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Frank Gehry hat den Pierre Boulez Saal entworfen.

© Volker Kreidler/Pierre Boulez Saal

Pierre-Boulez-Saal feiert Mendelssohn-Festival: Wegweisend – und von Wagner gehasst

Kein Tiefgang? Noch heute sind die antisemitischen Vorurteile gegen die Mendelssohns präsent. Das Berliner Mendelssohn-Festival zelebriert das Werk der Familie – und bietet ihm eine verdiente Bühne.

„Musik wie ein Jugendcocktail“? Die müsste von den Programmen doch gar nicht wegzudenken sein. Elena Bashkirova beschreibt Mendelssohns Musik schließlich als energisch, voller Emotion. Und doch gehen Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Schwester Fanny Hensel noch heute gern unter in der Klassikwelt. Oft müssen sie bekannteren Gesichtern weichen, Beethoven, Mahler. Dabei gäbe es Mahlers Werk in dieser Form vermutlich gar nicht, wenn da nicht die Mendelssohns gewesen wären. Davon ist Bashkirova überzeugt – und feiert das Œuvre der Familie im Pierre-Boulez-Saal. 

Ein paar hundert Meter vom ehemaligen Stadtpalais der Komponistenfamilie richtet die Pianistin Elena Bashkirova zum zweiten Mal ihr Mendelssohn-Festival aus. Vom 15. bis 16. Dezember schöpft Bashkirova gemeinsam mit sieben weiteren Musikern aus dem schillernden Werk der Familie: Nicht nur Mendelssohns „Hebriden“ (in der vierhändigen Klavierversion!) und sein Streichquintett Nr. 2 stehen hier auf dem Programm, sondern auch Klavier- und Streichwerke seiner Schwester Fanny Hensel. Die Klänge der Familie kombiniert Bashkirova mit denen Mahlers und Werken der sogenannten „Theresienstädter Komponisten“. 

Seit 2020 ist Elena Bashkirova Präsidentin der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung. Als sie sich vor Jahren zum ersten Mal tiefgehender mit dem Komponisten beschäftigt, war sie überrascht: nicht von seinem Stil, sondern seiner Person. „Natürlich, seine Musik kennt man. Aber ich war erstaunt, wie groß diese Persönlichkeit war, wie wichtig. Wie er sich für Bildung eingesetzt hat und für seine Kollegen. Das hatte ich nicht im Visier.“

Die Künstlerische Leiterin des Mendelssohn-Festivals: Elena Bashkirova.
Die Künstlerische Leiterin des Mendelssohn-Festivals: Elena Bashkirova.

© Nikolaj Lund

Wenige Jahre vor seinem Tod gründete Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) in Leipzig die erste Musikhochschule Deutschlands. Sein Wirken gilt als Wegweiser für die deutsche Musiklandschaft im 19. Jahrhundert – nicht nur durch seine Nachwuchsförderung, sondern auch durch seinen großen, romantischen Kompositionsstil und seine Art, zu dirigieren: Mendelssohn benutzte als einer der ersten Dirigenten den Taktstock und leitete Proben.

Seine ältere Schwester Fanny Hensel (1805-1847) gilt für manche als noch revolutionärer als ihr Bruder, wobei ihr Werk weniger umfangreich ist. „Sie war ein unglaublich großes Talent“, sagt Bashkirova über die Komponistin. „Sie hatte eine Vision. Sehr viele von ihren Stücken klingen schon viel weiter als für die Zeit üblich. Ein bisschen wie Mahler, wie Wagner. Wenn sie weitergelebt und mehr geschrieben hätte, würden wir von ihr vielleicht richtige große Meisterwerke haben.“ 

Ein weiterer wichtiger Programmpunkt des anstehenden Festivals: die Werke der Komponisten Hans Krása, Viktor Ullmann und Gideon Klein. Sie gehörten zu den tschechischen Künstlern, die die Nationalsozialisten 1941 ins Ghetto Theresienstadt deportierten. Unter den widrigsten Umständen komponierten sie im Lager weiter – Lieder, Sonaten, gar Opern. Eine Aufführung von Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ ist in Hitlers Propagandafilm über Theresienstadt („Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“) zu sehen. „Alle diese Männer waren wunderbare, große Komponisten“, sagt Bashkirova. „Das große Melodram von Viktor Ullmann nach Texten von Rilke, das wir auf dem Programm haben, ist ein Meisterwerk des 20. Jahrhundert. Diese Musik soll man spielen.” 

Neben dem Mendelssohn-Festival organisiert Bashkirova auch das Jerusalemer Kammermusikfestival. Sie wünscht sich sehr, dass es auch im nächsten Jahr stattfinden kann. „Sobald der Krieg vorbei ist, sobald es wieder irgendeine, auch trügerische Normalität gibt, hoffe ich, dass wir wieder da sein können. Die Leute wollen ins Konzert gehen, die Musiker wollen für sie spielen. Aber jetzt gerade bin ich wie versteinert, ich kann gar nicht an das Festival denken.“ 

In diesen Tagen erhält auch das Mendelssohn-Festival eine besondere Bedeutung. Die jüdische Familie Mendelssohn war heftigen antisemitischen Diffamierungen ausgesetzt. Nicht zuletzt Richard Wagner, bei dem durchaus Einflüsse von Mendelssohn zu hören sind, hetzte in seinem Pamphlet „Das Judenthum in der Musik“ explizit gegen den Komponisten. Später, während der Nazizeit, wurden Aufführungen der Werke der Familie – wie die anderer jüdischer Künstler – massiv eingeschränkt. 

Selbst 2023 sind die antisemitischen Vorurteile gegen Mendelssohn noch präsent: „Die Klischees aus dieser Zeit leben noch immer in manchen Leuten, dass die Musik leichtgängig, nicht tiefgründig sei.“ Auch deshalb will Elena Bashkirova das Werk der Familie zelebrieren, ihr eine angemessene Bühne bieten. Die Konzerte des Festivals sind schon beinah ausverkauft. Neben Bashkirova wird auch ihr Sohn Michael Barenboim an der Bratsche musizieren. Familiäre Reibungen gibt es da übrigens keine: „Es ist vielleicht eine große Ausnahme. Aber mit ihm zu spielen, klappt wirklich wunderbar.“

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