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Philip Bröking und Susanne Moser

© Foto: Jan Windszus

Komische Oper Berlin: „Zweimal ja oder gar nicht“

Susanne Moser und Philip Bröking leiten jetzt als Doppelspitze die Komische Oper. Im Interview sprechen sie über ihre Pläne.

Nach zehn erfolgreichen Jahren hat Barrie Kosky die Intendanz der Komischen Oper im Sommer an zwei vertraute Mitstreiter abgegeben: An die 1974 in Salzburg geborene Susanne Moser und den 1966 in Wuppertal geborenen Philip Bröking.

Frau Moser, Herr Bröking, Sie arbeiten beide bereits seit 2005 an der Komischen Oper Berlin, als Geschäftsführende Direktorin beziehungsweise als Operndirektor. Jetzt haben Sie als Doppelspitze die Intendanz von Barrie Kosky übernommen. Wer durfte denn ins Chefzimmer einziehen?
Moser: Keiner. Wir haben unsere bisherigen Büros behalten.
Bröking: Dabei muss man wissen, dass Susanne Moser in dem Raum sitzt, in dem einst der stellvertretende Kulturminister der DDR residierte!
Moser: Ja, der Raum hat besonders schöne Einbaumöbel aus den 60er Jahren. Dafür wird es bei mir auf der Südseite im Sommer aber auch extrem heiß.
Bröking: Der Raum, der seit Harry Kupfers Zeiten das Intendanz-Zimmer war, ist jetzt ein normales Büro für zwei Mitarbeiter. Aus dem Vorzimmer haben wir einen Besprechungsraum gemacht. Moser: Aber in knapp einem Jahr ziehen wir ja sowieso hier aus und gehen für die Phase der Sanierung und Erweiterung der Komischen Oper nach Charlottenburg, ins Schillertheater.

Dass die Komische Oper nun von einer Doppelspitze geführt wird, kann man an der Spielzeitvorschau sehen. In der Broschüre sind alle Überschriften mit zwei verschiedenen Schrifttypen geschrieben, die sich Buchstabe für Buchstabe abwechseln. Ein Zeichen der Gleichberechtigung?
Moser: Oft wird bei einem Intendanzwechsel das komplette äußere Erscheinungsbild einer Institution ausgewechselt. Das wollten wir nicht. Weil wir beide schon lange am Haus sind, war es uns wichtig, eine gewisse Kontinuität zu zeigen, um die gut eingeführte Marke „Komische Oper Berlin“ wiedererkennbar zu halten während der bevorstehenden Jahre der Wanderschaft. Dennoch haben wir auch Akzente der Veränderung gesetzt, wie bei den beiden Schriftarten.

Stücke für Kinder sind uns besonders wichtig.

Susanne Moser

Sie bieten in dieser Spielzeit mehr Premieren an als Wiederaufnahmen früherer Produktionen. Das wird eine logistische Herausforderung.
Bröking: Der Schwerpunkt der Arbeit hier lag schon immer auf den Premieren, und das haben wir für diese Saison nochmal verstärkt.
Moser: „Tom Sawyer“ ist eine Produktion – deren Bühnenbild vor dem ersten Corona-Lockdown schon fast fertig gestellt war – und die wir jetzt endlich zeigen können. Zusammen mit der „Pippi Langstrumpf“-Uraufführung bieten wird also in dieser Saison gleich zwei neue Kinderstücke an, die sind uns nämlich besonders wichtig.
Bröking: …und lassen sie uns auch etwas kosten! Wir spielen alle Kinderopern auf der Hauptbühne mit großem Orchester und vollem Aufwand für Solisten und Ausstattung, und dazu erheblich reduzierten Eintrittspreisen. Wir nehmen bei einer vollbesetzten Vormittagsaufführung für Schulklassen nur 15 Prozent dessen ein, was wir bei einer abendlichen Erwachsenenveranstaltung einnehmen könnten.
Moser: Und der Bedarf ist riesig. Fast alle „Pippi Langstrumpf“-Aufführungen sind jetzt schon ausverkauft – dabei ist ja erst am 6. November Premiere.

Und bei den Erwachsenen, wie läuft es da mit dem Vorverkauf?
Moser: Wir beobachten, dass alle Titel, die vor der Pandemie gut gingen, jetzt auch wieder stark nachgefragt werden - und dass jene, die es schon früher schwer hatten, es jetzt noch schwerer haben.
Während der Ära Kosky standen alle anderen Beteiligten stets im Schatten seines Charismas, besonders die Chefdirigenten. Soll sich das jetzt ändern?
Moser: Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, wo die Komische Oper noch Potenziale hat, die sich ausbauen lassen. Gerade im musikalischen Bereich sehen wir Entwicklungsmöglichkeiten: Mit unserem neuen Generalmusikdirektor James Gaffigan, der im Herbst 2023 beginnt, haben wir ein Zeichen gesetzt. Und auch darüber, dass wir Erina Yashima als Kapellmeisterin gewinnen konnten, sind wir sehr glücklich.
Bröking: Mit James Gaffigan haben wir jemanden gefunden, der nicht nur exzellent Musik machen, sondern auch begeisternd darüber reden kann. Aufgrund seiner eigenen Biografie – als Kind aus kulturfernen Verhältnissen wurde er stark durch die Schule gefördert - ist ihm die Vermittlungsarbeit enorm wichtig.

Blick in den Zuschauerraum der Komischen Oper 

© Foto: Jan Windszus Photography

Als Eröffnungspremiere haben Sie Luigi Nonos „Intolleranza 1960“ ausgewählt. Warum?
Bröking: Unter anderem, weil wir feststellen mussten, dass die Themen, die vor nunmehr 62 Jahren den Komponisten bewegten – Rassismus, Migration, Umweltzerstörung – aktueller denn je sind. Es geht dem Regisseur Marco Štorman aber nicht darum, vordergründig, die im Werk explizit beschriebene Gewalt zu zeigen. Für ihn spielen sich die wahren Kämpfe im Innern der Menschen ab. Mit der Eiswüste, in die sich der Zuschauerraum verwandeln wird, hat er eine Parabel entwickelt. 
Moser: Unsere Techniker:innen haben in der Sommerpause durchgearbeitet und alle Sitze im Saal ausgebaut, denn das Bühnenbild ist eine Installation, die Zuschauer:innen werden auf der Bühne sitzen, das Orchester spielt im 2. Rang.
Bröking: Luigi Nono hat nie der klassischen Guckkastenbühne vertraut, er träumte vielmehr davon, auf dem Campo in Siena Freiluftveranstaltungen zu machen, die offen sind für alle. Nach der Premiere gibt es binnen zweier Wochen fünf weitere Vorstellungen, weil wir den Zuschauerraum dann wieder in die gewohnte Form zurückbauen. Wer „Intolleranza“ erleben will, muss also schnell zugreifen. Diese Produktion soll zugleich ein Vorgeschmack auf das sein, was wir ab der nächsten Spielzeit planen: Wir wollen ausschwärmen in die Bezirke, an Orten spielen, die keine traditionellen Theatersäle sind.

Haben Sie das Ensemble auch umgebaut?
Moser: Wir haben uns ein wenig verjüngt, vier neue Solist:innen engagiert. Andere Stützen des Hauses wie Christiane Oertel und Peter Renz sind in Rente gegangen.
Bröking: Wir befinden uns in der angenehmen Lage, dass bei uns selten jemand kündigt, der einmal ins Ensemble aufgenommen wurde. Die Komische Oper Berlin wird nicht als Durchlauferhitzer gesehen auf dem Karriereweg an die ganz großen Bühnen. Diven-Alarm, das gibt es bei uns nicht. Daraus resultiert für uns als Leitung aber auch die Verpflichtung, die einzelnen Künstlerpersönlichkeiten besonders intensiv in ihrer Entwicklung zu begleiten.

Je besser alle drei Berliner Opernhäuser aufgestellt sind, desto besser ist es für den Standort.

Philip Bröking

Leider können wir in der aktuellen Situation nicht nur über Kunst sprechen, wir müssen auch über Strompreise reden.
Moser: Uns ist ja nicht erst seit ein paar Monaten klar, dass wir unseren Beitrag zum Energiesparen leisten müssen. Darum haben wir zum Beispiel bereits vor mehreren Jahren begonnen, LED-Leuchten einzubauen statt konventioneller Glühbirnen. Nachhaltiges Reisen ist ein Thema für uns, innerhalb von Deutschland fahren wir so gut wie immer mit dem Zug, auch wenn es vielleicht teurer ist als ein Inlandsflug. Das gilt auch für die Gastkünstler:innen.
Bröking: Außerdem überlege ich mir genau, ob ich für eine Nebenrolle eine Sängerin engagiere, die von weither einfliegt, oder ob ich die Partie nicht genauso gut mit jemandem aus Berlin besetzen kann.

Empfinden Sie den ständigen Wettstreit, der zwischen den Berliner Opernhäusern herrscht, als Ansporn oder als Belastung?
Bröking: Ich persönlich halte nichts von negativer Konkurrenz. Im Gegenteil, ich freue mich über jede gelungene Premiere die ich in der Deutschen Oper oder der Staatsoper sehe. Denn je besser alle drei Häuser aufgestellt sind, desto besser ist es für den Standort.
Moser: Oft wird ja darüber debattiert, wer welche Stücke spielen darf. Allerdings liegt es meiner Meinung nach nicht an einer bürokratischen Festlegung der Repertoire-Verteilung, ob ein Haus ein unverwechselbares künstlerisches Profil entwickeln kann oder nicht.

Wenn Sie also ein Musikdrama von Richard Wagner spielen, wie in der nächsten Saison den „Fliegenden Holländer“, dann müssen Sie dafür schon einen überraschenden Regisseur aufbieten, in diesem Fall den Humorspezialisten Herbert Fritsch?
Moser: Barrie Kosky hatte für seine Amtszeit kategorisch festgelegt: Kein Wagner! Wir haben darüber nachgedacht und entschieden: Ein kleiner Wagner passt zum nächsten Schritt, den wir mit der Komischen Oper Berlin gehen wollen.
Bröking: Damit schließt sich der Kreis zu der Frage, was wir für unser Ensemble tun. Der Holländer ist nämlich eine tolle Rolle für unseren Bariton Günter Papendell, der gerade jetzt künstlerisch an einem Punkt in seiner Entwicklung ist, an dem diese Partie ideal passt.

Wo zwei Menschen arbeiten, gibt es oft auch zwei Meinungen. Wie lösen Sie Konflikte als Doppelspitze? Wer entscheidet in einer Patt-Situation?
Moser: Unsere Regel heißt: zweimal ja oder gar nicht. Alle wesentlichen Entscheidungen treffen wir gemeinsam. Ich kann argumentieren, stundenlang, tagelang, monatelang – wenn Philip Bröking mein Projekt nicht gefällt, ist es gestrichen.
Bröking: Wenn wir eines von Barrie Kosky gelernt haben, dann das: Funktioniert eine Idee nicht, muss man eben einen andere haben. Es gibt nie nur den einen Weg. Kreativität bedeutet, in verschiedene Richtungen denken zu können.
Moser: Denn letztlich geht es hier ja nicht um unsere privaten Vorlieben. Sondern wir denken für ein Haus, das wir gemeinsam voranbringen wollen. beginnt.

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