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Lyonel Feiningers Gemälde „Wolken überm Meer I“ stammt von 1923 und wird für 800.000 Euro angeboten.

© Grisebach / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Mönch und Meer: Die Herbstauktionen bei Grisebach

Mit Werken von Caspar David Friedrich, Lyonel Feininger oder Maria Lassnig beeindruckt das Berliner Auktionshaus schon während der Vorbesichtigung.

Ein kahler Baum, locker akribisch gezeichnet und von wunderbarer Konzentration. Winterlich und mit dieser unvergleichlichen Melancholie, wie sie uns nur in den Bildern von Caspar David Friedrich begegnet. Wir erkennen den Baum der Zeichnung als denjenigen, der in der berühmten „Abtei im Eichwald“ neben der mystischen Ruine steht. Beim Blättern durch das „Karlsruher Skizzenbuch“ treffen wir auf das dünne Bäumchen aus dem „Hünengrab im Schnee“ oder Fichten aus Friedrichs „Kreuz im Gebirge“. Dazwischen mit Schraffuren ins Licht gesetzte Wolkenhimmel oder ein morscher Baumstamm.

Eine Sensation aus zwanzig Seiten unmittelbarer Natureindrücke. Caspar David Friedrichs 1804 entstandenes Skizzenbuch wurde über 200 Jahre im Besitz des Künstlerkollegen und Freundes Georg Friedrich Kersting und dessen Nachfahren gehütet. Nun kommt das Skizzenbuch des großen Romantikers zum ersten Mal an die Öffentlichkeit und bei der Grisebach-Auktion der Ausgewählten Werke mit einer Schätzung von einer bis eineinhalb Millionen Euro zum Aufruf.

Die Saison ist reich an Spitzenwerken

Für Lyonel Feiningers hinreißende „Wolken überm Meer I“ (1923) könnte beim Bildaufbau Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ durchaus Pate gestanden haben. Zwei winzige Menschen am schmalen Strand, dahinter in dunklem Grau das Meer mit einer Horizontlinie und über all dem der sonnenbeschienene Himmel, dessen Wolken mehr als Dreiviertel des kleinen Querformats ausmachen.

Die Wolkenfelder lässt der Bauhaus-Meister als blockartige und aufgefächerte Bildarchitektur aus farblich exakt abgesetzten Vertikalen und Diagonalen erstrahlen, mit fließenden Übergängen vom zarten Blaugrün ins Gelb und von Graurosa kontrastiert. Wolkenkuckucksheim in höchster Abstraktion. Feiningers kühne und radikale Vision des Firmaments (Schätzpreis: 800.000-1,2 Millionen Euro) ist ein weiteres Highlight der an Spitzenwerken nicht gerade armen vier Winterauktionen, die die Vorbesichtigung zu einem Museum auf Zeit werden lassen.

Ein Schwerpunkt gilt den Künstlerinnen

In diesem Sinne sind vier weitere Werke der klassischen Moderne im hohen sechsstelligen Bereich und bis zu einer Million-Euro-angesiedelt. Mit 83 Jahren malte Emil Nolde das prachtvolle Gartenbild „Mohn und blaue Lupinen“, und neben dem Spätwerk kommt seine Figuren-Allegorie „In Demut“ unter den Hammer. Max Beckmann lässt einen „Springbrunnen in Baden-Baden“ mit sattem Grün zuwachsen, während Karl Schmidt-Rottluffs fantastisches „Bootshaus in Jershöft“ die hochsommerliche Atmosphäre in betörenden Rot-Orange-Tönen aufheizt.

Per Kirkeby führt uns ins Erdinnere, das der Maler und mehrfache Grönland-Erkunder als tektonische Verschiebung im Zeitraffer erschließt. Erwartet werden für die monumentale Naturlandschaft 350.000 bis 550.000 Euro. Leicht darüber taxiert ist Ernst Wilhelm Nays dunkeltoniges Scheibenbild „Alpha“ von 1957. Sein zehn Jahre später entstandenes Großformat braucht keinen sprechenden Titel, die Farben stehen für sich. „Gelb–Orange–Kobalt I“ besticht mit klarem Formspiel, das aus hell klingender Farbigkeit erwächst.

Unter dem Motto „Great Women Artists“ und mit Audio-Guides lenkt das Auktionshaus die Aufmerksamkeit auf Künstlerinnen. Herausragend hier Arbeiten von Maria Lassnig und Rebecca Horn, aber auch weniger berühmte Namen wie die Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl oder Verena Loewensberg, Schweizer Vertreterin der Konkreten Kunst, sind darunter.

Der untere Schätzwert beträgt 22 Millionen Euro

Eine mehr als überfällige Wiederentdeckung ist Irma Stern. Als Kind deutsch-jüdischer Einwanderer in Südafrika führte die Malerin ein Leben zwischen dem afrikanischen und europäischen Kontinent. In den 1910er-Jahren studierte Stern in Berlin und Weimar und hatte später zahlreiche Ausstellungen in Europa. In Südafrika wird die 1894 geborene Künstlerin nicht zuletzt angesichts ihrer einfühlsamen Porträts verehrt, ihre Sammlung gilt als nationales Erbe. Hierzulande war sie lange Zeit vergessen. Ein repräsentatives Beispiel ihrer würdevollen Bildnisse, die ohne Klischees auskommen, ist die bei Grisebach (200.000-300.000 Euro) offerierte „Junge Frau mit Musikinstrument (Makhoyane)“.

Mit einer beeindruckenden Offerte bei einem unteren Schätzwert von 22 Millionen Euro bietet Grisebach 549 Kunstwerke vom 19. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart.

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