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Ein spiralförmiges Schaubild mit den Satzzeichen aus den ersten drei Kapiteln von „Effi Briest“.

© Abbildung: Keppler und Jung, Marbach

Theodor Fontane: Die Jubiläumsausstellung: Schön auf dem Textteppich bleiben

Am Samstag wird in Neuruppin das Jubeljahr zum 200. Geburtstag von Fontane eröffnet. Die Ausstellung „fontane.200“ zeigt, wie der Autor seine Sprache fand.

Zu den Wörtern, die Theodor Fontane in seinem Roman „Effi Briest“ besonders oft benutzt hat, gehören Träne, Trost, Sofa, Seele und Zeit. In ihnen steckt schon fast die ganze Geschichte einer verfehlten Liebe und unglücklichen Ehe, die für zwei Figuren tödlich endet. Wer die Ausstellung im Museum Neuruppin besucht, die größte Festveranstaltung zum 200. Geburtstag des Schriftstellers, der wird sich im Effi-Briest-Raum unversehens auf einem gigantischen Textteppich wiederfinden. Schwarz auf weiß, in einer Schriftgröße, die der Häufigkeit des Vorkommens entspricht, fügen sich Wörter wie Brief, Familie oder Herz aneinander. Dazwischen schieben sich magentafarbene Begriffe, die in dem Buch nur einmal auftauchen, Fontansche Wortkreationen, die zwischen Poesie und Komik schillern: Angstapparat, Durchschnittsverhältnisse, Gemütlichkeitsrangliste, Veilchenwurzelluft.

Eine Einladung zum close reading, entstanden mit den Mitteln der computergestützten Sprachwissenschaft. Was dabei herauskommt, ist eine Empirie, die mitunter zur puren Kunst wird. Ein spiralförmiges Schaubild, das an eine Weltraumkarte erinnert, versammelt alle Satzzeichen aus den ersten drei Romankapiteln. Die Anführungszeichen der direkten, mündlichen Rede dominieren. Von der Decke baumeln Kartons mit den Namen der wichtigsten Protagonisten, zwischen ihnen schießen Plastikbänder mit Dialogzitaten hin und her. Effi, ihr Ehemann Innstetten und der Liebhaber Crampas, aber auch die Eltern und der Hund der Heldin sind darunter. Wie der Hund heißt, war einst eine gefürchtete Frage in germanistischen Abschlussprüfungen. Die richtige Antwort lautet: Rollo.

Wer will, kann sich in einen Liegestuhl setzen und in der Reclam-Ausgabe des Romans lesen oder Schriftstellern zuhören, die in Videos über ihr Verhältnis zu Fontane sprechen, von Marion Poschmann über Ulrike Draesner und Anja Kampmann bis zu Sibylle Lewitscharoff, die ihn allerdings „spannungslos und fad“ findet.

Startschuss zum Jubiläumsjahr

Mehr Fontane war nie. Wenn Bundespräsident Steinmeier an diesem Samstag die Ausstellung eröffnet, ist das auch der offizielle Startschuss zum Jubiläumsjahr des Schriftstellers, der am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren wurde und die Stadt mit sieben Jahren bereits wieder verließ. Denn der Vater, spielsüchtig und verschuldet, musste die örtliche Löwen-Apotheke verkaufen und versuchte in Swinemünde einen Neuanfang. Weitere Fontane Ausstellung folgen im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam am 7. Juni und im Berliner Stadtmuseum am 20. September.

Mit einem herkömmlichen biografischen Rundgang hat „fontane.200“ nichts zu tun. Die Kuratorin Heike Gfrereis, die vom Marbacher Literaturarchiv kommt, wollte die Erwartung einer großen Fontane-Erzählung unterlaufen. Die Kulturgeschichte findet sie weniger interessant als die Art und Weise, „wie Fontane mit Sprache umgeht, wie er die Worte buchstäblich dreht und wendet und Romane schreibt, die so modern sind, dass wir sie bis heute gerne lesen“. Im Mittelpunkt stehen die Notizbücher, die sich im Besitz der Berliner Staatsbibliothek befinden und an der Universität Göttingen wissenschaftlich ediert werden (zuletzt wurden die Notizbücher zu den „Wanderungen“ online veröffentlich: https://fontane-nb.dariah.eu/index.html).

63 der 67 erhaltenen Notizbücher liegen in einer gewaltigen Vitrine, aufgebahrt auf Bergen von leeren weißen Blättern. Fontane, gelernter Apotheker, behauptete, seine Werke „nach Rezept zusammengeleimt“ zu haben, hier kann man ihm dabei zuschauen. In den Büchlein, ungefähr so groß wie die heutigen Moleskine-Notizbücher, sammelt er unermüdlich Material.

Er fertigt Listen an, skizziert als Kriegsreporter 1866 den Aufmarsch der preußischen Truppen gegen Österreich und 1870 die Stellung der Truppen vor der Schlacht von Sedan, entwirft einen Grundriss des Wirtshauses für seine Kriminalgeschichte „Unterm Birnbaum“. Klagen über die Hotelkost in Basel („Trauriges Diner von zähem Rindfleisch“) fehlen ebenso wenig wie Vokabeln für eine Italienreise („Che ora parte il treno per Venezia?“). Manche Notizen geraten druckreif, etwa als Dialogzeilen für die Novelle „Ellernklipp“: „Ich möchte Dich drücken, so, Dich zerdrücken, ganz und gar.“

Tagelöhner mit dem Geiste

Fontane bezeichnete sich als „Tagelöhner mit dem Geiste“, der Biograf Iwan-Michelangelo D’Aprile nennt den Schulabbrecher einen „Spätkommenden und Unberufenen unter Scharlatanerie-Verdacht“. Als Journalist lebt Fontane lange in prekären Verhältnissen, erst seine späten Romane „Effi Briest“ und „Der Stechlin“, die er 1896 und 1899 mit über 70 Jahren veröffentlicht, werden kommerzielle Erfolge. Der Schriftsteller muss sparen, auch im Umgang mit Papier. Seine Manuskripte sind eng beschriftet, Briefe müssen von den Empfängern mühsam entziffert werden, weil sie auch bis an die Ränder vollgeschrieben sind.

In den Notizbüchern zeigt er sich als avantgardistischer Cut-and-paste-Artist. Er klebt Zeitungsmeldungen und Annoncen ein und bastelt aus Drucksachen Mäppchen, die weiteres Material aufnehmen können. Mitten in einer Aufführung fällt dem Theaterkritiker der Text für ein Glückwunschtelegramm ein, den er neben seinen Bühnen-Eindrücken notiert.

Ganz ohne den Augenschein des Authentischen und den Glamour von Künstlerdevotionalien kommt auch diese Ausstellung nicht aus. Sie prunkt, aber nur verhalten. Fontanes 17-bändiger Brockhaus, der ihn mit dem Weltwissen von 1887 versorgte, ist nach Begriffen aufgeblättert, die auch in seinen Texten vorkommen, wie „Birne“, „Wassersucht“ und „Spektralanalyse“. Neben seinem Geodreieck liegt ein hölzernes Fangeballspiel, mit dem er sich beim Schreiben zerstreute. Der Schriftsteller sprach von „Zwischenpausen zur Stärkung der dichterischen Schaffenskraft“. Abhängig von Aufträgen der Verleger, arbeitete er unentwegt in seinem „kleinen Romanschriftsteller-Laden“, seitdem er 1878 seinen ersten Roman „Vor dem Sturm“ veröffentlicht hatte.

Hölzernes Fangeballspiel, mit dem Fontane sich beim Schreiben zerstreute. Er sprach von „Zwischenpausen zur Stärkung der dichterischen Schaffenskraft“.

© Oliver Ziebe

Das Museum, untergebracht in einem klassizistischen Bürgerhaus, das 1791 nach dem großen Stadtbrand entstanden war, hatte 2014 einen Anbau bekommen. Von dort aus, wo die Notizbücher gewissermaßen ihr Kraftzentrum bilden, greift die Ausstellung in die älteren Räume aus. Die signalgelbe Farbe des fontane.200-Logos markiert die kommentierenden Eingriffe in den Dauerbestand.

So findet sich neben einer eisernen Handprothese aus dem 16. Jahrhunderts, die der Schriftsteller zu den wichtigsten Stücken des Museums zählte, ein Auszug aus dem „Stechlin“, wo Goethes Freiheitsheld „Götz“ auftritt und der tschechische Klavierlehrer Dr. Wrschowitz radebrechend bemerkt: „Deutsche Kunst viel Krittikk. Krittikk ist wie große Revolution. Kopf ab aus Prinzipp.“ Und ein bronzezeitlicher Kultwagen, im 19. Jahrhundert ausgegraben und bis heute das wohl wertvollste Stück der Sammlung, taucht sowohl im Befreiungskriegsroman „Vor dem Sturm“ als auch in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ auf.

Drei Räume der Dauerstellung sind ohnehin Fontane gewidmet. Bemerkenswert ist vor allem die Standuhr, das einzige Möbelstück aus dem Hausrat der Familie, das der Sohn retten konnte, als der Vater 1849 endgültig Bankrott gemacht hatte. Fontanes Stelle als Apotheken-Ausbilder lief aus, er war nun „kirchenmausarm“ und nannte sich fortan trotzig „littéraire“. Obwohl er bei der Revolution von 1848 auf den Berliner Barrikaden gekämpft hatte und als Wahlmann für die Nationalversammlung in der Paulskirche bestimmt worden war, sah er sich gezwungen, bei der reaktionären „Kreuzzeitung“ anzuheuern. Er habe sich „für monatlich 30 Silberlinge verkauft“, gestand er zähneknirschend.

Nicht selten sind Fontanes Figuren sprachlos. Etwa, wenn Innstetten sagt: „Für Dich bin ich...“, Effi nachhakt: „Nun was?“ und Innstetten entgegnet: „Ach lass.“ Unsagbares lässt sich nicht aussprechen, doch der Schriftsteller ließ nicht darin nach, die richtigen Wörter zu suchen, und wenn er sie nicht fand, neue zu konstruieren. Er konnte Sprache zum Schweben bringen. In einem Raum sind große Ballons zur Decke aufgestiegen, auf denen jeweils ein Kompositum zu lesen ist: Ängstlichkeitsprovinz, Überzeugungston, Abreisemoment, Vorurteilsalbernheit, Behaglichkeitsbau. 160 dieser „Klexchen“ – der Begriff stammt aus einem Fontanegedicht – haben die Initiatoren bereits zusammen, am Ende der Ausstellung sollen es mithilfe der Besucher 200 sein. Der Auftrag lautet: genauer lesen.

Museum Neuruppin, bis 30. Dezember. Das Begleitbuch kostet 28 €. Mehr Infos: www.fontane-200.de

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