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Kultur: Wer hört noch den Gesang der Welt?

Zum Auftakt des Berliner Literaturfestivals

Von Gregor Dotzauer

Zum Auftakt des Berliner Literaturfestivals

Man könnte von der Schönheit reden und ihrer Unerreichbarkeit, so wie der karibische Dichter Edouard Glissant sie heute Abend in seiner Eröffnungsrede zum Internationalen Literaturfestival im Haus der Berliner Festspiele beschwören wird. Oder sollte man gleich vom Bombenhagel reden, wie ihn die junge Libanesin Iman Humaidan in den letzten Wochen erlebt hat? Vielleicht wäre auch der in Frankreich lebende Abdourahman A. Wahberi aus dem afrikanischen Dschibuti eine Hilfe, der den Völkermord in Ruanda verarbeitet hat und Krieg und Exil zu seinen zentralen Themen zählt. Und müsste man dann nicht noch mindestens den als Ungar in der Vojvodina geborenen László Végel hinzuziehen, der von ungeheuerlichen Erfahrungen aus den Balkankriegen berichten kann?

Es gibt, soviel steht außer Frage, für das Internationale Literaturfestival Berlin, das Ulrich Schreiber nun zum sechsten Mal aus dem Boden gestampft hat, weder die geringste Chance auf Vollständigkeit, wenn es um Brennpunkte dieser Welt geht, noch auf eine sinnvolle Quotierung der Stimmen. Wohl aber gibt es die Chance, jenseits der fruchtlosen Alternative von ästhetischen Fragen oder politischem Engagement, Autoren vorzustellen, die sich als Einzelne mit regionalem Hintergrund der Idee einer universalen Literatur verschrieben haben.

Auf dieses Wagnis kann man sich nun zwölf Tage lang, bis zum 16. September, einlassen, und dabei womöglich etwas vom ursprünglichen „Gesang der Welt“ (Glissant) vernehmen, der im Lärm der reinen Schönheit wie der Kriegsdetonationen unterzugehen droht. Gegenüber dem letzten Jahr ist das Programm um rund ein Drittel abgespeckt – im Interesse einer Übersichtlichkeit, die auch so noch manchen überfordern mag. Sämtliche Sparten des Festivals (Programm unter www.literaturfestival.com) sind dabei erhalten geblieben.

Ein thematischer Schwerpunkt liegt auf frankophonen Literaturen. Darum gruppieren sich wie bisher die von Schriftstellern kuratierten „Literaturen der Welt“, das internationale „Kaleidoskop“, die „Scritture Giovani“, die politischen Diskussionen der „Reflections“ (u.a. zu China), die Gedenklesungen von „Erinnerung, sprich“ (u.a. zu Claude Simon und Marguerite Duras) – nicht zu vergessen die meist ausgebuchten Veranstaltungen der „Kinder- und Jugendliteratur“. Genug Anregungen für einen langen Leseherbst.

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