zum Hauptinhalt
Die Schönheit in der Zerstörungskraft der Zeit. Verleger und Dichter Michael Krüger ist angetan von der Lebensspanne der Bäume.

© Uwe Zucchi/dpa

Gedichtband von Michael Krüger: Sprichst du die Sprache der Bäume

Schlicht und raffiniert: Michael Krügers Gedichtband „Einmal einfach“ sucht nach einer nichtmenschlichen Ordnung.

Von Gregor Dotzauer

Gelegenheitsgedichte gelten in der Regel als zweite Wahl. Sie folgen der Willkür äußerer Anlässe statt einem künstlerischen Plan, und im schlimmsten Fall machen sie sich sogar dienstbar – vom Geburtstagsgruß bis zum Epitaph. Bei Michael Krüger kommt hinzu, dass er die längste Zeit seines nunmehr 74-jährigen Lebens buchstäblich um jede Gelegenheit kämpfen musste, Gedichte zu schreiben: Sie waren für ihn das Schlupfloch, das ihm sein Alltag als Verleger gewährte. Doch wie kaum ein anderer Nebenerwerbslyriker hat er jede dieser Gelegenheiten beim Schopf ergriffen und seit seinem Debüt mit dem Band „Reginapoly“ im Jahre 1976 eine unverwechselbare Welt begründet. Gerade weil sein poetisches Werk nicht mehr sein will, als es ist, hat es Gewicht.

Das einzelne Gedicht ist mal Spur einer Augenblickserfahrung, die darauf dringt, in ein paar Zeilen skizziert zu werden, mal Abbreviatur eines Gedankens, der ausformuliert und auf seine logische Stimmigkeit hin abgeklopft schon wieder seinen Reiz verlieren würde, mal Ausdeutung einer dinghaften Konstellation, die er sowohl dokumentiert wie herstellt. Was immer aber vorherrscht – der Text geht auf Konkretes zurück, auch da, wo er sich poetologisch gibt. Krüger bezieht sich im Motto seines jüngsten Bandes „Einmal einfach“ nicht zufällig auf ein von Eckermann überliefertes Goethe-Wort: „Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden.“ Das trifft auf ihn womöglich genauer zu als auf den Olympier.

Manche Gedichte sind doppelt entrückt durch die Verspätung, mit der sie wie alle Literatur einer Gegenwart innewerden, die einen Abdruck hinterlassen hat, der irgendwann ausgegossen werden will. „Gestern dachte ich wieder an die Schafherde in Mézin“, beginnt etwa „Schaf“. Da meldet sich die unwillkürliche Erinnerung an eine Anwandlung von Angst, erdrückt zu werden, die sich unversehens in ein Gefühl von Geborgenheit verwandelt. Erst auf dem Papier nimmt sie greifbare Gestalt an.

Wind, Sonne und Schatten treiben ihr unaufhörliches Spiel

Michael Krüger bezieht seine Anregungen aus wenig ereignishaften Situationen. Zwischen Reisen und Innehalten staunt er über den Neuschnee, ein Feuer im Garten, das Aufatmen nach einem Gewitter, den Blick aus dem Zugfenster auf Schrebergärten oder einen Kohlweißling vor dem Hotelfenster im mazedonischen Skopje. Wind, Sonne und Schatten treiben ihr unaufhörliches Spiel, doch von Idylle kann nur um den Preis des Selbstbetrugs die Rede sein. Eine andere, beständigere Ordnung rüttelt am menschlichen Maß der Dinge: „Zu viele sind bei sich, also nicht / bei der Sache.“

Insbesondere die Lebensspanne der Bäume hat es Krüger angetan, die Begegnung mit Ahorn, Kiefer, Nussbaum und – mehr als alles andere – dem Apfelbaum in seinem Garten. „März 2014, unterm Apfelbaum“ heißt eines dieser Gedichte, das in den Zerstörungskräften der Zeit eine Schönheit entdeckt, die nur ein menschliches Bewusstsein empfinden kann, diese gleichzeitig aber ohne die eigene Anwesenheit denken muss. Von ebendieser Paradoxie ist die Rede, wenn es im „Nachtrag zur Poetik“ über Gedichte heißt: „Jeder weiß, dass sie uns wegschreiben / mit wenigen vergesslichen Zeilen.“ Es geht, mit einem weiteren Titel, um „Eine andere Geschichtsschreibung“, eine Wahrheit der Steine oder des Grases, etwas, „das sich nicht sagen lässt / in meiner Sprache. / Die Toten wissen es, / die Nacht für Nacht in meinem Kopf sich streiten, / bis ihnen der Morgen die Stimme abdreht.“

Zwischen solider Erinnerung und dunkler Zukunftsahnung

Michael Krüger schreibt zweifellos späte Gedichte. Gedichte, die der Endlichkeit und dem Abschiednehmen mehr Platz einräumen als dem Werden. Die traute Perspektive der mittleren Jahre zwischen solider Erinnerung und dunkler Zukunftsahnung ist ihnen entglitten. Dichterfreunde wie Czeslaw Milosz oder Zbigniew Herbert, denen er Tribut zollt, sind nicht mehr am Leben, und die Kindheitserinnerungen, die ihn beim Spaziergang durch Nikolassee überfallen, sind im Begriff, für immer durchgestrichen zu werden: „Das Grab meiner Eltern ist schon im Angebot, / so schnell hat sich das Rad gedreht.“

„Einmal einfach“ bedeutet von daher vor allem: Retourbillets werden nicht verkauft. Es bedeutet aber auch, dass sich die daraus entstehende Melancholie mit Schlichtheit und Raffinesse in Schach halten lässt: „Das innere Rätsel braucht wenige Worte, / man kann es noch kürzer sagen.“

Michael Krüger: Einmal einfach. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 136 Seiten, 20 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false