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Lucrezia Borgia, nach einem verlorenen Gemälde von Bartolomeo Veneto.

© imago/Leemage

Eine lebenskluge Fürstin: Regieren bei Bedarf

Friederike Hausmann widerlegt die Legenden um Lucrezia Borgia.

Sie sei ein Luxusgeschöpf gewesen, eiskalt und sexuell so unersättlich, dass sie mit Vater und Bruder schlief. Einen ihrer etlichen Männer ließ sie sogar umbringen. So lautet die schwarze Legende, die schon zu Lebzeiten Lucrezia Borgia umgab, die Tochter Papst Alexanders VI., ein Kapitel der tiefschwarzen Legende ihrer Familie. Es ist nicht das geringste Verdienst des Feminismus, dass er gelehrt hat, solchen Geschichten zu misstrauen. Die giftige Mischung aus Mord, Seelenkälte und Gier nach Sex, Geld und Macht ist so stereotyp, wenn es um mächtige Frauen geht, dass schon das Ewiggleiche Zweifel wecken sollte.

Heirat auf Zwang

Über die wirkliche Lucrezia Borgia hat jetzt Friederike Hausmann eine spannende Biografie geschrieben, die alle Mittel an die Hand gibt, dieses Frauenleben aus der Renaissance gegen den Strich zu lesen. Ihre Heiraten, wie zeitüblich allesamt Zwangsehen, diktierten die dynastischen Interessen des päpstlichen Vaters. Die erste ging sie als 13-Jährige ein. Als der Ehemann nicht mehr in die Pläne Alexanders passte, wurde sie annulliert, und die junge Frau musste nur acht Monate später Alfonso von Aragon ehelichen. In den gebildeten und eleganten „schönsten Mann, der je in Rom gesehen wurde“, wie ein Zeitgenosse ihn schilderte, war Lucrezia wohl tatsächlich verliebt. Doch das Glück war kurz. Ihr Bruder Cesare ließ Ehemann Nr. 2 umbringen. Damit war sie wieder frei für die nächste und wie stets vom Vater diktierte Ehe, mit Alfonso d’Este, dem Herzog von Ferrara.

Kränkelnd von Kindesbeinan an

So viel zu Macht und Mord. Was das sexuelle blame and shame angeht, so spricht die recht gut dokumentierte Krankengeschichte von Lucrezia eine eigene Sprache: Wie viele Römerinnen, die in der Nähe der Pontinischen Sümpfe aufwuchsen, war auch Lucrezia, ohnedies eine zarte Person, mit Malaria infiziert und erlitt immer wieder massive Krankheitsschübe. In den 17 Jahren als Frau des Herzogs von Ferrara war sie zudem nur drei Jahre lang nicht schwanger – ihr Mann war im Krieg –, und es kann als sicher gelten, dass die Syphilis, mit der er sich wie viele Zeit- und Standesgenossen infiziert hatte, zumindest für einige der vielen Fehl- und Totgeburten Lucrezias ursächlich war. Anders als ihre Schwägerin Isabella d’Este, Markgräfin von Mantua, konnte sie sich dem ständigen, ungesunden Vollzug der Ehe und den für sie riskanten Schwangerschaften nicht entziehen. Während Lucrezia die Geburt ihres achten Kindes mit 39 Jahren das Leben kostete, hatte Isabella ihrem ebenfalls syphilitischen Ehemann Francesco – mit dem Lucrezia eng befreundet war – nach acht Kindern die Bettgemeinschaft aufgekündigt und erreichte das damals für Frauen unerhörte Alter von 64 Jahren.

Kaum ein Kind überlebte

Zu den körperlichen Strapazen kam die Trauer um Totgeburten und Kinder, die das Kleinkindalter nicht überlebten. Als ihr Sohn Alessandro mit zwei Jahren starb, schrieb Lucrezia an Markgraf Francesco, den Freund in Mantua, dieser Tod habe sie „hart getroffen und mich in tiefste Trauer gestürzt“. Sie wollte offensichtlich Trost von Francesco, den der Vater des toten Kindes schon beim Tod des Erstgeborenen nicht hatte spenden können: „Ich bin sicher, dass Ihr meine Traurigkeit wegen der Liebe und Achtung, die ich Euch entgegenbringe, verstehen könnt und mit dem ungeheuren Schmerz, den ich empfinde, Mitleid habt.“

Aber Friederike Hausmann hat zum Glück keine Gegenlegende zum Schurkinnenstück der Hure vom Papsthof geschrieben. Lucrezia war eben auch keine Heilige, sondern vor allem eine typische Renaissancefürstin. Als Frau ihrer Zeit war sie eine Schachfigur in den Händen anderer. Aber sie war auch eine aktive Politikerin und Verwalterin, an der Seite eines Ehemanns, der oft in Kriegen für das Alltagsgeschäft des Regierens ausfiel. Ein Kapitel widmet die Biografin Lucrezias Wirken als Grundbesitzerin, die Feuchtgebiete rings um Ferrara trockenlegen ließ und so Ackerbauflächen für das vom Krieg geschwächte Fürstentum gewann.

Die Gier der Großen

Die Biografie der Berühmt-Berüchtigten wird dabei zum Fenster zur Renaissance in Italien. Ist der Borgia-Papst für Hausmann vor allem ein machtbewusster Fürst seiner Zeit, rückt sie mit Lucrezias Ferrara auch die Wirklichkeit der kleineren italienischen Herrschaften ins Blickfeld, die sich permanent der Kriege und Landgier der Größeren zu erwehren oder ihnen anzuschließen hatten: Venedig, Florenz oder der Kirchenstaat, aber auch die global players der damaligen Zeit, der französische König oder der deutsche Kaiser. Ihr Spiel kannte kein Ende, höchstens Pausen, und es war, so Hausmann, blutig und zerstörerisch.

Zwei Seiten der Medaille

Der süffige Untertitel ihrer Biografie, „Glanz und Gewalt“, scheint ein Gegensatzpaar zu konstruieren. Doch Hausmann zeigt immer wieder, wie das eine ins andere übergeht. Auch der Glanz war Machtmittel, auf den pompösen Hochzeiten von Hausmanns Heldin, den Festen der Borgia in Rom ebenso wie im kleinen Ferrara. Dort ließ 1512 Lucrezia den Karneval ganz besonders aufwendig feiern – dabei wurde rings um Ferrara überall gekämpft, der Gatte war von Front zu Front unterwegs und Lucrezia selbst, gerade erst von langer Krankheit befreit, zutiefst erschöpft. Was uns Heutigen frivol erscheinen mag, war kühle Kosten-Nutzen-Rechnung, „eine Art Demonstration der eigenen Furchtlosigkeit und Stärke“, wie Hausmann schreibt. Elegante Verschwendung sollte die ungeliebten Verbündeten im Herzogtum beeindrucken, 20 000 französische Soldaten und ihren General. Karneval im Krieg – ein Fressen für die schwarze Legende, hätte uns Lucrezias Leben nicht gelehrt, dass der erste Eindruck, erst recht aus historischer Distanz, leicht trügt. Auch Karneval kann die Fortsetzung des Krieges sein, nur eben mit anderen Mitteln.

Friederike Hausmann: Lucrezia Borgia. Glanz und Gewalt. Eine Biografie. Verlag C. H. Beck, München 2019. 320 S. mit 20 Abb. und 3 Karten, 24,95 €.

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