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Eingeheiratet in das „Ölgeld“. Ernest (Leonardo DiCaprio) hat auf das Land seiner Frau Mollie (Lily Gladstone) abgesehen.

© dpa/-

„Killers of Flower Moon“ im Kino: Amerikas Ursünde, die Fortsetzung

In seinem historischen Krimi „Killers of Flower Moon“ rekonstruiert Martin Scorsese eine Mordserie am indigenen Osage-Volk in den 1920er Jahren. Leider stehlen Robert de Niro und Leonardo DiCaprio seinen eigentlichen Stars die Schau.

Von Andreas Busche

Der amerikanische Rassismus – auf den Plantagen in den Südstaaten und in der weiten Prärie des amerikanischen Westens, dem Territorium der indigenen Völker – war nicht allein von Gier angetrieben. Dass Neid ebenfalls eine maßgebliche Rolle spielte, bezeugen wackelige Archivaufnahmen aus den 1910er Jahren: In Tulsa, Oklahoma war nach dem Ölboom eine prosperierende schwarze Mittelschicht entstanden, die der Bürgerrechtler Booker T. Washington noch zu Lebzeiten „Black Wall Street“ nannte.

Aber für die weiße Bevölkerung, und den gerade wiedererstarkten Ku-Klux-Klan, war der Anblick von schwarzen Geschäftsleuten, die voller Selbstbewusstsein am „Amerikanischen Traum“ partizipierten, ein Affront: Am 31. Mai 1921 begann in den Straßen des afroamerikanischen Viertels von Tulsa, Greenwood, ein Massaker an der Bevölkerung, bei dem innerhalb von zwei Tagen mindestens 300 Bewohner getötet wurden.

Martin Scorsese erinnert in „Killers of the Flower Moon“ an die Komplementärerzählung zum „Tulsa-Massaker“: die ebenfalls über Jahrzehnte aus den amerikanischen Geschichtsbüchern getilgten „Osage-Morde“. Zwischen 1918 und 1931 starben über hundert Angehörige der indigenen Osage-Bevölkerung in Oklahoma unter lange ungeklärten Umständen.

Amerika und seine Gewalt

Die Szenen, mit denen Scorseses Film im Stile einer Newsreel-Show beginnt, wirken wie ein Spiegel der überlieferten Bilder aus Tulsa: Männer und Frauen in traditioneller Kleidung tragen ihren Reichtum zur Schau, sie umgeben sich mit Dienstpersonal und Chauffeuren in Pierce-Arrow-Limousinen, die damals auch zum Fuhrpark des US-Präsidenten gehörten. Die Osage, erklärt ein Titel, gehörten in den 1920er Jahren nach Pro-Kopf-Einkommen zu den reichsten Menschen Amerikas, nachdem auf dem Land, das die Regierung ihnen zugeteilt hatte, gewaltige Ölvorkommen entdeckt worden waren.

Scorsese hat die amerikanische Geschichte meist von ihrer gewaltsamen Seite gezeigt, von „Taxi Driver“ über „Goodfellas“ bis zu „Gangs of New York“ und „The Irishman“. Seine Faszination mit der Gewalt drehte sich dabei immer wieder auch um die organisierte Kriminalität und ihre dunkle Anziehungskraft. „Killers of the Flower Moon“ hätte diesem Gesamtwerk noch mal eine neue Perspektive abgewinnen können. Es wäre auch ein würdiger Schwanengesang für den inzwischen 80-jährigen Scorsese gewesen, der sich bisher nie sonderlich für die Menschen interessiert hat, die lange vor den europäischen Siedlern auf dem Kontinent lebten. Sein Film beruht auf dem gleichnamigen Sachbuch des Bestsellerautors David Grann, das die „Osage-Morde“ 2017 wieder ins Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit gebracht hat.

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Während die Mordserie am Osage-Volk bei Grann aber vor allem die Geburtsstunde des FBI – Anfang der 1920er Jahre noch eine obskure Bundesagentur namens Bureau of Investigation – markiert, zieht Scorsese zumindest die naheliegende Querverbindung zum „Tulsa-Massaker“, das sich kurz zuvor gerade mal siebzig Meilen weiter südlich ereignet hatte. Bei einer Versammlung der Osage-Gemeinde, angesichts der wachsenden Zahl von Todesfällen unter ihnen, fällt einmal der Satz, dass man von den Weißen ohnehin keine Hilfe erwarten dürfe, wie ja schon Tulsa gezeigt habe. Sie seien nur auf ihr Geld aus.

Der König des Osage County

Scorsese impliziert damit auch noch etwas anderes: dass nämlich nicht einmal ökonomische Sicherheit Minderheiten vor der Gewalt des weißen Amerikas schützt. Irgendwo in „Killers of the Flower Moon“ steckt ein düsterer Kommentar zum amerikanischen Kapitalismus. Scorsese verliert sich in dreieinhalb Stunden aber in vielen Nebensträngen. Vor allem, weil er die Geschichte erzählen will, in der seine Lieblingsschauspieler Robert De Niro und Leonardo DiCaprio – zum ersten Mal gemeinsam für ihn vor der Kamera – die Stars sind. Am Ende ist „Killers of the Flower Moon“ wieder ein typischer Scorsese-Film.

Immer mehr tote Stammesangehörige tauchen außerhalb von Fairfax, Oklahoma auf, über die der Rancher William Hale (Robert De Niro) als selbsternannter „King“ des Osage County (in Personalunion auch örtlicher Sheriff) herrscht. Das stolze Volk der Osage betrachte er als seine Freunde – während er systematisch versucht, seine Männer in die indigenen Familien einzuheiraten, um nach deren Tod die Kontrolle über die Landrechte an sich zu reißen.

William „King“ Hale (Robert De Niro, links) und sein Neffe Ernest (Leonardo DiCaprio).

© dpa/-

Als nützlicher Idiot fungiert sein nichtsnutziger Neffe Ernest (Leonardo DiCaprio), der gerade aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt ist und bei seinem reichen Onkel anheuert. Er ist auf die junge Mollie Burkhart (Lily Gladstone) angesetzt, deren schwerkranke Mutter Lizzie (Tantoo Cardinal) über beträchtliche Ländereien mit Ölvorkommen verfügt. Im Weg stehen Ernest nur noch Mollies drei Schwestern.

Wie ein Film der Coen-Brüder

Die wahre Geschichte von Ernest und Mollie Burkhart ist so etwas wie das Herz von „Killers of the Flower Moon“: eine Aufgabe, der Gladstone mit einer Mischung aus amüsierter Ironie und großzügiger Gelassenheit mehr gewachsen ist als der häufig überforderte DiCaprio. Ernst, der unter dem Einfluss seines Onkels zunehmend zu einem Charakter aus einem Film der Coen-Brüder regrediert, sei nicht besonders helle, meint Mollie einmal grinsend zu ihren Schwestern. Aber er sieht gut aus.

Sie nimmt in Kauf, dass er auf ihr Geld aus ist – im Glauben, dass von dem charmanten Großmaul nicht mehr Gefahr ausgeht als von den anderen Hinterwäldlern. Sein Onkel, „King Bill“, sei schließlich ein Freund der Familie, seit sie denken kann. Ihre ersten Avancen haben etwas Unschuldiges. Als nach der Hochzeit Mollie zunehmend mit der Diabetes zu kämpfen hat (eine weit verbreitete Krankheit unter den Osage), kümmert Ernest sich aufopferungsvoll um sie – ohne zu hinterfragen, welche Medizin er Mollie verabreicht.

Mollie Burkhart (Lily Gladstone, zweite von links) mit ihren Schwestern Reta (JaNae Collins, li.), Anna (Cara Jade Myers) und Minnie (Jillian Dion, rechts).

© MELINDA SUE GORDON

Und so, wie Mollie von einer selbstbestimmten Akteurin zu einer bettlägrigen Patientin an die Seitenlinie gedrängt wird, verliert auch „Killers of the Flower Moon“ zunehmend das Interesse an der Perspektive der Osage. Scorsese hat den „White Saviour“-Komplex der Vorlage zwar reduziert: Auch die Ermittlungen des „Bureau“, das nach einem Hilfegesuch in Washington die Agenten Tom White (Jesse Plemons) und John Wren (Tatanka Means) nach Fairfax schickt, spielen nur insofern eine Rolle, als sie die Machenschaften von Bill Hale betreffen. Man hat ständig den Eindruck, Scorsese wolle lieber eine Gangstergeschichte erzählen.

Inbegriff weißer Überlegenheit

Die Handlanger und Auftragskiller des „King“ gehen immer dilettantischer vor. Beim Bombenanschlag auf das Haus von Mollies Schwester Reta (JaNae Collins) wird fast der ganze Straßenzug in Schutt und Asche gelegt. Aber sie fühlen sich unantastbar, niemand fürchtet Konsequenzen. Den Bundesbeamten White empfängt Hale im Friseursalon, wo er gerade eine Rasur erhält. Nie scheint Scorsese zu realisieren, dass er in „Killers of the Flower Moon“ den Inbegriff von weißer Suprematie beschreibt.

Auch in einer Schlüsselszene werden die Figuren wieder nur auf ihr Knallchargentum reduziert: Als Ernest davon abgehalten werden soll, gegen seinen Onkel auszusagen, wird er in ein Hinterzimmer zitiert, in der sich die Ölmagnate der Region versammelt haben. Würde Scorsese verstehen, worum es bei den „Osage-Morden“ tatsächlich ging, würde er sich mehr auf den Zusammenhang von Genozid und Kapitalismus konzentrieren. Dieses Versäumnis ist besonders ärgerlich, da in Amerika seit einigen Jahren ein erbitterter Streit um das Thema „Critical Race Theory“, die historische Schuld des weißen Amerikas, entbrannt ist.

Der Historienkrimi hätte durchaus das Zeug zum gegenwärtigen Drama gehabt. Es wäre auch eine Chance für Martin Scorsese gewesen, eine einzigartige Karriere, nach der Einladung nach Cannes im Mai, mit einem großen Spätwerk zu krönen. Denn wie sehr ihm das Thema am Herzen liegt, zeigt schon der Epilog, in dem er selbst in einer fiktiven True-Crime-Radioshow (gesponsert vom FBI) vor die Kamera tritt, um an die Opfer der „Osage-Morde“ zu erinnern. Doch „Killers of the Flower Moon“ ist mehr Moritat als Requiem.

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