genickbruch imaginiert. Aber wird der Beinbruch dadurch wirklich angenehmer?

Umwege zum Schriftstellerdasein

Günter de Bruyn, der 1926 in Berlin geboren wurde und das Kriegsende 1945 als Wehrmachtssoldat mit Kopfverletzung in amerikanischer Gefangenschaft erlebte, ist auf Umwegen zum Schriftsteller geworden. Der erste Umweg führte ihn als Neulehrer – unbelastet vom Nationalsozialismus und ohne akademische Ausbildung – in ein 400-Seelen-Nest im Havelland. Der zweite Umweg brachte ihn zurück in die Hauptstadt, als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Bibliothekswesen in Ost-Berlin. Dazu gehört das Privileg von Dienstreisen auch in den Westen.

Privileg mit Widerhaken

Allerdings war es ein Privileg mit Widerhaken. Gefahren werden durfte nur als Teil einer Delegation und begleitet von politischen Aufpassern. In „Vierzig Jahre“ erzählt de Bruyn, wie er von einer Tagung für ein paar Stunden zu seiner Schwester ausbüxte, die ein Kinderheim in Schleswig-Holstein leitete. „Warum bleibst du nicht einfach da?“, fragte sie. Weil er schon erste schriftstellerische Texte geschrieben hatte und gerade in eine Altbauwohnung mit niedriger Miete in der Auguststraße gezogen war. Die Tagung fand Anfang 1961 statt. Im August wurde die Mauer gebaut.

Vorbild Jean Paul

Zu Günter de Bruyns literarischen Ahnen gehören Theodor Fontane und Jean Paul. Dem alten Fontane hat er Altersbetrachtungen gewidmet, als er über 70 war. Über Jean Paul hatte er 25 Jahre vorher eine glänzende, von der Bewunderung für dessen fantastischen Witz geprägte Biografie veröffentlicht. Zwischen den Zeilen brachte er dort Kritik an den Zuständen in der DDR unter, in einem Kapitel über die Zensur, mit der sich der fränkische Schriftsteller seinerzeit herumschlagen musste.

Ironie als Waffe

Sich mit Ironie gegen die Zumutungen der Obrigkeit zu wehren, diese Lektion lernte de Bruyn bei Jean Paul. Er stieg zu einem erfolgreichen, viel gelesenen Autor auf, hielt aber Distanz zur Politik. In seinem Roman „Buridans Esel“ versetzt er das Gleichnis vom Lasttier, das verhungert, weil er sich nicht zwischen zwei Heuhaufen entscheiden kann, in eine hochkomische Dreiecksgeschichte, bei dem ein wohlsituierter Angestellter mit sich hadert, weil er nicht weiß, ob er bei seiner Frau bleiben oder ein neues Leben mit der Geliebten beginnen soll.

Sisyphos-Satiren

Ähnliche Probleme hat in „Märkische Forschungen“ ein Heimatforscher, der das Grab eines revolutionären, in den napoleonischen Kriegen gefallenen Dichters gefunden zu haben glaubt, aber fürchten muss, Fund und Gattin an den Leiter eines Forschungsinstituts zu verlieren. Sisyphos-Satiren aus dem DDR-Alltag. Die „Märkischen Forschungen“ wurde 1982 von der Defa verfilmt, mit Hermann Beyer, Kurt Böwe und Jutta Wachowiak in den Hauptrollen.

Erfolg auch nach 1989

Kein Schriftsteller, der gedruckt werden wollte, konnte in der DDR wirklich frei sei. De Bruyn war Mitglied des Zentralvorstands des Schriftstellerverbandes und gehörte zum Präsidium des PEN-Zentrums der DDR. Aber er hat sich 1976 geweigert, die Ausbürgerung Wolf Biermanns mitzutragen, und lehnte es 1989 ab, den Nationalpreis der DDR anzunehmen. Ein Erfolgsautor ist er auch im vereinigten Deutschland geblieben. Günter de Bruyn ist am 4. Oktober in Görsdorf bei Beeskow gestorben, wo er zurückgezogen gelebt hatte. Er wurde 93 Jahre alt.

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