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Schlingelei. Wests Riesenwerk auf der Art Basel trägt den Titel „Gekröse“.

© picture alliance / dpa

Kunst: Neurosen, stark gebeult

Skulpturen mit Gebrauchswert: Zum Tod des großen Wiener Bildhauers Franz West. Der österreichische Künstler wurde erst im vergangenen Jahr auf der Biennale in Venedig mit dem goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt.

Wer nach Wien mit dem Flugzeug kommt, dann den Zug bis zum Bahnhof Mitte nimmt und zu Fuß weiterläuft, der muss über die Stubenbrücke. Und vor ihm liegt die Stadt, in ihrer K.-u.-k.-Seligkeit, der Ring mit den Fiakern wie einst und stuckverzierten Häusern. Doch nicht ganz, denn auf der Stubenbrücke stehen noch vier Pylone aus zerbeultem Metall, weiß angemalt. Wien ist nicht nur Vergangenheit, signalisiert dieser Empfang, Wien ist auch Künstlerstadt. Mit der dauerhaften Installation der „Lemurenköpfe“, so ihr Titel, hat die Stadt immer auch Franz West, ihren bedeutendsten Bildhauer, geehrt, der in der Nacht zum Donnerstag nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren starb. In Venedig wurde er auf der letzten Biennale noch mit dem goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Die „Lemurenköpfe“ grüßen nun traurig. Vor elf Jahren gelangten sie anlässlich seiner Retrospektive im nahegelegenen Museum für Angewandte Kunst auf die Brücke – und blieben.

Wien, das ist auch Franz-West-Stadt, wird hier sofort klar. „Wenn man Neurosen sehen könnte, sähen sie so aus,“ hat der Künstler einmal über seine „Passstücke“ gesagt, wie er diese „körpererweiternden Sinnesprothesen“ nannte. Auch deshalb passen sie perfekt für Wien als Entree, der Stadt Freuds und der Psychoanalyse. Anfangs waren die Objekte noch aus Pappmaché, Polyester und Gips gemacht; sie sollten vom Publikum herumgetragen werden. Darin zeigt sich Wests Prägung durch den Wiener Aktionismus, die Material- und Körperaktionen von Hermann Nitsch, Otto Mühl und Günter Brus. Auch für West gehörte zur Kunst das psychische Erleben, die Körperbezogenheit.

Und er meinte es ernst damit. West wollte nicht nur, dass das Publikum an der Kunst partizipiert, für ihn vollendete sich ein Werk erst durch deren Benutzung. So gelangten die verrückten Sofas in seinen Skulpturenkosmos. Auf die Idee soll der Künstler gekommen sein, als er bei einer eigenen Vernissage eine passende Sitzgelegenheit vermisste und auf Abhilfe sann. Gebaut aus einfachem Blech und dürftigen Metallbeinen bevölkern sie heute ganze Museumscafés wie etwa im Kölner Ludwig-Museum. Berühmtheit erlangte die Armada schiefer und krummer Chaiselongues, die er für die Documenta IX in Kassel entwarf und die für viele zum Lieblingswerk der Großausstellung wurde. Klar, dass sich eine dieser Metallliegen auch in Wien in der Berggasse in den berühmten Behandlungsräumen Sigmund Freuds befindet.

In den letzten zehn Jahren kam in dem Werk dieses kauzigen Tausendsassas auch das Happening hinzu – in bester Wiener Tradition. Ob er damit auf seine Art Psychoanalyse betrieb oder zumindest kathartische Prozesse anstoßen wollte, verriet er nicht. Die spektakuläre Versenkung einer roten Ducati in einem Bottich mit Fangoschlamm bei laufendem Motor anlässlich seiner Retrospektive im Kunsthaus Bregenz 2003 gab zu vielerlei Interpretationen Anlass. Der Kunstsammler Friedrich Flick hatte die Maschine als Mäzen bereitgestellt und musste sie – weil durch den Schlamm und künstlerischen Prozess veredelt – wieder neu für sich erwerben.

Heute steht die bräunlich überzogene Ducati im Hamburger Bahnhof in Berlin, wo sich zahlreiche weitere Arbeiten von West aus der Flick-Collection befinden, darunter Gemeinschaftswerke mit Martin Kippenberger sowie Heimo Zobernig und Haim Steinbach, wie sie typisch für ihn sind. Im Vorgarten des Museums begrüßt wie in Wien eine eigentümliche metallene Wurst den Besucher, hier allerdings liegend und nicht aufrecht und in schillerndem Gelb statt Weiß. Das passt mindestens ebenso gut. Schließlich mangelt es auch den Berlinern nicht an Neurosen. Nicola Kuhn

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