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Sie will ein Glanz sein. Stella Goldschlag (Paula Beer) singt in einer Swingband. 

© Majestic/Christian Schulz

Im Kino: das NS-Drama „Stella. Ein Leben“: Verraten um zu überleben

Kontroverser geht es kaum. Kilian Riedhoff wagt sich mit seinem Historiendrama „Stella“ an das Leben der Stella Goldschlag, einer jüdischen Denunziantin im Dienst der Gestapo.

Eine problematischere Figur gibt es nicht. Eine Jüdin aus Berlin, die im Nationalsozialismus andere Juden ausspionierte und der Gestapo ans Messer lieferte. In Stella Goldschlag, der historischen Figur, bündeln sich moralisch-ethische Fragen von Täter- und Opferschaft, von Schuld und vom Antisemitismus, zu dem selbst eine Jüdin fähig ist. Zudem wird die ganze manipulative Perfidie eines autoritären, gewalttätigen Systems an diesem Fall offenbar.

Eine toxische Gemengelage, die Takis Würger zu seinem Skandalroman „Stella“ inspiriert hat und Peter Lund zu seinem differenzierten Musical „Stella – das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“, um nur zwei von vielen Titeln zu nennen, die sich vor dem Historiendrama „Stella. Ein Leben“ mit dieser Frau befassten. Dass Kilian Riedhoff für seine Interpretation von Goldschlags Leben eher mit Prügel als mit Lob rechnen konnte, war gewissermaßen schon vor der Uraufführung im Herbst beim Filmfest Zürich klar. Genauso ist es dann auch gekommen. Durchaus zu Unrecht.

„Dieser fiktionale Film beruht auf historischen Tatsachen und bewertet sie eigenständig“, stellt der Regisseur der Geschichte als Disclaimer voran und steigt nach einer Titelsequenz mit Buchstaben, die glamourös glänzen, 1940 in das Leben der 18-Jährigen ein. Stella (Paula Beer) ist blond (gefärbt), blauäugig und energiegeladen. Sie singt in einer Swingband und träumt von einer Karriere als Showstar in Amerika. Eine Schönheit auf dem Weg nach oben. Die Eltern (Katja Riemann und Lukas Miko) sind liberale, areligöse Juden, die als Musiker begeistert von ihrer Tochter sind. Nur, mit den erhofften Ausreisevisen will es partout nicht klappen.

Greiferin der Gestapo. Stella Goldschlag (Paula Beer) unterwegs in Berlin.
Greiferin der Gestapo. Stella Goldschlag (Paula Beer) unterwegs in Berlin.

© Majestic-Filmverleih/Jürgen Olczyk

Cut: 1943. Stellas Jugend ist mitsamt Jazz und Freiheit untergegangen. Mit dem Judenstern an der Brust steht sie in einer Rüstungsfabrik an der Stanze. Die Goldschlags müssen Zwangsarbeit leisten, wie viele tausend Juden in Berlin. Verhaftungen und Deportationen sind an der Tagesordnung. Stella und ihre Eltern flüchten sich in den Untergrund, fliegen auf, werden inhaftiert. Um die Eltern vor dem KZ zu bewahren, steigt Goldschlag beim jüdischen Fahndungsdienst der Gestapo ein. Zusammen mit ihrem Freund Rolf Isaaksohn (Jannis Niewöhner), einem Passfälscher, lauert sie Juden auf und verrät Freunde, Bekannte, Nachbarn.

Im Untergrund. Stella Goldschlag (Paula Beer) und Rolf Isaaksohn (Jannis Niewöhner) fälschen Pässe für untergetauchte Juden. 
Im Untergrund. Stella Goldschlag (Paula Beer) und Rolf Isaaksohn (Jannis Niewöhner) fälschen Pässe für untergetauchte Juden. 

© Majestic/Christian Schulz

Der Wandel eines Opfers zur Täterin, darum geht es in „Stella“. Nicht um Goldschlags spätere russische Haft und die Dreistigkeit, mit der sie sich in der Nachkriegszeit zum Opfer erklärte. Nur am Rand um den Prozess, den man ihr in den fünfziger Jahren machte, als die fünfmal verheiratete Frau zum „blonden Gift“ und Verräterinnen-Monster deklariert wurde. Was Riedhoff als eine durch die ruppige Kamera von Benedict Neuenfels aufgeraute Reise in die Düsternis erzählt, ist die emotionale Tragödie einer jungen Frau, die lügt, betrügt und Menschen verrät, um selbst zu überleben.

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Stella, bei deren Darstellung sich die sonst oft zurückgenommene Paula Beer kein bisschen schont, bricht unter der blutigen Folter der Gestapo. Doch, um zu liefern, was sie liefern soll, setzt sie ihre Schönheit ebenso ein wie ihr Komplize Rolf seine kriminelle Chuzpe. Als die beiden in eine leere Wohnung jüdischer Deportierter einbrechen, entlädt sich die ständige Überspannung des Spitzellebens zusammen mit dem Lebenshunger verliebter junger Leute in einem wilden Taumel. Auch in einer Diktatur existiert die Anarchie des Augenblicks.

Der Prozess. 1957 wird Stella Goldschlag (Paula Beer) in Berlin zu zehn Jahren Haft verurteilt, die sie allerdings nicht antreten muss. 
Der Prozess. 1957 wird Stella Goldschlag (Paula Beer) in Berlin zu zehn Jahren Haft verurteilt, die sie allerdings nicht antreten muss. 

© Majestic/Christian Schulz

Nicht psychologisieren, sondern nachspüren, wie aus Stella die „Greiferin“ werden konnte, das ist die durchaus angreifbare, aber erzählerisch überzeugend ausgeführte Haltung des Dramas mit dem universellen Subtext: Was hättest du getan? Hunger, Schmerzen, Angst, Ekel, Lebensgier – ständig ist Druck auf dem Kessel. Die einstige Starpower, der Furor, den Paula Beers Stella auszeichnet, die in aller Unbedingtheit durchkommen will, verwandelt sich zur zerstörerischen Waffe der Gestapo-Handlangerin. Sicher ist Stellas Leben erst in der Illegalität, dann als Spitzel, zugespitzt inszeniert, aber es funktioniert als taugliches Mittel, um nachfolgenden Generationen diese Not begreiflich zu machen.

Dass der NS-Terror gegen Juden auch ein sexistischer Terror gegen Jüdinnen war, was in NS-Dramen selten bis nie thematisiert wird, inszeniert Riedhoff ungeschönt deutlich. Kaum ein Mann, der Druck auf Stella ausübt, der nichts von der jungen Frau will. Ständig wird sie taxiert, drangsaliert und sexuell genötigt. Sicher lässt sich auch ein Teil der Verachtung, die Goldschlag in der Nachkriegszeit nach dem Bekanntwerden ihrer Verbrechen entgegenschlug, als sexistische Abstrafung interpretieren. „Stella“ zeigt die spätere Antisemitin Goldschlag, die von 1943 bis 1945 für den Tod hunderter, womöglich tausender Menschen verantwortlich war, als Menschen. Was könnte beunruhigender sein?

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