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Louis-Bertrand Castels „ocular organ“, Karikatur von Charles Germain de Saint Aubin

© Charles Germain de Saint Aubin / Public Domain

Folge 169 „Wochniks Wochenende“: Entweder – Oder

Klänge sehen oder Farben hören? Gräser wachsen hören oder experimentelle Briefe schreiben? Zu wenig Wochenende für all den Jazz.

Eine Kolumne von Thomas Wochnik

Manche Menschen sehen bei Klängen Farben, andere hören beim Anblick von Bildern Töne. Entweder, oder. Wieder andere (oder auch mal dieselben?) hören das Gras wachsen. Letzteres kann, wer am Wochenende nichts Besseres vor und ein lauschiges Plätzchen mit Rasen hat, gerne im Selbstversuch erkunden.

Wer nicht ganz so geduldig veranlagt ist, könnte stattdessen in der Schwartzschen Villa den „Bildern einer Klangquelle“ lauschen. Das Projekt von Schlagzeuger Matti Thölert und Kontrabassist Marcel Siegel verbindet freie Improvisationsmusik mit klangabhängiger Projektion, wandelt somit auf den Spuren von Mathematiker Louis-Bertrand Castel und Komponist Alexander Skrjabin. Castel entwickelte 1725 ein Farbenklavier, das beim Niederdrücken einer Taste auch eine zugeordnete Farbe erscheinen ließ (siehe die Karrikatur oben). Skrjabin schuf um 1910 mit seinem Prometheus Opus 60 ein synästhetisches Orchesterwerk mit eigenem Part für ein stummes Farbenklavier.

Apropos Klangbilder: Eine der visuell stimulierendsten Musiken war schon immer der Free-Jazz, der sich vor allem in unzählige Bilder des abstrakten Expressionismus einschrieb. Im Neuköllner Sowieso (Weisestraße 24) tönt mit Alexander von Schlippenbach (Klavier), Matthias Bauer (Bass) und Joe Hertenstein (Schlagzeug) ein gutes Stück Berliner Free-Jazzgeschichte.

Wer übrigens bei „Apropos“ an „Aperol“ denkt (wer tut das nicht), an Spritz und die dazugehörige Adria- oder zumindest laue Sommernachtsatmosphäre, wird hier eher nicht fündig, im Sowieso liegt der Fokus auf Bühne und Musik. Stimulierende, liebevoll ausgesuchte Musik zur Untermalung des ersten Wiedersehensgesprächs nach Jahren der Brieffreundschaft bekommt man besser im Klunkerkranich, Spritz und Skyline inklusive. Ein Konzert der Psychedelic-Orientalistin Cherry Bandora gibt es hier am Sonntagabend.

Briefe zu schreiben, das könnte man im Sowieso hingegen durchaus versuchen. Es dürfte bei der zu erwartenden musikalischen Intensität allerdings mehr einem konzeptkünstlerischen Unterfangen gleichen als einem rein kommunikativen – was nicht minder interessant wäre. Das Ärgerliche an alledem: Während der Klunkerkranich Samstag und Sonntag von 16 Uhr bis in die Nacht feiert, starten die Sowieso- und Schwarzsche Villa-Programme zeitgleich am Samstag um 20 Uhr. Entweder also, oder.

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