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Rashid Johnsons Installation steht im Lichthof des Gropius Bau.

© Rashid Johnson, Courtesy: der Künstler und Hauser & Wirth

Garten-Ausstellung im Gropius Bau: Das Paradies liegt gleich nebenan

Würmer und Stinkkohl: Die Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ im Gropius Bau versucht, mit den Mitteln der Botanik das Chaos der Welt zu verstehen.

Das Angebot klingt verlockend. Einen „Garten der irdischen Freuden“ verspricht der Gropius Bau. Wer möchte das nicht? Bei hitzigen Temperaturen im Garten sitzen und die Fußsohlen auf einem kühlen Rasenteppich abstellen. Auf einer Bank unterm Baum den Schatten genießen. Der Garten ist ein Ort der Kontemplation und der Ruhe. Aber ist er nicht auch umzäunt und eingehegt, vom Menschen kontrolliert? Ein Ort, an dem Natur und Kultur aufeinandertreffen, mit all den Schwierigkeiten, die damit einhergehen.

Es ist also eine zwiespältige Einladung, die die gestern eröffnete Ausstellung im Gropius Bau ausspricht. Zwar will sie durchaus die sinnlichen Seiten des Gartens erkunden; aber einige der 22 internationalen Künstlerinnen und Künstler reflektieren am Thema des Gartens auch die komplizierten Probleme unserer Zeit: das Anthropozän, den Klimawandel, Kolonialisierung, Migration. Der Garten ist „die kleinste Parzelle der Welt und zugleich ist er die ganze Welt“, bemerkte Michel Foucault. Viele der üppigen, vielmals neu geschaffenen Installationen arbeiten genau nach diesem Prinzip.

Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Bau und Kuratorin der Schau, verweist auf die etymologische Bedeutung des Wortes Garten, um dessen Polarität zu verdeutlichen. Der Garten als Spiegel der Welt wie bei Foucault sei mit dem altpersischen Begriff „pairidaeza“ verknüpft, der sich von pairi (um) und daeza (Wand) ableitet. Das Wort Paradies, das sich später daraus entwickelte, denkt die Grenze also bereits mit. Auch in vielen weiteren Sprachen sei der Garten begrifflich mit der Vorstellung der Begrenzung assoziiert: etwa im Altenglischen Wort geard (Zaun). „Etymologisch geht der Garten damit aus der Grenze hervor, die ein Innen von einem Außen, das Eigene vom Fremden trennt. Er ist zugleich ein Ort der Inklusion und der Exklusion“, schreibt Rosenthal in einem Essay zur Ausstellung.

Hommage an Hieronymus Bosch

Das künstlerische Interesse am Garten ist in Zeiten des Klimawandels enorm groß, seit einigen Jahren gibt es immer wieder Ausstellungen dazu. Das Sujet ist aber uralt. Den Titel der Schau „Garten der irdischen Freuden“ leitete Rosenthal, eine bekennende Bewunderin des Malers Hieronymus Bosch, aus dessen Tryptichon „Der Garten der Lüste“ ab. Die prächtige Mitteltafel – eine Kopie von 1550 aus der Schule Boschs – ist Teil der Ausstellung und dient als Ankerpunkt, genauso wie ein Gartenteppich aus Persien und die Idee des Zen-Gartens.

In Boschs Gemälde, viele werden es kennen, tummeln sich nackte Menschlein und allerhand Tiere in einer weiten, grünen Landschaft, sie schweben in durchsichtigen Blasen, turteln in stacheligen Behausungen, die wie Architekturutopien des 20. Jahrhunderts aussehen. Schon Bosch verstand den Garten als Paradies, Utopie und Dystopie zugleich – wie es auch die Künstler der Ausstellung tun.

Fruchtfleisch und Grün verschmelzen

Wie in Mutters Fruchtblase schweben zwei nackte Frauen in Pipilotti Rists Video „Homo Sapiens Sapiens“ durch eine sinnliche Pflanzenwelt. Man sieht Finger im Close-up, jede Hautfurche im Detail, diese Finger umfassen später einen männlichen Hoden, der sich dann wandelt, in eine matschige Frucht. Haut verschmilzt mit Fruchtfleisch und Grün, die beiden Evas schwimmen durch eine grenzenlose Paradieslandschaft. Ihre Gliedmaßen, ihre Fingernägel, ihre Münder öffnen sich in ein farbenfrohes Prisma, sie sind eins mit ihrer Welt. Das Paradies ohne Sündenfall stellt Rist sich hier vor.

Als das Werk erstmals 2005 bei der Venedig Biennale an das Deckengewölbe einer Kirche projiziert wurde, musste es vorzeitig abgeschaltet werden. Manche sagen, wegen Regen, andere aufgrund empörter Katholiken. Im Gropius Bau ist es nun in einem von Samtvorhängen umkreisten Rund an die Decke gebeamt. Mit seiner sphärischen Musik und der heiteren Stimmung wird es zu einem Herzstück der Schau.

Utopie aus Bits und Bytes

Die Utopie der 1962 geborenen Schweizerin Pipilotti Rist basiert auf Bits und Bytes, genauso wie die Installation der eine Generation jüngeren Britin Heather Philippson. Philippson betrachtet den Garten – und damit die Welt – allerdings bereits mit anderen Augen. Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies sind bei ihr akzeptiert, der Klimawandel bereits geschehen. Die Überlebensstrategie besteht bei Philippson darin, dass Menschen sich wie der digital animierte Kompost in ihrem Film immer wieder zersetzen, von Würmern verdauen lassen und wieder neu entstehen – „als wer weiß was“, wie die Künstlerin es formuliert.

Heather Philippsons Installation "Mesocosmic Indoor Overture" plädiert für Verbindung mit dem Humus.
Heather Philippsons Installation "Mesocosmic Indoor Overture" plädiert für Verbindung mit dem Humus.

© Birgit Rieger

Mit Philippson hat Stephanie Rosenthal eine sehr interessante, zeitgenössische Künstlerin nach Berlin gebracht, deren Arbeiten man hier bisher kaum sah. Es ist großartig, wie sie ihre Geschichte von der durchkompostierten Materie, vom posthumanen Mensch, mithilfe des gelben Stinkkohls erzählt, den sie zum Hauptdarsteller ihrer Multimediainstallation macht. Der in Europa nicht heimische Kohl sendet einen Geruch von verfaulendem Fleisch aus und zieht damit Aasfliegen an. Als digitale Variante stinkt er zwar nicht, erfüllt aber trotzdem seinen Zweck, indem er dafür sorgt, dass der Kreislauf aus Entstehung und Verwesung in Schwung kommt.

Pflanzen erzählen Geschichten

Statt vom Anthropozän spricht die amerikanische Wissenschaftsphilosophin Donna Haraway vom „Chtuluzän“, dem Zeitalter, in dem menschliche und nicht-menschliche Organismen untrennbar miteinander verbunden sind und fortwährend voneinander lernen. So entstehen klügere Wesen, deren Maxime nicht allein im Überleben der eigenen Spezies liegt. Diesen Gedanken scheint auch Heather Philippson in ihrer Arbeit aufzugreifen. Ein anderer Themenstrang der Ausstellung betrachtet die botanische Welt als politische Bühne, als Mikrokosmos, in dem sich auch koloniale Strukturen und Systeme der Diskriminierung abbilden.

[Zur Eröffnung der Ausstellung gibt es im Gropius Bau Talks, Sensorische Spaziergänge, Musik und Performances: Fr 26.7., 16-22 Uhr, Sa 27.7., 10.30-22 Uhr]

So zeigt Uriel Orlow in seinem Werkzyklus „Theatrum Botanicum“, wie das Gärtnern und die Pflanzenkultivierung als Mittel der Unterdrückung genutzt werden, aber ebenso für Selbstbehauptung und Freiheit. Orlow nutzt die Pflanzen als Schlüssel für Geschichten. Er erzählt etwa von Nelson Mandelas Garten auf Robben Island, der für den inhaftierten Freiheitskämpfer die einzige Möglichkeit war, etwas Selbstbestimmung zu erlangen.

Mandela vergrub sein Manuskript

Auch versteckte Mandela in der Erde, die er bearbeitete, die Manuskriptseiten seiner heimlich im Gefängnis verfassten Biografie. Zur gleichen zeit, nämlich in den 27 Jahren, die er eingesperrt war, entwickelte sich im Botanischen Garten von Kapstadt eine Paradiesvogelblume mit untypischer gelber Farbe, die später „Mandelas Gold“ genannt wurde. Deren Blüte muss heute mit Hasendraht umnetzt werden, weil aus Europa eingeschleppte Eichhörnchen sie sonst fressen.

Wie setzt sich schwarze Identität zusammen, fragt der afroamerikanische Künstler Rashid Johnson in seiner Installation im Lichthof. Was ist natürlich, was ist „zivilisiert“? Er steckt Topfpflanzen, Bücher und das Schönheitsprodukt Sheabutter in ein eisernes Gerüst und inmitten dieses eigenwilligen Gartens platziert er ein Klavier. Verborgen hinterm Blätterwald haucht es dem Garten Leben ein.

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