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Jenny Holzer begann mit abstrakter Malerei, bevor sie ihren eigenen Stil fand.

© dpa

Jenny Holzer wird 70: Eine hellwache Frau

Texte als Kunstform: Zum 70. Geburtstag der Konzeptkünstlerin Jenny Holzer.

Wer Jenny Holzers „Truisms“ einmal gesehen hat, vergisst sie nicht so leicht: leuchtend rote Botschaften, Allerweltsweisheiten und Sinnsprüche, die per LED-Laufband vorüberziehen und vom Betrachter gerade noch aufgeschnappt werden können. Für die Neue Nationalgalerie machte sie daraus vor knapp zwanzig Jahren eine der eindrücklichsten Installationen, indem sie ihre Kurzmitteilungen, die Krieg, sexuelle Gewalt gegen Frauen, Macht und Politik behandeln, in langen Linien unter die Decke des Mies van der Rohe-Baus verlegte. Die gläserne Halle wurde damit zum Kraftfeld, das poetische wie provozierende Mitteilungen in die Welt rundum aussendete.

„Romantische Liebe wurde erfunden, um Frauen zu manipulieren“, könne da stehen. Oder: „Eine Elite ist unvermeidlich“. Oder: „Machtmissbrauch ist keine Überraschung“. Die Aussagen senken sich ins Bewusstsein des Betrachters und entfalten erst nach und nach ihre Wirkung – Konzeptkunst im besten Sinne. Dabei hatte die in Ohio geborene Tochter eines deutschstämmigen Autohändlers als abstrakte Malerin begonnen. Nach ihrem Studium in Chicago und New York versuchte sie sich glücklos an der Leinwand und wechselte nach einem Independent Study Program am Whitney Museum 1977 zu Texten als Kunstform. Sie brachten ihr den Durchbruch.

Zuerst plakatierte Holzer ihre „Truisms“ heimlich nachts an Gebäuden, Zäunen und Mauern in Lower Manhattan, später verbreitete sie sie auch via Aufkleber, T-Shirts und Tassen. Als ihre Botschaften 1982 auf dem Spectacolor Lightboard am Times Square aufleuchteten, wurde sie zur international gefragten Künstlerin und im gleichen Jahr zur Documenta nach Kassel eingeladen.

Auch im Reichstag ist eine Arbeit von ihr zu sehen

Seitdem erhielt Jenny Holzer immer wieder Anfragen aus der Bundesrepublik, meist für Mahnmale – darunter das Goerdeler-Denkmal in Leipzig oder das Oskar-Maria-Graf-Denkmal in München. Furios war Anfang der 90er ihr Beitrag für das SZ-Magazin, dessen Titelzeile „Da wo Frauen sterben bin ich hellwach“ sie mit dem Blut von Frauen – letztendlich Partikeln – drucken ließ, um auf das Leid von 60 000 vergewaltigten Frauen in den Jugoslawienkriegen zu verweisen.

Als für den Berliner Reichstag Vertreter aus den Ländern der Alliierten gesucht wurden, die Kunst am Bau schaffen sollten, fiel deshalb schnell die Wahl auf Jenny Holzer. In dem von Norman Foster frisch sanierten Bau hinterließ sie allerdings das Gegenteil von Kurzbotschaften: Sie ließ für eine Textsäule am Nordeingang seit 1871 gehaltene Politikerreden samt Zwischenrufen digitalisieren, Redezeit für über 20 Tage. „Ich wollte zeigen, was wirklich gesagt wurde – unkommentiert, einfach als Tatsache. Es waren gute Dinge, schreckliche und dumme, aber auch lustige“, hat sie später dem Tagesspiegel in einem Interview gesagt.

Inzwischen malt Jenny Holzer, die heute ihren 70. Geburtstag feiert, wieder. Die Re-Installierung ihres Werks für die Neue Nationalgalerie ist fest geplant, sobald der Mies van der Rohe-Bau wieder eröffnet ist.

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