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Aufmerksam. Der Schriftsteller und Dichter Michael Krüger.

© Peter Hassiepen

Im poetischen Zickzack: Michael Krüger bewegt sich durch Europa

In seinem neuen Gedichtband „Mein Europa“ wirft Michael Krüger einen ungewohnten Blick auf unseren Kontinent. Reiseziele bieten Anlass zur Andacht.

Tag für Tag künden die Nachrichten vom Trauerspiel Europa. Und wovon erzählen Michael Krügers Gedichte: „Äpfel, auf dem Gartentisch, / wie eine Schulklasse vor den Ferien. / Im Haus verschwören sich / Nüsse, Federn und Stifte / gegen die Katastrophe. / Der Tisch im Haus ist gedeckt / mit freundlichen Worten. / Zwei Atemzüge tun sich zusammen, / wie es gedacht war, / als das Sprechen begann.“

Dieses am 6. Dezember 2017 in Chaville bei Paris auf dem Anwesen Peter Handkes entstandene Gedicht beschwört etwas herauf, was dem politischen Zerfall des Kontinents entgegensteht. Es geht um Stille, Aufmerksamkeit, den Moment, in dem sich ein dem Faktenbürger so verdächtiges Gefühl wie Andacht einstellt.

Der Schriftsteller Michael Krüger, der am 9. Dezember seinen 76. Geburtstag feiert, ist kein Esoteriker, aber seine „Gedichte aus dem Tagebuch“ unter dem Titel „Mein Europa“ nehmen seine Reisen zwischen Madrid und Sarajewo, zwischen Hannover und dem Ätna, zwischen Ruse an der Donau und Nantes an der Loire, zwischen seinem Wohnort München, wo er jahrzehntelang den Hanser Verlag leitete, und der Berliner Kindheit zum Anlass eines Sehens, das unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Nachrichtenagenturen liegt.

[Michael Krüger: Mein Europa. Gedichte aus dem Tagebuch. Haymon Verlag, Innsbruck 2019. 256 Seiten, 24 €.]

Es geht um die Beharrlichkeit von Kunst und Natur und jene Stillen im Lande, die abseits des lauten Betriebs ihre Werke und Tage vollbringen: „Eine Dogge führt durchs Kloster, / eine höfliche Katze durchs Schloss, / und die Fledermäuse, / die in den Augen der Pferde nisten, / drehen den Ikarus schwindlig, / dass er nicht aufsteigen kann / und nicht fallen. / König Volkmar der Erste trägt / einen Strohhut als Krone, / er regiert in den Ställen, wo früher die Schweine lebten. / Sein Hofstaat, aus Schamott / und aus Bronze, hält die Hände / offen nach oben, / damit der Eisvogel leben kann. / Die Verfassung des Reiches / hat die Königin mit der Hand geschrieben, / auf selbst geschöpftem Papier, ihre Paragraphen regeln / die Freundlichkeit in diesem Paradies.“

Zeilen, die auf den Thüringer Bildhauer Volkmar Kühn und dessen Frau gemünzt sind, aber auch für Krüger selber gelten. Am Band der Jahreszeiten dem Zickzack seiner Orte folgend entsteht der Kontinent einer Poesie, die das scheinbar Unbedeutende, das kunst- und absichtslos Gedeihende, das, was vor aller Augen und nicht der Rede wert ist, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.

Die Krähen, die Raben, die Schwalben, die Tauben, die Bäume, das Gras. Im Schlosspark von Charlottenburg fragt sich der Betrachter, „welche Rolle das Gras / in meinem Leben gespielt hat“. Und genau diese Frage ist für ihn bereits, „nach kurzem Innehalten, / bis das Gras unter meinem Schuh / sich wieder erholt hat“, ein Gedicht. Schlichter und schöner lässt sich Europa nicht feiern.

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