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Schauspielerin Regina King aus "Watchmen" ist für einen Emmy nominiert.

© imago images/Prod.DB

Vorschau auf die Emmy Awards: Rebellion der Superhelden

Am Sonntag werden in Los Angeles die Emmys verliehen. Ein Favorit: die Serie "Watchmen", die mit alternativer Geschichtsschreibung Rassismus kritisiert.

Von Andreas Busche

Geschäfte brennen, Männer in Roben zerren einen Schwarzen auf die Straße. Ein Kuttenträger läuft durch die panische Menge und schießt um sich, ein Auto zieht zwei Leichen hinter sich her. Die Eröffnungssequenz von „Watchmen“ weckt Assoziationen an die Unruhen in Kenosha. Das Massaker von Tulsa liegt allerdings lange zurück, im kommenden Mai jährt es sich zum hundertsten Mal. Über 300 Menschen starben 1921, als ein weißer Lynchmob ein Blutbad anrichtete.

Afroamerikanisches Trauma

Der Auftakt der neunteiligen HBO-Serie rührt an einem afroamerikanischen Trauma. Erst 1997 setzte Oklahoma einen Untersuchungsausschuss ein. Vergessen war auch, dass in den zwanziger Jahren – auf dem Höhepunkt der Jim-Crow-Ära – in Tulsa eine prosperierende schwarze Mittelschicht existiert hatte. Von der „Black Wall Street“ blieb nach dem Massaker nicht einmal eine Erinnerung übrig.

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Ta-Nehisi Coates schreibt in seinem Essay „The Case for Reparations“, wie er in einem Archiv zufällig auf alte Zeitungsartikel stieß. Im Juni erfuhr das Ereignis neue Aufmerksamkeit, als Donald Trump ankündigte, am „Juneteenth“, dem Gedenktag der Sklavenbefreiung, in Tulsa Wahlkampf abzuhalten. Ein doppelter Affront. Später rühmte er sich damit, dass viele Amerikaner erst dank ihm von „Juneteenth“ und dem Tulsa-Massaker gehört hätten.

Zurück ins nationale Gedächtnis

Das ist natürlich Unsinn. Wenn überhaupt gebührt „Watchmen“ das Verdienst, Tulsa ins nationale Gedächtnis zurückgeholt zu haben. Es gibt ein paar Bücher und die TV-Dokumentation „A Hidden History“ aus dem Jahr 2000, aber erst die Miniserie von Damon Lindelof („Lost“) machte die historische Tragödie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Popkulturelle Phänome haben kurze Halbwertzeiten, „Watchmen“ könnte jedoch nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Mit 26 Nominierungen bei den „Emmy Awards“, die am Sonntag in Los Angeles verliehen werden, kratzt „Watchmen“ am Rekord des HBO-Kritikerlieblings „Game of Thrones“ (32 Nominierungen für die letzte Staffel in 2019). Auch die „Emmys“ finden unter Pandemie-Bedingungen statt, die Comic-Adaption über eine Gruppe abtrünniger Superhelden könnte dazu beitragen, dass die diesjährige Verleihung Fernsehgeschichte schreibt.

Mit dem DC-Comic von Alan Moore hat Lindelofs Adaption nur noch die Figuren und einige Motive gemein, er hat die Vorlage komplett umgekrempelt. Die Superheldin Sister Night, gespielt von Regina King (für einen Emmy nominiert), war bei Moore nur ein Nebencharakter.

Robert Redford als US-Präsident

„Watchmen“ spielt in einer alternativen Wirklichkeit. Doch während bei Moore noch der Kalte Krieg tobt, hat Lindelofs Amerika seinen Rassismus für überwunden erklärt. 1985 wurde Robert Redford, Hollywoods liberaler Posterboy, nach einem außerirdischen Angriff (ein Riesentintenfisch fällt über New York vom Himmel), zum Präsidenten gewählt. Seine erste Amtshandlung: Reparationszahlungen an die afroamerikanische Bevölkerung für das Tulsa-Massaker.

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Tulsa ist inzwischen das politische und kulturelle Zentrum Amerikas. Die ehemalige Polizistin Angela Abar (King) führt als Sister Night eine Vigilantengruppe von Superhelden an, die die „Siebte Kavallerie“ bekämpft, ein Nachfolger des Ku-Klux-Klan. Manchmal regnet es noch Tintenfische, um daran zu erinnern, dass Amerika auch aus dem All Gefahr droht.

Grimmiger Humor

Es ist eine fantastische Prämisse, mit grimmigem Humor erzählt. Alternatives world building hat im Serienfernsehen gerade Konjunktur; vor einigen Monaten lief auf HBO die Philip-Roth-Adaption „Verschwörung gegen Amerika“, in der US-Präsident Charles Lindbergh während des Zweiten Weltkriegs KZs errichtet. Selektive Geschichtsschreibung zum zentralen Thema einer Fantasyserie zu machen, ist ein findiger Dreh. Das historische Tulsa-Massaker, als Ausgangspunkt von „Watchmen“, ist eine Anleitung dafür, wie leicht sich alternative Realitäten etablieren lassen. Lindelof rekonstruiert dieses traurige Kapitel, indem er das Trauma Tulsa zur Geburtsstunde des amerikanischen Jahrhunderts erklärt.

Wie fließend und visuell avanciert sich Geschichte und Fiktion, Fantasy und Realismus in „Watchmen“ durchdringen, um die „afroamerikanische Erfahrung“ im 20. Jahrhundert zu beschreiben, zeigt sich am eindrucksvollsten in der sechsten Episode „This Extraordinary Being“, die allein gut die Hälfte der 26 Emmy-Nominierungen einstreicht. Sie erzählt die origin story des ersten schwarzen Superhelden Hooded Justice.

Das Massaker überlebt

Will Reeves überlebt als Fünfjähriger das Tulsa-Massaker, doch der amerikanische Rassismus verfolgt ihn von den Schlachtfeldern Europas bis nach Harlem. In den Fünfzigern kommt er als Polizist einem Geheimbund auf die Spur, der mit Massenhypnose Unruhen in schwarzen Vierteln anzettelt. Will wird zum Rächer Hooded Justice, sein Kennzeichen: ein Strick um den Hals. Seine Enkelin Angela durchlebt in „This Extraordinary Being“ nach Einnahme der Droge „Nostalgia“ die Erinnerungen ihres Großvaters. Schon der Name besitzt eine ambivalente Konnotation: Nostalgie ist in Amerika ein weißes Privileg.

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Dass eine Superheldenserie eine solche kulturelle Wertschätzung erfährt, ist kein Zufall. Seit dem Erfolg der Horrorsatire „Get Out“ erweisen sich fantastische Stoffe immer wieder als treffende Allegorien für die black experience. Die Serie „Lovecraft Country“ (HBO) etwa gibt eine kluge Antwort auf aktuelle Cancel-Culture-Debatten: Statt H.P. Lovecraft wegen seiner rassistischen Ansichten aus dem Horror-Kanon zu verbannen, verbindet die Serie Lovecrafts Rassismus mit Motiven aus seinen Geschichten.

Schleimmonster gegen Suprematisten

In den fünfziger Jahren reist der Autor eines Reiseführers für Afroamerikaner mit seinem Neffen an den Geburtsort Lovecrafts, wo sie es nicht nur mit rassistische Polizisten und weißen Suprematisten zu tun bekommen, sondern auch mit allerhand Schleimmonstern. „Lovecraft Country“ spielt offensiver mit Pulp-Elementen, beschreibt aber sehr nuanciert die Atmosphäre in Jim-Crow-Amerika. Das Fantasy-Genre war schon immer ein eskapistisches Tor ins Unbewusste. Dort liegen die Wurzeln von Hass und rassistischer Gewalt verschüttet.

Dass die Episode „This Extraordinary Being“ im Amerika von George Floyd, Breonna Taylor und Jacob Blake einen Nerv trifft, ist kein Zufall. Mit der Droge „Nostalgia“ hat Lindelof eine überzeugende Metapher für Rassismus-Erfahrungen gefunden, die über Generationen weitervererbt werden. Der Schmerz, die Erinnerumg setzten sich in der kollektiven Psyche fest und müssen immer wieder neu durchlebt werden. „This Extraordinary Being“ übernimmt die subjektive Perspektive von Will und Angela, in einer Mischung aus Delirium und Albtraum.

Keine zweite Staffel

„Watchmen“ geht voraussichtlich als Gewinner aus der „Emmy“-Verleihung hervor. Im Anbetracht der politischen Realität wäre es verwunderlich, wenn die Fernsehbranche Lindelofs Leistung nicht anerkennen würde. Er hat allerdings auch schon angekündigt, dass es keine zweite Staffel geben wird, HBO muss auf einen anderen Serienhit nach dem Ende von „Game of Thrones“ hoffen. „Watchmen“ bleibt ein singuläres Ereignis.

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