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Leni (Thea Ehre) beging für eine Geschlechtsangleichung ein Verbrechen. Dafür muss sie jetzt als Polizeispitzel arbeiten.

© Lieske Hochzeitsfotografie/Stephanie Lieske

„Bis ans Ende der Nacht“ im Kino: Das Mädchen und der Bulle

Auf der Berlinale wurde die trans Schauspielerin Thea Ehre für ihre Rolle im Krimi-Melodram „Bis ans Ende der Nacht“ ausgezeichnet. Das Spiel mit den Genres geht aber nur bedingt auf.

Von Andreas Busche

Im Mafia-Film bedeutet der Kuss das Todesurteil, die Strafe für den Bruch mit dem Treuekodex der „Familie“. In Christoph Hochhäuslers „Bis ans Ende der Nacht“ wird der Verrat von einer anderen körperlichen Geste der Täuschung markiert – einer Ladung Sperma an einer Autoscheibe. Leni masturbiert auf dem Beifahrersitz vor den Augen Roberts, ihre Lippen pressen erregt gegen das beschlagene Glas, das ihre Begehren trennt. Robert ist mit seiner Libido allein, er darf nur zusehen: die Strafe für seinen Vertrauensbruch, der Leni vor Jahren ins Gefängnis gebracht hat.

Genretypen am Rande des Klischees

Ein letztes Mal spielen der Cop und sein Spitzel die Möglichkeiten durch, die ihnen bessere Entscheidungen in ihren früheren, möglicherweise auch in einem gemeinsamen Leben eröffnet hätten. Aber Leni hält zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Illusion für Robert (und vielleicht ein wenig für sich selbst) aufrecht. Auch der gefälschte Pass mit ihrem neuen Namen, mit dem Leni ihr altes Leben als Lennart endgültig hinter sich lässt, kommt zu spät.

Begehren, Enttäuschung, Schicksal – die Pathosbegriffe, die Hochhäusler bis in den Titel seines Films abruft, verweisen auf ein Genre, das mit der Polizeiarbeit wenig Überschneidungen aufweist. Das Melodram ist in „Bis ans Ende der Nacht“ aber mehr als die Grundierung einer erzählerischen Mechanik, die sich vor allem an rationalen Abläufen orientiert.

Der abgewrackte Bulle, die Femme fatale, der Gangster als Komplementärfigur des Polizisten, sie alle sind Genretypen am Rande des Klischees, die Hochhäusler und sein Autor Florian Plumeyer in eine Dreieckskonstellation mit vertauschten Rollen überführen. Der Polizeifilm ist lediglich die Schablone, durch die sich die Figuren als emotional komplexe Menschen abzeichnen sollen. Dabei hilft, dass die Gesichter seiner Darsteller:innen nicht schon vom deutschen Fernsehen eingeschliffen wurden.

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In Robert Demant, gespielt von Timocin Ziegler, vereinen sich schon phänotypisch Hochhäuslers zentrale Referenzen. Die speckige Lederjacke und die fettigen Haarsträhnen sind eine Reminiszenz an Horst Schimanski wie auch den späten Fassbinder – rohe Männlichkeit, rohe Gefühle. Robert ist auf den Clubbetreiber und Drogenboss Victor Arth (Michael Sideris) angesetzt, der seine Geschäfte mit einer neuen Plattform ins Darknet verlegen will. Den Kontakt herstellen soll die vorübergehend aus der Haft entlassene Leni Malinowski, die mit beiden Männern eine gemeinsame Vergangenheit hat: als Geliebte beziehungsweise als Komplizin.

Polizeifilm trifft auf Melodram

Leni hat sich im Gefängnis einer Geschlechtsangleichung unterzogen, ihre Transition ist aber noch nicht so weit vollzogen, dass Robert nicht immer noch auf dumme Gedanken kommen würde. Sexuelle Anzüglichkeiten, ein Griff zwischen die Beine, deadnaming – Robert legt bei der Wiederbegegnung mit Leni ein Verhalten an den Tag, das seine Vorgesetzte zu dem Urteil „ein bisschen primitiv, aber das spricht für die Authentizität“ für seinen Undercover-Einsatz veranlasst.

Welche Sehnsüchte Leni noch mit diesem Macho verbindet, wird nie ganz klar, was auch daran liegt, dass „Bis ans Ende der Nacht“ zwar das Krimi-Genre in seinen wilden Idiosynkrasien (Hildegard Knef trifft auf die Düsseldorf Düsterboys, die minimalistischen Wohnungen des „Neuen Geldes“ auf Eintracht-Frankfurt-Kneipen) beherrscht, aber kaum an seine Figuren herankommt.

Konzeptuell wirkt „Bis ans Ende der Nacht“ oft schlüssiger als in der Umsetzung. Die Dialoge etwa klingen in ihrer oft banal-kunstlosen Umgangssprachlichkeit geradezu manieriert, was einen zwar immer wieder an die Theatralik Fassbinders denken lässt. Aber selbst wenn man im Alltag schnell mal einen Satz wie „Wie willst du sie akzeptieren, wenn du dich selbst nicht akzeptierst?“ dahinsagt, fühlt man sich im Kino peinlich berührt.

Silberner Bär für Thea Ehre

So wird in „Bis ans Ende der Nacht“ zwar viel über Leni gesprochen, aber ihre Gefühle bleiben oft nur Spielball männlicher Interessen. Sie ist Gefangene und Köder (inklusive elektronischer Fußfessel), die mit ihrer Gutgläubigkeit an die Grenzen des Systems stößt. Auch Roberts Vorgesetzte (großartig: Rosa Enskat), die für ihn beim Drogentest in einen Becher pinkelt, muss den Druck der Chefs ständig an die Mitarbeiter weitergeben.

Wie Thea Ehre, die auf der Berlinale für die beste Nebenrolle ausgezeichnet wurde, sich in der Bromance zwischen den Figuren von Ziegler und Sideris behauptet, kann daher gar nicht genug gewürdigt werden. Und das nicht nur, weil Hochhäusler mit der Besetzung der trans Schauspielerin das deutsche Kino wieder ein wenig mehr an die gesellschaftliche Realität andockt. Leni sucht nach einer Rolle als Subjekt in dieser Geschichte, und Ehre – mädchenhaft, naiv, kämpferisch, auch sinnlich – verleiht ihr eine Präsenz, von der „Bis ans Ende der Nacht“ in seinen besten Momenten lebt. Reinhold Vorschneiders schwebende Kamera lässt sie strahlen.

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