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Traditionelle Malerei der australischen Yuendumu in der Grande Halle de la Villette, Ein Exponat der legendären Ausstellung "Magiciens de la terre" in Paris 1989.

© Centre Pompidou / Bibliothèque Kandinsky

Globalisierung in der Kunst: Im Stahlgetriebe der Weltmaschine

In einem Themenheft über "Entzauberte Globalisierung" fragt das aktuelle "Kunstforum" nach neuen Visionen des Polykulturellen. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Wann die internationale Kunstwelt aufhörte, sich ausschließlich über „Westkunst“ zu definieren, wie László Glozer und Kasper König 1981 ihre epochale Kölner Ausstellung nannten, deren Titel nicht ohne Selbstironie darauf verwies, dass es schon mit dem Blick nach Osten nicht weit her war, lässt sich ziemlich genau datieren. Verglichen mit Musik und Literatur unverzeihlich spät, im Schicksalsjahr 1989, stieß Jean-Hubert Martin mit seiner Schau „Magiciens de la terre“ (Magier der Erde) im Pariser Centre Pompidou und der Grande Halle de la Villette die Türen zum globalen Süden auf.

Die Hälfte der 104 Künstler und Künstlerinnen stammte aus Afrika, Indien oder China. Ihre kontext- und erklärungslose Konfrontation mit Werken westlicher Künstler illustrierte zwar vor allem einen Aufstand gegen die bisherigen Hierarchien. Doch es war ein Aufstand mit Folgen. Mittlerweile droht das Gewimmel der Diversitätsimperative längst, alle Unterschiede zu verwischen – und dennoch weiterhin ganze Regionen auszublenden.

Heinz-Norbert Jocks, der für das „Kunstforum“ (Bd. 269, August/September) einen 140-seitigen Schwerpunkt zum Thema „Entzauberte Globalisierung – Alternative Visionen des Polykulturellen“ zusammengestellt hat, verweist in seinem Essay mit dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss auf eine unvermeidliche Paradoxie: „Es ist die Unterschiedlichkeit der Kulturen, die ihre Begegnung befruchtet. Nun zieht aber dieses Zusammenwirken ihre fortschreitende Uniformierung nach sich. Das Fehlen und das Übermaß an Kommunikation haben beide ihre Gefahren.“

Wo ist das Zentrum, wo die Peripherie?

In sechs Gesprächen mit Kuratoren diskutiert er über Zentrum und Peripherie, Partikularismus und Universalismus, wirtschaftlicher und kultureller Globalisierung – zu Zeiten, in denen selbst Corona, wie Statements aus dem Betrieb belegen, die Grunddynamik nicht aufhalten wird.

Mit David Elliott begibt sich Jocks nach Japan, dessen Modernisierungsschübe es im Gegensatz zu Thailand und Indonesien auf die Event-Landkarte spülten. Mit Uli Sigg rekapituliert er Chinas Weg auf den Kunstmarkt. Englisch sprechende Marketingvirtuosen wie Ai Weiwei hatten es dabei leichter als der nach der reinen Ausstellungszahl ebenso erfolgreiche Cai Guoqiang – oder Liu Xiaodong, dessen Düsseldorfer Werkschau „Langsame Heimkehr" Jocks 2018 kuratierte.

Mit Carolyn Christov-Bakargiev widmet er sich Australiens Indigenen. Und mit Simon Njami erkundet er die Faulheit des Westens, die afrikanischen Strömungen vor Ort in Augenschein zu nehmen.

Die westliche Aufmerksamkeit pendelt zwischen Ignoranz und Aneignung – wobei auch aus umgekehrter Richtung Einfluss, Verkapselung und Öffnung zu beleuchten wären. Der Unterschied zum „Kunstsystem der immer schnelleren Brüche“ ist Peter Weibel zufolge ein innigeres Verhältnis zur Tradition: „Der westliche Innovationsdrang führte dazu, dass immer weniger Handwerk und immer weniger Kompetenz erforderlich sind. So verklärte die Pop Art das Banale, das Triviale und Gewöhnliche bis zum Aufstieg in die Hochkultur, die umgekehrt nie in die triviale Sphäre abgesunken ist.“ In Museen hingen Biker-Fotos, in Biker-Buden aber keine Konzeptkunst.

Grauen vor der Monotonisierung der Welt

Das „Grauen vor der Monotonisierung der Welt“, das Jocks mit einem Essay von Stefan Zweig aus dem Jahr 1925 bekundet, erhält allerdings erst kapitalismuskritisch gelesen seinen Sinn: „Immer rascher blättern die Farben ab, und unter der zersprungenen Firnisschicht wird der stahlfarbene Kolben des mechanischen Betriebes, die moderne Weltmaschine, sichtbar.“

Zweigs Klage, dass Paris „zu drei Vierteln amerikanisiert“ und „Wien verbudapestet“, klingt aus heutiger Sicht nach seliger Multikulturalität. Wenn postkoloniale Denker inzwischen neue Reinheitsgebote aussprechen, vergessen sie völlig, welche produktive Vermischung etwa dem karibischen Dichter und Essayisten Edouard Glissant mit seinem Traum von der „Kreolisierung“ vorschwebte. Demgegenüber herrscht, wie Hans-Ulrich Obrist feststellt, unter Linken heute tatsächlich ein „erbärmliches Identitätsverständnis“.

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