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Painting Forever: Männer, Maler, Emotionen

Vier gewinnt: Die Neue Nationalgalerie zeigt Werke von Martin Eder, Michael Kunze, Anselm Reyle und Thomas Scheibitz.

Die gläserne Halle des Mies-van-der-Rohe-Baus galt immer schon als Schaufenster. Doch sie ist weit mehr. Als Projektionsfläche der aktuellen ästhetischen Befindlichkeiten, als Katalysator der Moderne wirkt sie in die Stadt hinein. In den letzten Monaten dämmerte der Bau allerdings vor sich hin wie ein Seniorenstift, ruhiggestellt als edles Zwischenlager für die Skulpturen des 19. Jahrhunderts aus der Friedrichwerderschen Kirche, deren Gemäuer durch Bauarbeiten nebenan Risse bekam. Doch mit der Beschaulichkeit „Im weißen Licht“, wie diese Präsentation passenderweise überschrieben war, ist es nun vorbei. Es blitzt, es knallt, es funkt wieder.

Dynamische Ströme durchfahren die Halle, eine aufregende Interaktion zwischen vier Malern ist dort zu erleben. Gemälde von Martin Eder (Jahrgang 1968), Michael Kunze (1961), Anselm Reyle (1970) und Thomas Scheibitz (1968) sind dort zu sehen auf jeweils meterhohen abgeknickten Wänden, die sich zum Kreuz formieren. Der Besucher wähnt sich selbst im Kaleidoskop, mit jedem Schritt, jedem Blick ergeben sich neue Konstellationen. Nach den heißen Debatten in den letzten Wochen um die Zukunft der Nationalgalerie, die Aussicht auf einen Erweiterungsbau in unmittelbarer Nachbarschaft, ist das ikonische Gebäude endlich wieder mit einer Ausstellung im Gespräch. Hier passiert die Kunst, hier wird um Meinungsführerschaft gekämpft im ästhetischen Diskurs, so ruft es hinaus in die Stadt.

Der Chauvinismus, der zugleich spürbar wird, passt zu diesem Auftritt, denn eine Künstlerin fehlt unverständlicherweise in der Auswahl. Warum es in der internationalen Kunststadt Berlin auch noch vier deutsche Männer sein mussten, erschließt sich ebenfalls nicht unbedingt. Das Quartett begibt sich also ins Kreuzfeuer der Rezeption. Doch das sind die Vier schon gewohnt. Mit den Katzenbildern Martin Eders, den glänzenden Oberflächen Anselm Reyles und den abstrakten Formen Thomas Scheibitz’ ging die Kritik noch nie zimperlich um. Gemeinsam mit Michael Kunze bilden sie nun eine Boygroup, wie man sie aus der besten Zeit der Malerschweine in den sechziger Jahren kennt.

Und wie es sich für richtige Jungs gehört, wird natürlich auch gezockt. „BubeDameKönigAss“ lautet der knallige Ausstellungstitel, schaut her: ein Super-Blatt. Dass ein Spiel mit Variablen gemeint ist, bei dem mal der, mal der andere sticht, erfährt der Besucher erst, wenn er sich in die Bilderwelt der Vier begibt und den latenten Machismo zu ignorieren versucht.

Geschenkt auch die Platzhirsch-Attitüde, mit der Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann die Schau eröffnet, zwei Wochen vor dem Beginn der Berlin Art Week. Unter dem Motto „Painting Forever!“ formieren sich Nationalgalerie, Berlinische Galerie, Deutsche-Bank-Kunsthalle und Kunst-Werke eigentlich zusammen zu einer Gemeinschaftsschau. Die anderen folgen am 17. September nach. Egal, der Mies-van-der-Rohe-Bau liefert jetzt schon den furiosen Start für einen Kunstherbst der Malerei.

Natürlich war sie niemals tot, womit der Art-Week-Slogan unterschwellig kokettiert. Doch wurde ausgerechnet in der Malerstadt Berlin das Thema lange nicht mehr mit einer eigenen Ausstellung diskutiert. Konzeptkunst, Installationen, Video fanden in den letzten Jahren in fast allen Institutionen einen weit größeren Widerhall. Eder, Reyle, Scheibitz, Kunze eröffnen nun den Reigen eines öffentlichen Nachdenkens über Malerei.

Was geht, scheint jeder auf seine Art zu fragen, welche Potenziale besitzt diese älteste Form der Kunst noch für uns? Die Zusammenstellung ist klug gewählt – Reyle und Scheibitz geben die Abstrakten, Eder und Kunze die Narrativen ab. Oder anders kombiniert: Eder und Reyle delektieren sich an den geschmacklichen Grenzübertritten, der eine, indem er nackte Nymphchen malt, der andere indem er sich ungeniert beim Glamour bedient, für seine Assemblagen mit dekorativer Lackfolie Spiegelscheiben operiert. Scheibitz und Kunze passen wiederum zusammen als Weltenerfinder, Codierer einer anderen Wirklichkeit.

Malerisch arbeiten sie alle exzellent, das Handwerkliche steht auch nicht infrage. Wie stark sie sich in einer Tradition verorten,geben die deutlichen kunsthistorischen Bezüge zu verstehen. Anselm Reyle widmet sein gold-gelbes Gemälde dem Maler Otto Freundlich, einem der ersten abstrakten Künstler. Eine ironische Volte ist der Goldrahmen mit geschnitzten Lorbeerblättern bei einem kleineren Format. Michael Kunze dagegen zählt im sechs Meter breiten Gemälde „Vormittag“ seine Vorbilder namentlich auf, darunter de Chirico, Kiefer, Runge. Fehlt nur der Ostdeutsche Werner Tübke, an den seine altmeisterliche Malerei zumindest in diesem Frühbild von 1992–95 erinnert. Kunze und Scheibitz, die beiden Intellektuellen dieser Gang, eröffnen Panoramen. Kunze stellt Querbezüge zu Film, Literatur, Philosophie her, baut sinistre Kosmen, Scheibitz schafft die lichte Gegenwelt dazu, Kulissen mit abstrakten Formen, deren einstiger Bezug zur Wirklichkeit wie ausgewaschen wirkt. Was wurde er nicht 2005 für seinen Deutschen Pavillon in Venedig gescholten! Das Verständnis für seine ganz eigene Malkultur entwickelt sich erst später.

Reyle und Eder arbeiten suggestiver, appellieren fast schamlos beim Betrachter ans Gefühl. Reyle bedient sich beim Formenrepertoire der klassischen Moderne und schenkt ihr eine geradezu frivole Opulenz. Er wurde damit zum Darling von Großsammlern wie François Pinault, der seinen Palazzo Grassi in Venedig mit den schicken Werken regelrecht tapezierte. Dem Künstler brach diese stürmische Liebe beinahe das Genick, in Berlin nun ist er wiederzuentdecken. Ein Comeback. Eder, dieser Geck, inszeniert Putzigkeiten mit Katzen und Hunden, wie sie in Jugendzimmern hängen könnten. Die geradezu unverschämte Laszivität seiner Akte erinnert fast an Kaufhauskunst, wären sie nicht so exquisit gemalt.

Eins geht bei allen vier Künstlern nicht: gleichgültig zu bleiben. Damit machen sie der Malerei das größte Geschenk. Sie regt auf, weckt starke Gefühle, wie es in anderen Medien nie gelingen würde. Das klassische Tafelbild besitzt wie seit jeher die Kraft für neue Welten, eigene Wirklichkeiten. Und es emotionalisiert.

Udo Kittelmann beschrieb die Klaviatur möglicher Reaktionen von „Ah“ und „Oh“ bis „Iiih“ und „Igitt“. Lautmalerisch mag das stimmen, nur wüsste man es vom Nationalgalerie-Direktor doch gern genauer. Auch die polarisierende Rezeptionsgeschichte der vier Künstler als Auswahlkriterium überzeugt nicht wirklich. Der Mies-van-der-Rohe-Bau ist mehr als ein Ort der Rehabilitation. Und doch sprechen die Bilder für sich. Wer nach dem Stand der Malerei heute fragt, wird hier eine Antwort finden. Nur die Ewigkeitsgarantie, die gibt es trotzdem nicht.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis 24. November.

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